Erster Stolperstein in Schönwalde-Glien: In Gedenken an die 1942 ermordete Dagny Herzberg!
Am 22. Mai wurde nun auch der allererste Stolperstein in Schönwalde-Glien verlegt. An die einhundert Personen waren dabei, als der in Nauen geborene Künstler Gunter Demnig einen Pflasterstein mit Messingkopf und eingravierter Inschrift vor dem Haus mit der Nummer 89 in der Straße Großer Ring im Bürgersteig versenkte. Der neue Stolperstein erinnert an Dagny Herzberg, die hier vor ihrer Verschleppung und Ermordung durch die Nazis gewohnt hat.
Seit vielen Jahren ist Gunter Demnig in ganz Deutschland unterwegs, um seine goldenen Stolpersteine ins Trottoir zu versenken. Sie erinnern meist an jüdische Menschen, die an genau dieser Stelle zuletzt selbstbestimmt gewohnt haben, bevor sie verschleppt, inhaftiert, in ein KZ gebracht und ermordet wurden.
Gunter Demnig, der aus Nauen stammt, ließ es sich am 22. Mai nicht nehmen, höchstpersönlich den allerersten Stolperstein in der Gemeinde Schönwalde-Glien in den Bürgersteig zu setzen. Er erzählte: “Ich komme gerade aus Bayern, wo ich den 90.000sten Stolperstein verlegt habe. Es ist schön, einmal wieder so nah an meiner alten Heimat tätig zu sein. 2020 habe ich wegen Corona ganz pausiert, 2021 ging es mit halber Kraft wieder los. Ich werde aber in Zukunft etwas kürzer treten. 1999 war ich an 270 Tagen im Jahr unterwegs, das lässt sich mit der Familie nicht mehr vereinbaren.”
Stolpersteine gibt es inzwischen in 1.300 Orten in Deutschland. Dass nun auch Schönwalde-Glien einen Stein bekommen hat, hat einen sehr ungewöhnlichen Grund: Die Nachfahren der Dagny Herzberg selbst hatten angeregt, einen Stolperstein zu ihrem Gedenken zu setzen. Uwe Ulrich von der dafür verantwortlichen Vorbereitungsgruppe Stolpersteine (www.stolpersteine-falkensee.de), die ansonsten in Eigenregie die Schicksale recherchiert und alle Fakten für eine neue Stolpersteinverlegung sammelt: “Das ist erst das zweite Mal überhaupt in unserer Vereinsgeschichte, das dies passiert ist. Der Enkel Julien Hartley ist an uns herangetreten.”
Thomas Lenkitsch von der Vorbereitungsgruppe informierte auch: “52 Stolpersteine gibt es bereits im Havelland. Wir sind sehr erfreut, wie intensiv uns die Gemeinde bei unseren Bemühungen begleitet hat, nun auch den ersten Stolperstein in Schönwalde-Glien zu setzen.”
Vor etwa einhundert Personen erzählte Uwe Ulrich aus dem Leben der Dagny Herzberg, die im Großen Ring 89 gewohnt hat, bevor sie von den Nazis verschleppt und ermordet wurde: “Dagny Hertz wurde 1907 in Kopenhagen geboren, ihre Mutter starb kurz nach der Geburt. Daher wuchs Dagny bei ihren Großeltern in Berlin auf. Hier absolvierte sie beim Lette-Verein eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin. Anschließend arbeitete sie in der Praxis von Dr. Erich Herzberg am Kurfürstendamm. Die 1929 geschlossene Ehe mit Max Herzberg wurde 1931 geschieden. Der erste Sohn Curt Gert aus ihrer Beziehung mit Erich Herzberg wurde 1930 geboren. 1935 zog Dagny Herzberg alleinerziehend nach Schönwalde in den Großen Ring 89. 1937 kam das zweite gemeinsame Kind mit Erich Herzberg, der Sohn Heinz Günter, zur Welt. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Dagny Herzberg 1940 von den Nazis verhaftet und ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Im Mai 1942 wurde sie in die Tötungsanstalt Bernburg (Saale) überführt und dort noch am Tag ihrer Ankunft ermordet. Ihre kleinen Söhne, drei und zehn Jahre alt, wurden getrennt und in zwei verschiedenen Familien untergebracht. Beide überlebten die NS-Verfolgungsmaßnahmen, weil sie durch diese mutigen Familien unter Lebensgefahr aller Beteiligten versteckt wurden. Nach Kriegsende wanderte Curt in die USA aus, kehrte aber zum Studium nach Berlin zurück und blieb dort auch. Heinz kam nach Großbritannien zu dort lebenden Verwandten.”
Curt Gert Hartley, inzwischen 92 Jahre alt, ließ es sich zusammen mit Julien Hartley und weiteren Familienmitgliedern nicht nehmen, selbst bei der Stolpersteinverlegung mit dabei zu sein. Er konnte sich noch deutlich an das Haus in Schönwalde-Glien erinnern, in das er als Fünfjähriger gezogen war und das er als Zehnjähriger so schnell unter bedrohlichen Umständen wieder verlassen musste. Er mahnte: “Ich hoffe, dass wir so etwas nie wieder erleben müssen.”
Bürgermeister Bodo Oehme: “Dass ein Stolperstein leider auch in unserer Gemeinde nötig wurde, zeigt, dass dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte keinen Ort verschont hat.”
Oliver Beuchel aus Schönwalde-Glien nahm ebenfalls an der Veranstaltung teil: “Ich kenne die Stolpersteine bereits von meiner früheren Arbeit bei Siemens. Bei Siemens in Moabit sind im Hof elf Stolpersteine verlegt. Auch aus Verden, wo meine Frau und ich herkommen, gibt es die Stolpersteine. Ich sage immer: Wer seine Vergangenheit vergisst, legt den Grundstein dafür, dass sie sich wiederholt.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 195 (6/2022).
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