Scheibes Glosse: Spamfaktor
Seitdem ich eine eigene E-Mail-Adresse besitze, werde ich von Spam-Botschaften belästigt, die ungefragt in meinem Postfach aufpoppen. Meist lösche ich diese Nachrichten ungelesen. Letztens habe ich aber mal wieder in das Postfach hineingesehen – und war entsetzt. Meine Tage als feuriger Loverboy sind anscheinend gezählt, inzwischen geht es in den Spam-Nachrichten nicht mehr um Sex, sondern um heilende Fußpflaster.
Also jünger werde ich auch nicht mehr. Das merke ich, wenn ich morgens in den Spiegel schaue. Wenn ich auf dem Sportplatz nicht mehr über die Bande flanke, sondern schaue, wo es eine Lücke zum Durchgehen gibt. Wenn meine Pokertruppe von Spielern der nächsten Generation als Rentner-Gang verunglimpft wird.
Zumindest mein E-Mail-Postfach ließ mich noch sehr lange glauben, dass ich in meinen Mit-Zwanzigern feststecke. Blutjunge Frauen aus Russland wollten nur mich für sinnliche Bettlakenspiele begeistern. Passend dazu gab es blaue Pillen aus absolut seriösen Laboren in absolut unseriösen Ländern, damit ich auch die ganze Nacht durchhalten kann. Mir wurden Drogen angeboten, sehr obskure Sextoys, aber auch Angebote, um schnell aus viel Geld noch mehr Geld zu machen. Das war einfach der Wahnsinn. Die Welt steckte damals doch voller Möglichkeiten.
Und jetzt? Anscheinend haben auch die Spammer inzwischen geschnallt, dass mein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, dass die Haare ausfallen, die Muskeln schwinden, die Gelenke schmerzen und die Nacht nur noch dann schön ist, wenn man von Anfang bis Ende durchschlafen kann, ohne zwischendrin pinkeln gehen zu müssen.
Immerhin: Die Spammer machen sich weiterhin Gedanken darum, dass ich nicht genug Sex bekomme. Allerdings haben sie jetzt ein wenig Mitleid mit mir: “Da wird sogar der stärkste Mann depressiv, wenn plötzlich die Manneskraft fehlt und Sie nichts dagegen unternehmen können.”
Es sei viel zu teuer, hilfreiche Mittel in der Apotheke vor Ort zu kaufen, wenn es doch online viiiiiel billiger geht. Dazu raten mir in mehreren fast identischen E-Mails nacheinander Doktor Peter Falkenthal, Apotheker Klaus Eichler, Direktor Phillip Deppner und Supporter Hans Fiskl. Ich frage mich, während ich meine Bestellliste ausfülle, was ein “Supporter” ist. Und was er mit meinen Medikamenten zu tun hat.
Die Versender der werbeintensiven Botschaften haben aber derweil noch andere Problemfelder bei mir erkannt: “Nehmen Sie die Kontrolle über Ihren Körper: Entdecken Sie das Geheimnis des Erfolgs mit Schlankheits-Gummis!” Und: “Effektive Behandlung von Krampfadern – so entfernen Sie sie.”
In Versalien geht es in einer anderen Mail weiter: “OHNE SCHMERZEN UND RISIKO FÜR DIE GESUNDHEIT. OHNE UNNÖTIGE OPERATION. OHNE TEURE MEDIKAMENTE.”
Ich werde neugierig und erfahre: “Die Hauptfunktion der Creme ist die Schmerzlinderung und die Reduzierung der Krankheitssymptome.” Super, es geht also nicht um das Heilen, sondern nur darum, dass die Symptome schwinden. Cool, da brauche ich ja gar nicht mehr zum Arzt zu gehen. Vielleicht gibt es das ja auch für Zahnweh: “Ihre Zähne faulen – aber Sie werden nichts spüren.”
Aber statt um meine Zähne sind die Spammer mehr um meine restlichen Körperteile besorgt, die dem Verfall preisgegeben sind: “Bekämpfung von rissigen Fersen und Schwielen in nur 6-10 Tagen!”
Ich lerne, dass rissige Fersen auftreten können, weil ich alt werde, offenes Schuhwerk trage, zu wenig Feuchtigkeit in mir habe oder einfach genetisch die Arschkarte gezogen habe.
Immerhin lädt mich eine weitere Spam-Mail dazu ein, mir eine “Fußmaske zu kaufen”. Und weiter geht es mit einem “Fußpflaster”. In der Mail heißt es: “Giftstoffe sammeln sich in den Füßen an. Entfernen Sie sie wieder mit dem xxx Pflaster!” Na, das klingt aber einfach. Vielleicht klappt das ja auch mit Dummheit. Oder Bauchspeck.
Ich frage mich nur: Wie soll ich mir das alles leisten? Zum Glück hilft mir Elon Musk mit einer Tesla-Spende: “Diese E-Mail stammt von Elon Musk, dem Gründer, CEO und Chefingenieur des SpaceX-Teams; Frühphaseninvestor, CEO und Produktarchitekt von Tesla, Inc., Gründer von The Boring Company, und Mitbegründer von Neuralink und OpenAI. Mit einem geschätzten Nettovermögen von rund 245 Milliarden US-Dollar. Ihre E-Mail-Adresse wurde zufällig aus der europäischen und US-amerikanischen E-Mail-Datenbank ausgewählt und Sie haben 18.087,71 Tesla-Aktien (TSLA) erhalten, was 4.124.270,00 USD zu 228,0 USD pro Aktie entspricht. Bitte nehmen Sie diese E-Mail sehr, sehr ernst und senden Sie eine E-Mail an die Schadensabteilung.”
Das klingt doch sehr seriös. Eine Mail an die Schadensabteilung schicken und vier Millionen Dollar abkassieren, das ist ja einfach. Ich kaufe mir noch heute eine Insel in der Karibik und schaue nun öfters in meinen Spam-Ordner hinein. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 209 (8/2023).
Seitenabrufe seit 6.08.2023:
Kennen Sie schon unsere Gratis-App?
Apple – https://unserhavelland.de/appapple
Android – https://unserhavelland.de/appandroid
Anzeige