Unser Havelland präsentiert: 5. Insekten-, Spinnen- & Kräutertour mit Carsten Scheibe und Kräuterfee Tina!
Was macht man im August, wenn die Sonne vom Himmel brennt, das Thermometer auf über 30 Grad klettert und kaum eine Wolke am Himmel schwebt? Klar, man zieht sich lange Hosen an und macht mit bei der “5. Insekten-, Spinnen- & Kräutertour mit Carsten Scheibe und Kräuterfee Tina”, ausgerichtet von “Unser Havelland”. Knapp 25 Erwachsene und Kinder nutzten diese Gelegenheit, um am 20. August mehr über unsere einheimische Fauna und Flora zu erfahren.
Zwischen der Bahn, der L20, der Seegefelder Straße und der Berliner Straße 339 spannt sich eine grüne Wiese, so groß wie mehrere Fußballfelder. Ein Teil dieses Areals dient Falkensee als Hundeauslaufgebiet. Tatsächlich ist es so, dass die krautige Wiese, die oft genug hüfthoch gen Himmel wuchert, immer wieder von gemähten Wegen durchschnitten wird. So kann man sich durch die Wiese bewegen, ohne dabei die verschiedenen Kräuter im Biotop zertreten zu müssen.
Die große Frage, die man sich als Spaziergänger immer stellen sollte: Was lebt da eigentlich rechts und links neben den Wegen? Hier krabbelt und springt, hüpft und fliegt es. Grashüpfer in hoher Zahl sind hier zu finden, aber auch Spinnen, Schmetterlinge, Wanzen und Käfer. Sie sitzen auf spannenden Kräutern und Wildpflanzen, denen oft genug eine heilsame Wirkung nachgesagt wird. Würde man sie nur besser kennen!
Biologe und Käferfreund Carsten Scheibe, Chefredakteur von “Unser Havelland”: “Es gibt so viele spannende Fakten über unsere sechs- und achtbeinigen Freunde zu erfahren. Das ist Wissen, das zunehmend verloren geht. Denn in der Schule ist es kein Thema mehr – und die Kinder interessieren sich in ihrer Freizeit doch für anderes. Aus diesem Grund laden wir in jedem Jahr zu einer kostenfreien Exkursion in unsere Natur ein, zu der sich Familien mit Kindern gern anmelden können. Bislang waren wir immer auf einer vergessenen Streuobstwiese in Finkenkrug unterwegs, dieses Mal wollten wir allerdings gern das Hundeauslaufgebiet schräg gegenüber vom neuen Falkenseer Hallenbad erkunden.”
Während “Käfer-Kalle” Scheibe für die Insekten- und Spinnenwelt sprechen konnte, war Martina Bauer als “Kräuterfee Tina” (www.kraeuterfeetina.de) für die Botanik mit dabei. Sie kennt jedes Kraut beim Vornamen, weiß um die besondere Wirkung, vermittelt Kräuterrezepte und lädt auch gern zum Waldbaden ein. Sie sagt: “So etwas wie Unkraut gibt es nicht. Wenn die Menschen nur wissen würden, welch spannende Pflanzen direkt am Wegesrand wachsen, sie würden einfach nur noch staunen. Ob Seifenkraut, Giersch oder Bratkartoffelgewürz: Es gibt so vieles zu entdecken.”
Am 20. August ging es um 11 Uhr am Vormittag los. Kaum hatte es die Truppe, bei der auch Tanja und Mayk Leue vom Küchenstudio Leue und Matthias Kühn vom Tourismusverband Havelland mit dabei waren, nur ein paar Meter von der Straße auf das Wiesengelände geschafft, kam es auch schon zum ersten Stop.
