Achtung, Resistenzen: Neues Expertenteam in den Havelland Kliniken!
Bakterien sind unsere Freunde. Eigentlich. Allein anderthalb Kilo der nützlichen Einzeller sitzen im Darm und helfen dabei, unsere Nahrung aufzuspalten und lebenswichtige Vitamine bereitzustellen. Gelangen die Bakterien allerdings an Orte, an denen sie nichts zu suchen haben, kann es durchaus gefährlich werden. Antibiotika helfen in diesem Fall dabei, die kleinen Einzeller zu töten, sodass der Patient wieder gesunden kann.
Das Problem ist nur, dass die Antibiotika in den letzten Jahrzehnten weltweit viel zu oft eingesetzt wurden. Das Ergebnis der verschwenderischen Gabe sind Bakterien, die inzwischen gegen ein oder mehrere Antibiotika resistent geworden sind. Diese multiresistenten Keime wie z.B. der bekannte Krankenhauskeim “MRSA” lassen sich nur noch schwer bekämpfen.
Die Krankenhäuser halten inzwischen ganz spezielle Antibiotika zurück, die als Geheimwaffe nur aus dem einen Grund noch funktionieren, weil sie eben nur im absoluten Notfall eingesetzt werden. Die Bakterien “kennen” diese Antibiotika noch nicht – und können so auch keine Resistenzen entwickeln. Da es für die Pharmakonzerne aber nicht sehr lukrativ ist, neue Antibiotika zu entwickeln, ist die Munition in diesem Waffenschrank leider endlich.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief Ende des letzten Jahres die weltweite “Antibiotic Awareness Week” aus, um das Bewusstsein für einen angemessenen Umgang mit Antibiotika weiter zu schärfen.
In den Havelland Kliniken in Nauen und Rathenow liegt dieses Bewusstsein für einen durchdachteren Einsatz von Antibiotika zum Glück bereits vor. Dorit Zahn, Verwaltungsleiterin: “Im Januar 2019 wurde bei uns ein eigenes Antibiotic-Stewardship–Team (ABS) gegründet. Es besteht aus den beiden Chefärzten der Anästhesie und Intensivmedizin Martina Dollman und Dr. med. Matthias Ingenlath sowie der Fachapothekerin Johanna Buro.”
Dieses ABS-Team ist bereits fest in alle Abläufe bei der stationären Patientenversorgung in den Havelland Kliniken eingebunden. Dr. Matthias Ingenlath: “Unsere Aufgabe sehen wir darin, mit den Kollegen in den Abteilungen zu sprechen, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren und spezifischer zu gestalten. So können wir etwa nach einer genauen Keimanalyse im mikrobiologischen Labor gezielt das Antibiotikum empfehlen, das genau zu diesem Keim passt. Inzwischen gibt man Antibiotika auch nicht mehr so lange wie das früher einmal der Fall war. Im Schnitt sollte der Kampf gegen einen Keim nach drei bis vier Tagen gewonnen sein. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.”
Eine Besonderheit ist, dass die Havelland Kliniken ihr ABS-Team auch tatsächlich mit den benötigten zeitlichen Kapazitäten ausgestattet hat. So hat Apothekerin Johanna Buro ganze 30 Stunden in der Woche für die Koordinierung ihrer Aufgaben zur Verfügung, während die Ärzte an zwei Tagen in der Woche ihrer neuen Arbeit nachgehen können.
Das ABS-Team hat bereits einen Leitlinienkatalog erarbeitet, der sämtliche Antibiotikagaben im Haus regelt. So erhalten neue Patienten zunächst ein Breitbandantibiotikum. Schnell werden aber Blut- und Urinproben ans Labor weitergereicht – zur genauen Untersuchung. Sobald der Name des Keims feststeht, wird die Antibiotika-Behandlung umgehend spezifisch angepasst: Statt mit der Schrotflinte schießt man nun mit dem Präzisionsgewehr.
