Kino-Filmkritik: Schmutzige Briefe
Vergessen Sie blutige Kriegsfilme, actionreiche Superheldendramen, schnulzige Liebesschmonzetten und laserzersetzte Science-Fiction-Schlachten. Mit “Kleine schmutzige Briefe” schleicht sich ein Film ins Kino, der einmal eine komplett neue Richtung einschlägt – und antritt, um den Zuschauern den Glauben an das Kino zurückzugeben.
Die wohl mit Abstand schmutzigste Komödie des Jahres wurde von Regisseurin Thea Sharrock (“Ein ganzes halbes Jahr”, “Der einzig wahre Ivan”) inszeniert und zwar nach einem Drehbuch von Jonny Sweet. Der Clou: Das Drehbuch basiert auf einer wahren Begebenheit. Was den Film letztlich nur noch besser macht.
Wir befinden uns im verschlafenen britischen Küstennest Littlehampton – und zwar in den Zwanziger Jahren. Das bedeutet, dass die Menschen noch verschämt und äußerst religiös sind. Einig sind sich alle Männer nur in dem Fakt, dass die Frauen dem Manne untertan sein und die Klappe halten sollen.
In dieser idyllischen und doch so toxischen Umgebung fällt die Irin Rose Gooding (die für den Oscar nominierte Jessie Buckley) umso mehr auf. Sie zieht ihre Tochter alleine auf, hat einen dunkelhäutigen Freund, säuft im Pub, hat ein loses Mundwerk und besitzt mehr Temperament als eine Horde Affen.
Als plötzlich in wunderschöner Handschrift verfasste und im Wortlaut vor obszönen Beleidigungen nur so triefende perverse Briefe im Örtchen auftauchen, ist allen klar – das kann nur die Irin sein, das passt ja wie Arsch auf Eimer. Auch die fromme Nachbarin in Form der alternden Jungfer Edith Swan (Oscar-Preisträgerin Olivia Colman) ist empört: Das geht ja gar nicht!
Nur die junge Polizistin Gladys Moss (Anjana Vasan) hat so eine Ahnung, dass Rose völlig unschuldig ist – sie kann ja gar nicht so schön schreiben. Aber was weiß sie denn schon! Constable Papperwick (Hugh Skinner) und Ediths strenger Vater Edward Swan (Timothy Spall) sind sich völlig einig: Die vorwitzige Polizistin soll doch besser Tee kochen und die Männer die Arbeit machen lassen.
In “Kleine schmutzige Briefe” wirken Schauspieler mit, die einfach fan-tastisch sind. Die Dialoge sind erstklassig und geschliffen scharf, hier reichen ein verborgenes Kichern oder eine kurz gehobene Augenbraue, um die wahren Emotionen zu zeigen.
Und dann diese Charaktere! In diesem Film gibt es bis in die Nebenrollen hinein nur tolle Frauencharaktere. Man möchte mit offenem Mund staunen darüber, wie gut ein Kinofilm sein kann, man hat es ja fast schon wieder vergessen. Am Ende bringt Police Woman Gladys Miss die geballte Frauenpower zusammen, um gegen die Anweisungen der Männer die wahre Briefeschreiberin zu enttarnen. Denn wie sagt die angeklagte Rose so schön: “Was ich euch an den Kopf werfen möchte, das sage ich euch ins Gesicht, das brauche ich doch nicht aufschreiben.”
Klarer Fall: Hatespeech und fiese Trolle, das gibt es nicht erst seit den Zeiten des Internets. Das gab es auch schon im analogen Zeitalter der Post.
“Kleine schmutzige Briefe” kommt ab dem 28. März ins Kino. (CS / Bilder: Studiocanal)
Fazit: 5 von 5 Sternen (FSK 12)
Spieldauer: 100 Minuten
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=5njT8B2btno
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 216 (3/2024).
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