Kino-Filmkritik: One Life
Was wissen wir eigentlich über den Zweiten Weltkrieg? Erstaunlich wenig. Das Biopic “One Life” schickt sich an, eine klaffende Wissenslücke zu schließen. Denn das, was im Film erzählt wird, das ist tatsächlich so passiert.
Im Dezember 1938 reist der junge Londoner Börsenmakler Nicholas Winton (Johnny Flynn) nach Prag. Hier haben jüdische Familien Zuflucht gefunden, die aus dem Sudetenland geflohen sind, das man Hitler zur Besänftigung vermacht hat, auf dass er von weiteren Expansionsbestrebungen des Deutschen Reichs absehen möge.
In Prag leben die geflohenen Familien unter schrecklichen Bedingungen. Es fehlt an allem, an Essen, an Medikamenten und erst recht an warmen Unterkünften. Krankheiten breiten sich aus. Wie ein Damoklesschwert schwebt außerdem die Möglichkeit über den Flüchtlingslagern, dass Hitler auch in Prag einmaschieren könnte.
Gegen extreme Widerstände beschließt Nicholas Winton, vor allem etwas für die Kinder zu tun. Seine Idee ist es, sie mit dem Zug nach England zu bringen, um sie bis zum Ende der Bedrohung bei britischen Gastfamilien unterzubringen. Nur mit der Hilfe seiner Mutter (Helena Bonham Carter) gelingt es dem Briten mit dem großen Herzen, sich gegen alle bürokratischen Hemmnisse aufzulehnen und die Züge wirklich ins Rollen zu bringen.
Tatsächlich schaffte es Winton mit seiner Beharrlichkeit und Überzeugungskraft, mehrere Züge sogar durch Deutschland rollen zu lassen, um auf diese Weise 669 größtenteils jüdische Kinder vor den Nazis zu retten. Doch Hitler lässt sich nicht aufhalten.
“One Life” driftet immer wieder in die Vergangenheit ab und zeigt mit dramatisch und sich tief einprägenden Bildern, wie sehr der nahende Krieg das Leben vieler Familien zerstört und Europa in die Schatten stürzt. Das ist sehr spannend inszeniert und kommt im Grunde genommen einer ebenso beeindruckenden wie auch erschütternden Geschichtsstunde im Kinosaal nahe.
Regisseur James Hawes blendet aber immer wieder auch in das Jahr 1988. Hier lebt der inzwischen deutlich gealterte Nicholas ‚Nicky‘ Winton (Anthony Hopkins) zusammen mit seiner Frau in einem kleinen Haus. Winton kann es sich selbst nicht verzeihen, dass ausgerechnet der mit den meisten Kindern besetzte Zug niemals in London angekommen ist – die Nazis hatten ihn im ausbrechenden Krieg dann doch noch abgefangen.
Über eine alte Aktentasche mit den Daten und Fotos aller geretteten Kinder wird die BBC-Fernsehshow “That‘s Life” auf die überlebenden “Winton-Kinder” aufmerksam – und bringt Winton ins Fernsehen. Hier kommt es zu der bemerkenswerten Geschichte, die schon oft in Fernsehrückblenden zu sehen war. Um Winton herum sitzen in den Zuschauerrängen nämlich ohne sein Wissen die inzwischen deutlich älter gewordenen Kinder, die er einst gerettet hat – eine unfassbar bewegende Szene.
So bietet “One Life” keine großen Überraschungen und einen bekannten Höhepunkt. Der Weg dahin ist aber sehr gut verfilmt worden. Sowohl Johnny Flynn als auch Anthony Hopkins spielen ihre Rollen hervorragend. Der Filmtitel “One Life” zitiert übrigens das hebräische Sprichwort “Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.” (CS / Bilder: SquareOne Entertainment)
Fazit: 4 von 5 Sternen (FSK 12)
Spieldauer: 110 Minuten
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=hSQ9zProuvs
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 217 (4/2024).
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