Die neue “AB-Verschreibungsstrategie” sieht sogar vor, dass alle Antibiotika-Rezepte aus dem eigenen Haus über den Schreibtisch von Johanna Buro gehen, die so stets den letzten Blick auf die tatsächliche Notwendigkeit einer Antibiotika-Gabe hat. Und damit auch das letzte Wort.
Johanna Buro: “Im Rahmen unserer Arbeit nehmen wir einmal in der Woche an der Visite der Kollegen teil und besprechen uns mit den Ärzten über die Antibiotika-Therapie einzelner Patienten. Außerdem gibt es da noch das Antibiotika-Konsil, über das Ärzte auf dem schnellen Dienstweg Fragestellungen etwa zur Dosierung eines bestimmten Antibiotikas bei uns einreichen können. Es gibt ja durchaus auch Fälle, bei denen man den Zustand des Patienten betrachten muss. Sind etwa Nieren und Leber in Mitleidenschaft gezogen, so können bestimmte Antibiotika nicht mehr verabreicht werden.”
Dr. Matthias Ingenlath: “Ein großes Problem gerade bei älteren Menschen ist übrigens eine sogenannte Clostridien-Infektion als direkte Folge einer Antibiotika-Gabe. Sie kann zu schweren Durchfällen führen, weil sich diese Organismen im Bakterien-freien Darm ausbreiten. Unsere Daten der letzten zwölf Monate werden gerade ausgewertet, aber wir neigen schon jetzt zur Aussage, dass die unerwünschten Clostridien-Infektionen bei uns dank der Anpassung der Antibiotika-Mengen bereits spürbar nachgelassen haben.”
In Deutschland wird zunehmend darauf geachtet, dass Antibiotika nur noch sehr gezielt und in so geringen Dosen wie möglich eingesetzt werden. Das führt durchaus zu einer Verminderung resistenter Keime – im Verbund mit einer verbesserten Hygiene im Krankenhaus.
In anderen Ländern sieht das leider noch ganz anders aus. Hier führt eine unkontrollierte und mitunter exzessive Antibiotika-Gabe auch in der Landwirtschaft zu einer starken Verbreitung der kaum noch angreifbaren, weil eben multiresistenten Keime.
Dr. Matthias Ingenlath: “Wenn Sie Urlaub in Indien gemacht haben und hier in einer Garküche direkt an der Straße gegessen haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, das man nach Ihrer Rückkehr multiresistente Keime in Ihrem Darm feststellen kann. Diese Keime verursachen zunächst keine Probleme – bis Sie am Darm operiert werden müssen. Dann kann es bei einer Infektion böse enden, weil das Antibiotikum mitunter nicht wirkt. Deswegen fragen wir Patienten bei der Aufnahme, ob sie im letzten Jahr eine Reise ins Ausland unternommen haben. Die Antwort kann dazu führen, dass eine anstehende Operation unter deutlich höheren Sicherheits- und Isolationsregeln erfolgt.”
Die gute Nachricht: Die aus dem Ausland mitgebrachten multiresistenten Keime verschwinden mit der Zeit auch wieder aus dem eigenen Darm, weil sie von der normalen Darmflora verdrängt werden.
Die schlechte Nachricht: In vielen europäischen Krankenhäusern sind die multiresistenten Keime bereits ein echtes Problem. Dr. Matthias Ingenlath: “Wir horchen auf, wenn ein Patient im vergangenen Jahr Gast einer medizinischen Einrichtung in bestimmten europäischen Ländern wie etwa Italien oder Griechenland war. Dann läuten bei uns die Alarmglocken und der Patient muss mitunter isoliert werden, damit sich etwaige Keime nicht verbreiten.”
Übrigens: Bei einer Studie, die feststellt, wie hoch die Chance ist, während eines Krankenhausaufenthalts ein Antibiotikum zu erhalten, lagen die Havelland Kliniken im bundesweiten Durchschnitt. Auch sind multiresistente Keime vor Ort kein größeres Problem als in anderen Krankenhäusern. (Text/Foto: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 168 (3/2020).
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