Kino-Filmkritik: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

“Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry” basiert auf dem gleichnamigen Roman von Rachel Joyce, die für den Kinofilm auch das Drehbuch verfasst hat. Für die Regie dieses eher stillen Films, der aber zu Recht sehr berührt, ist Hettie Macdonald verantwortlich. Und darum geht es: Harold Fry (Jim Broadbent) ist alt. Er ist Rentner. Zusammen mit seiner Frau lebt er in einem kleinen englischen Vorort. Es passiert nichts von Bedeutung mehr in Harolds Leben.
Jeder Tag gleicht dem anderen. Es gibt nicht mehr viel zu sagen, man winkt dem Nachbarn, erledigt die Einkäufe. Im Kopf sorgen derweil die Versäumnisse und Niederlagen eines langen Lebens für eine gewisse Taubheit.
Da bekommt Harold die Nachricht, dass seine frühere Arbeitskollegin Queenie in einem fernen Hospiz im Sterben liegt. Harold schreibt ihr einen nichtssagenden, bedauernden Brief und läuft los, um den Brief beim Postamt abzugeben. Doch eine Begegnung an einer Tankstelle führt dazu, dass er über seine Beziehung zu Queenie nachdenkt. Etwas ist in der Vergangenheit passiert, Harold hat noch etwas mit seiner alten Freundin zu klären.
Und so beschließt er, Queenie aufzusuchen. Zu Fuß läuft er einfach los, er möchte Queenie persönlich sehen und ihr neue Hoffnung schenken. Aber das Hospiz ist tausend Kilometer weit entfernt, Harold ist ein alter Rentner und was er an den Füßen trägt, das sind keine Wanderschuhe.
“Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry” ist ein Film ohne Spezialeffekte und ohne bombastische Action. Es geht einfach nur um einen Mann, der seine ganz persönlichen Sünden im Kopf hat – und in seiner spontanen Pilgerreise vielleicht so etwas wie die eigene Vergebung sucht.
Der Fim ist dabei unfassbar berührend. So staunt man über Harold, der einfach einmal etwas wagt in seinem Leben. Und plötzlich wieder Dinge erlebt, die ihn staunen lassen. Der merkt, wie das Leben wieder in seine alten Glieder zurückkehrt. Und der feststellt, dass die Schmerzen in den Füßen es wert sind, ausgehalten zu werden. Harold macht eine spannende Wandlung seiner selbst willen durch, die den Zuschauer mit jeder Minute mehr fesselt.
Und dann ist da auch noch Harolds Frau Maureen (Penelope Wilton), einsam, etwas verbiestert, streng, spießig. Sie kommt ohne ihren Harold so gar nicht zurecht, findet seine Pilgerreise befremdlich und fordert seine Rückkehr. Wie sie nach und nach mit aus ihrer Lethargie gerissen wird und sich ebenfalls wieder ihrem Mann und dem Leben gegenüber öffnet, das ist ganz wunderbar gespielt. Großes Kino.
Sehr viel Spaß macht es dem Zuschauer aber, zusammen mit Harold all die wunderbaren Menschen kennenzulernen, die er auf seiner Pilgerreise trifft, und die alle ihre eigenen Geschichten mit in den Film einbringen. Das ist eine ganz große Stärke des Films, dass er so vielen Geschichten in der Geschichte einen Raum gibt.
Als Zuschauer, der das Buch nicht gelesen hat, ist es aber auch eine große Freude, sich gemeinsam mit Harold einfach treiben zu lassen, ohne zu wissen oder zu ahnen, wie diese cineastische Ballade einmal enden wird.
“Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry” ist natürlich kein Film für die ganz große Kinoleinwand. Trotzdem sollte man den Film im Kino sehen, um ihm all die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verdient. (CS / Bilder: Constantin Film)
Fazit: 5 von 5 Sternen (FSK 12)
Spieldauer: 102 Minuten
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=QlaydX8E0eg
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 212 (11/2023).
Seitenabrufe seit 25.11.2023:
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