Uwes Kolumne: Fahrbarer Untersatz
War früher alles besser? Oder war es einfach nur früher? Eine Lebensweisheit meines Freundes John Ment, seines Zeichen Radiomoderator bei Radio Hamburg. Dieser Gedanke geht mir immer öfter durchs Hirn, je älter ich werde. Beim Autofahren zum Bespiel. Ich habe mir eine hauptberufliche Tätigkeit ausgesucht, bei der ich recht viel im Auto unterwegs bin.
Wenn ich mich dann wieder im endlosen Bandwurm durch die Stadt quäle oder kilometerfressend auf der Autobahn unterwegs bin, denke ich gern an meine Anfangszeit als Homo Automobilis und an mein erstes Auto zurück. Vorher musste ich aber natürlich erst einmal die Fahrerlaubnis erwerben.
Ich hatte zum Glück einen sehr verständnisvollen Fahrlehrer, der, nachdem er mich durch die Prüfung gebracht hatte, einen längeren Sanatoriums-Aufenthalt buchen musste. Denkwürdig waren seine Kommentare während meiner Fahrstunden.
Zum Beispiel während einer Regenfahrt, bei der ich keine Lust darauf hatte, den Scheibenwischer in Betrieb zu nehmen. Herr Gosdek kurbelte nach einiger Zeit das Fenster herunter und streckte den Kopf nach draußen. Das beeindruckte mich nicht. Klatschnass zog er den Kopf wieder zurück, guckte mich an und sagte: “Mensch, ich komm‘ mir schon vor wie ein getauchtes U-Boot. Machen Sie endlich den verdammten Scheibenwischer an!“
Die Prüfung schaffte ich im ersten Anlauf leider nicht. Mein Fahrlehrer meinte, die Prüfungsfahrt hätte ihn an eine Verfolgungsjagd aus „Die Straßen von San Francisco“ erinnert. In der Tat sah er hinterher etwa so aus wie Karl Malden, nur älter. Im zweiten Anlauf lief aber alles glatt. Glücklich hielt ich den grauen Lappen in meinen Händen.
Jetzt musste nur noch ein Auto her. Mir schwebte ja etwas in der Größenordnung Ford Granada oder BMW 2002 vor. Allerdings war das Budget damals recht knapp bemessen. Was bekommt man denn wohl für ein Auto im Jahre 1982, wenn man gerade einmal 500 Mark West in der Tasche hat? Richtig, einen Kugelporsche, eine Ente, einen DAF 44 oder so. Es wurde bei mir ein VW Käfer Baujahr 1970. Ich war stolz wie Bolle.
Zwar musste ich nach zwei Wochen die komplette Vorderachse austauschen, weil die Stoßdämpferhalterung weggefault war – ich hatte mich schon über die komischen Geräusche gewundert, die aus dem Radkasten kamen, aber was soll´s. Die neue Vorderachse kostete 50 DM – und der Austausch ging relativ fix und war alleine zu bewältigen. Tank ausbauen (ja, der war vorne), Lenkung abschrauben, Bremsleitung lösen und Achse abschrauben. Das waren in der Tat nur ein paar Schrauben. Nur beim Bremsen entlüften brauchte ich etwas Hilfe. In der Selbstmachwerkstatt lernte ich Heinzi Schlünsen kennen. Heinzi war Friese, genauer gesagt Ostfriese – und eine kleine Berühmtheit. In seiner kleinen Werkstatt an der Daumstraße klempnerte er an den Autos rum. Unter anderem hatte er auch die Autos für den James Bond Film „Octopussy“ präpariert (die berühmte Szene auf der AVUS) und ist im Film von Didi Hallervorden „Der Schnüffler“ sogar kurz als Mechaniker zu sehen. Heinzi war mir eine große Hilfe. Beim Sportauspuff ranpfriemeln, bei der Umrüstung auf Doppel Solex Vergaser oder beim Zündung-mittels-Prüflampe-Einstellen. Das war alles kein Problem für ihn. Aus meiner morbiden Käferbüchse wurde bald eine heiße Rennsemmel. Noch schnell eine mehrere 100 Watt starke Lautsprecheranlage eingebaut und: Hurra Freiheit, ich komme.
Freiheit? Soweit man Freiheit hatte, auf einer kleinen Insel im roten Meer. Berlin war schnell erkundet. Einer unserer Lieblingsplätze war das „große Fenster“ am Wannsee. Ihr wisst schon: Party, Nacktbaden und die erste oder zweite große Liebe. Aber irgendwann wollten wir mehr. Da blieb uns nur die Fahrt durch die Zone. Die kürzeste Strecke, um damals in den Westen zu kommen, war die heutige A2.
Also auf zum Kaffeetrinken nach Helmstedt oder in den Heidepark Soltau. Auch im Atlantis, einer Großraumdisco in Braunschweig, waren wir einmal. Wir waren renitent, frech und planten unsere eigene Revolution.
So musste irgendwann einer dieser Ausflüge zwangsläufig in einer Katastrophe enden. Nun, vielleicht hätte mein leicht angesäuselter Beifahrer den Volkspolizisten nicht als Bauern bezeichnen dürfen, obwohl ja die DDR ein Arbeiter- und Bauernstaat war – und wie ein Arbeiter sah der Genosse wirklich nicht aus. Vielleicht hätten wir auch nicht spontan die Transitstrecke bei Magdeburg verlassen sollen, um bei meiner Ost-Verwandtschaft Kaffee zu trinken.
Wer weiß, woran es lag, dass wir so bestraft worden sind. Wir hatten jedenfalls ein Einreiseverbot und durften, da wir ja kein Geld hatten, um das Bußgeld zu bezahlen, ein Stück Autobahn fegen. Es war ein sehr langes Stück.
Wenn ich heute beruflich nach Magdeburg fahre, denke ich oft an diese Zeiten. Mein kleiner Käfer hat vermutlich längst als Organspender auf irgendeinem Schrottplatz sein Ende gefunden oder wurde in Form einer Cola-Dose wiedergeboren. (Uwe Abel, Foto o. Maike Abel)
Seitenabrufe seit 1.12.2021:
Kennen Sie schon unsere Gratis-App?
Apple – https://unserhavelland.de/appapple
Android – https://unserhavelland.de/appandroid
Anzeige