Scheibes Glosse: Alles richtig gemacht?
Ich habe jetzt entschieden, einfach bewusster durch meinen Alltag zu gehen und die Dinge um mich herum mehr zu hinterfragen. Es geht darum, alles richtig zu machen, Rücksicht auf sämtliche Befindlichkeiten zu nehmen und niemandem mehr bewusst auf die Füße zu treten. Das ist anstrengender als gedacht.
Zunächst einmal kommt meine Karl-May-Komplettsammlung in die Mülltonne. Denn ganz egal, wie sehr Häuptling Winnetou für Toleranz und ein völkerübergreifendes Miteinander eintritt – er ist als Figur viel zu weit entfernt von der Wirklichkeit indigener Völker. Das darf man nicht mehr lesen. Und das Wort „Indianer“ sagt man auch nicht mehr. Selbst der Duden warnt davor.
Die Winnetou-Filme darf ich auch nicht mehr gucken. Weil da dieser eine Schauspieler mitmacht, der vorgibt, dass er eine Glatze hat. Hat er in Wirklichkeit aber gar nicht. Diese Rollen sollten nur noch von Menschen besetzt werden, die auch tatsächlich eine Glatze haben.
Haare habe ich zum Glück keine mehr auf dem Kopf. Deswegen kann ich auch keine Dreadlocks tragen. Das wäre nämlich eine kulturelle Aneignung. Damit würde man die Menschen beleidigen, die aus religiösen Gründen Dreadlocks haben.
Aber was ist mit dem Hören? Geht das noch? Ich hör doch so gern den Blues. Eigne ich mir beim Hören auch etwas an? Als gerade keiner guckt, lösche ich meine Sammlung mit John Lee Hooker Alben. Sicher ist sicher. Zum Glück komme ich mit der Gitarre nicht klar und habe noch nie Musik gemacht. Sonst hätte ich mich bestimmt inzwischen kulturell angeeignet, bis der Arzt kommt. Oder – tschuldigung – die Ärztin. Auf die Geschlechter muss man ja jetzt auch aufpassen.
Zum Thema kulturelle Aneignung: Haben nicht deutsche Mönche das Bier erfunden? Dürfen Vertreter anderer Religionen überhaupt noch Bier trinken? So rein moralisch? Spinnt man den Gedanken weiter, dürften nur noch deutsche Brauereien Bier verkaufen. Das wäre gut für unsere Wirtschaft.
Apropos Lebensmittel. Mango, Ananas und Papaya streiche ich von meinem Einkaufszettel – für immer. Damit ich sie essen kann, müssen sie nämlich mit Schweröl-Schiffen einmal um den halben Globus gekarrt werden. Das ist ökologisch eine Katastrophe. Und über die CO2-Bilanz wollen wir auch nicht sprechen. Pommes haben auf meinem Speiseplan ebenfalls nichts mehr zu suchen. Wird hier die Fritteuse angefeuert, geht so viel Energie flöten, dass es einem die Blässe der Besorgnis ins Gesicht treibt. Besser ist es allemal, sich eine Stulle zu schmieren.
Überhaupt lebe ich jetzt vegan, weil Rinder mit ihren Methan-Ausdünstungen nicht nur den Treibhauseffekt in der Atmosphäre befeuern, sondern auch viel zu viel Wasser, Lebensfläche und Atemluft verbrauchen. Allerdings habe ich jetzt immer die Vision, dass ich hungrig am nächsten Kuhstall anhalte, um einem armen Tier ins Bein zu beißen.
Muckelig warm darf es auch nicht mehr in der Bude sein. Denn Öl, Gas und Holz sind teuer, wir müssen Energie sparen und aufs Klima achten. Deswegen dürfen auch keine Kienäpfel in den Kamin. Der ganze im Holz gebundene Kohlenstoff würde auf einen Schlag wieder freigesetzt werden. Gut, dass ich noch eine olle kratzende Decke habe. Gegen die gute alte eigene Körperwärme hat zum Glück noch niemand etwas einzuwenden gehabt.
Spazierenfahren mit dem Auto ist ebenfalls ein No-Go. Jede überflüssige Fahrt muss vermieden werden. Dabei habe ich ein E-Auto. Dank der Energiekrise kommt mein Strom aber nicht mehr einfach nur aus der Steckdose, er muss gespart werden. Was mache ich jetzt mit meinem E-Auto, wenn Stromverbrauchen plötzlich auch nicht mehr richtig ist?
Ich könnte fluchen, meckern und schreien. Aber ich muss mich beherrschen. Ich darf ja nicht einmal mehr den besten Kumpel als alte Saftflöte oder als alten Schrumpftestikel beschimpfen, weil es die Gefühle aller Rentner im Raum verletzen könnte. Lästern im Büro ist Mobbing, das geht auch nicht mehr. So sehr es die Damen auch vermissen werden.
Es ist wirklich schwer, sich in der neuen, ultrakorrekten Welt zu behaupten. Darf ich Kumpel Viktor weiterhin besuchen, obwohl er in der Mohrenstraße wohnt? Ich habe mich von jeder Flasche Zigeunersoße getrennt, weiß aber nicht, was ich mit den alten Uncle-Ben‘s-Reis-Schachteln machen soll, die noch das kritisierte Konterfei vom dienernden Uncle Ben tragen. Da habe ich jetzt die Schachteln heimlich im Papier-Container entsorgt und nur die Reistüten behalten. Die können ja nichts dafür.
Ich versuche ja mit allen Mitteln, mich korrekt zu verhalten. Es ist aber gar nicht so einfach. Es wäre schön, wenn es einen Leitfaden gäbe. Sonst läuft man ja ständig Gefahr, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu stolpern. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 214 (1/2024).
Seitenabrufe seit 1.01.2024:
Kennen Sie schon unsere Gratis-App?
Apple – https://unserhavelland.de/appapple
Android – https://unserhavelland.de/appandroid
Anzeige