Scheibes Glosse: Sehr beharrlich
Wie schafft man es, ein Ziel zu erreichen, das eigentlich absolut unerreichbar in weiter Ferne liegt? So geht das: Mit einer Überdosis Beharrlichkeit und einer Prise gnadenloser Selbstüberschätzung lässt sich das Schicksal durchaus in die gewünschte Richtung biegen. Ein bisschen Glück gehört natürlich auch mit dazu. Es ist Zeit für einen Blick zurück.
Es ist viele Jahre her, ich wohnte damals noch in Berlin-Zehlendorf, arbeitete an meiner Diplomarbeit für das Biologie-Studium und hatte bereits erste Jobs an Land gezogen, um in den neu aufkommenden Computer-Magazinen den Usern zu erklären, wie ihr Rechner funktioniert.
Das Internet gab es bereits, aber das World Wide Web steckte noch in den Kinderschuhen. Ich war mehr als glücklich, denn ich hatte einen “sponsored account” von Compuserve für ein eigenes E-Mail-Postfach geschnorrt, sodass ich ohne horrende Kosten fast beliebig viele Mails verschicken konnte.
Es war eine verrückte Zeit. Ich hatte die Idee, vielleicht einmal vom Schreiben leben zu können. Das einzige, was ich nicht hatte, war Geduld. Und so rief ich eigentlich den ganzen Tag über die angesagten Computer-Magazine an, um genervten Chefredakteuren meine neuesten Artikelideen mitzuteilen. Tatsächlich glaubte der eine oder andere, es wäre am einfachsten, diesen Vorschlägen einfach zuzustimmen, um das Telefonat abzukürzen. So nutze ich meine letzten Tage an der Uni, um frisch veröffentlichte Artikel aus Magazinen wie der “PC Praxis”, der “WIN” oder der “PC Professionell” auszuschneiden – fürs eigene Sammelalbum.
Aber – Zeitschriften sind eine Sache, Bücher eine ganz andere. Magazine sind im nächsten Monat schon wieder Geschichte, Bücher hingegen etwas für die Ewigkeit. Mir wurde klar: Ich muss ein Buchautor werden. Jetzt sofort. Ganz dringend.
Im Branchen-Flurfunk bekam ich tatsächlich mit, dass ausgerechnet der renommierte Fischer Taschenbuch Verlag eine neue Buchreihe mit Sachbüchern zum Thema Computer plante. Na, das war doch meine Chance, dachte ich mir. An nur einem Abend entwickelte ich ein Dutzend Ideen für coole Bücher, suchte mir den vielversprechendsten Ansatz heraus und verfasste ein mehrseitiges Exposé. Das ist so etwas wie ein “Teaser” für ein geplantes Buch, also ein schöngeredeter und mit virtuellem Parfum eingenebelter Entwurf darüber, wie das fertige Buch hoffentlich einmal aussehen könnte.
Ich verschickte das Exposé per Mail – und wartete den gesamten nachfolgenden Tag auf den erlösenden Anruf vom Verlag: “Hurra, ein Wunderwerk. Wir schicken Ihnen sofort einen Vertrag zu, sind Sie mit dem vierfachen Honorar einverstanden?”
Am Vormittag hatte ich noch Tagträume darüber, wie der Verlag mir ob meiner Genialität gleich die gesamte Buchreihe anbietet. Am Nachmittag geriet ich in einen depressiven Sturm. Und kurz vor Arbeitsschluss hielt ich es nicht mehr aus: Ich rief im Fischer Taschenbuch Verlag an.
Am Telefon hieß es: “Was? Erst gestern haben Sie das Exposé abgeschickt? Und Sie erwarten heute eine Antwort?” Es wurde gelacht auf der anderen Seite der Leitung. Und aufgelegt.
Also rief ich am nächsten Tag wieder an. Und am darauffolgenden Tag. Und am darauf folgenden. Mein Gesprächspartner war mehr als genervt: “Für diese neue Buchreihe ist Heide Kobert zuständig, die verantwortliche Lektorin für den alljährlichen Fischer Weltalmanach, unsere wichtigste Veröffentlichung. Soll sie die finale Arbeit an diesem Werk einstellen und damit den Erscheinungstermin riskieren, nur um Ihr Exposé zu lesen?”
Na, wenn er schon so fragt: Ja, natürlich!
Ich stellte meine Anrufe trotzdem ein, so kann man ja auf die Dauer nicht arbeiten. Eine Woche später klingelte dafür mein Telefon. Ein Dieter Grönling aus Berlin war am Apparat. Er sagte: “Die Heide Kobert hat mich angerufen, sie würde von einem fürchterlich nervtötenden jungen Mann bedrängt werden – ob ich ihr den abnehmen könnte. Können wir uns in einer Kneipe treffen?”
Ich traf Dieter Grönling irgendwo in Kreuzberg in einer schummrigen Bar. Bei Wein und Zigaretten ging es den ganzen Abend lang nur um herrlich lustige Anekdoten. Dieter erzählte, dass er den kultigen Clip “Achtung, jetzt kommt ein Karton” für die RB-Unterhaltungssendung “Extratour” (RB) erfunden hatte. Und dass er lange beim Radio gearbeitet hatte: “Einmal war ich zu spät dran, saß im Auto vor einer roten Ampel, hörte meinen Sender im Radio und wusste: Wenn der gerade gespielte Song gleich endet, muss ich live auf Sendung sein.”
Dieter Grönling, selbst Autor des Buches “Tausend Meter Doppelklicken”, brachte mir eine Tugend bei, die ich noch so rein überhaupt gar nicht hatte: Gelassenheit. Erst mal einen Wein trinken, Spaß haben, Geschichten erzählen, etwas Leckeres essen, Leute treffen. Die Geschäfte passieren dann im Fahrtwasser eines solchen Abends ganz von alleine. So kam es dann auch. Zusammen mit Dieter Grönling brachte ich 1995 mein erstes Computerbuch in den Handel: “Vom Referat zur Dissertation – Textverarbeitung im Studium”. Es erschien aber nicht beim Fischer Taschenbuch Verlag, sondern bei Hanser. Heide Kobert war sicherlich froh, dass sie nie mit mir telefonieren musste. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 212 (11/2023).
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