Denn auf den Blattunterseiten einer großen Eiche wurden murmelgroße hellgrüne Kugeln gefunden. Ein erstes Mysterium. Das schnell gelöst werden konnte. Carsten Scheibe: “Die Eichengallwespe, selbst nur drei Millimeter groß, legt ein Ei in das Eichenblatt. Die geschlüpfte Larve sondert ein Hormon ab, das die Pflanze zu einer extremen Zellteilung anstiftet. So entsteht die kreisrunde Galle, in deren Mitte die Larve nun vor Freßfeinden geschützt wie die ‘Made im Speck’ sitzt, um sich von Innen heraus von dem Pflanzengewebe zu ernähren. Irgendwann verpuppt sich die die Larve, die Wespe schlüpft und nagt sich durch die Galle ins Freie.”
Was findet die Kräuterfee derweil? Den hoch aufschießenden Beifuß: “Früher hat man sich gern die Blätter in die Schuhe gelegt, dann gab es keine Blasen und man konnte länger laufen. Wenn man die Blätter und Blüten in den Mund nimmt und zerkaut, schmeckt das bitter. Bitterstoffe helfen sehr gut bei der Fettverdauung. Deswegen kommt Beifuß traditionell bei der Zubereitung eines Gänsebratens zum Einsatz. Die Pflanze hilft bei der Verdauung.”
Spannend ging es weiter – ein Bläuling taumelte im Paarungstanz mit einem braun gefärbten Männchen über den Weg. Ob der kleine leuchtend hellblaue Schmetterling wohl ein Ameisenbläuling gewesen ist? Carsten Scheibe: “Dieser hübsche Schmetterling legt Eier, aus denen eine Raupe schlüpft. Diese Raupe sondert einen Geruch aus, der Ameisen denken lässt, dass es sich um den eigenen Nachwuchs handelt. Prompt werden die Raupen in den Bau getragen. Hier machen sich die Raupen unbehelligt über den Nachwuchs der Ameisen hier. So können sie sich in aller Ruhe dick und fett futtern – bis es zur Verpuppung kommt. Schlüpft der Falter, hat er es allerdings eilig. Denn er hat den Geruchsschutz nicht – der Falter muss aus dem Ameisenbau entkommen, bevor er als Beute erkannt und gleich nach dem Schlüpfen angegriffen und zerlegt wird.”
Was wohl die Kräuterfee als nächstes am Wegesrand entdeckt hat? Na, den Spitzwegerich: “Diese Pflanze wächst eigentlich überall. Man kann sie wunderbar verwenden, wenn man einen Wespen- oder einen Mückenstich hat. Sie hilft auch bei Hitzepickeln. Man zerkaut die Blätter der Pflanze einfach und schmiert sich den Brei auf die entsprechende Hautpartie. Ich habe es selbst gerade bei meinem Mann gemacht, der von einer Wespe gestochen wurde. Eine Stunde nach der Behandlung hat nichts mehr weh getan – und es war nicht einmal mehr die Einstichstelle zu sehen.”
Die nächste Beobachtung rückte die erste Spinne ins Zentrum des Interesses. Dabei ging es um eine Spinne, die dank der steigenden Temperaturen zunehmend aus dem Süden nach Deutschland einwandert – der Ammendornfinger. Diese recht große Spinne macht keine Netze, sondern geht nachts “zu Fuß” auf die Jagd nach Insekten aller Art. Carsten Scheibe: “Man erkennt diese Spinnenart sehr leicht. Das Weibchen baut jetzt Ende August große Rückzugsnester – und zwar gern in Hüfthöhe, indem sie die zarten Ähren verschiedener Wiesengräser miteinander verweben. Wer einmal einen Blick für diese Wachtelei-großen Gebilde entwickelt hat, entdeckt die Spinnennester in großer Anzahl, sobald der Blick über eine Wiese streicht. Reißt man ein solches Nest auf, kommt eine sehr wütende Spinne hervor, die mit ihren ‘Fangzähnen’ klackert und nur allzu gern beherzt zubeißen würde.”
Der Ammendornfinger ist auch optisch sehr leicht zu erkennen. Er hat einen olivfarbenen Hinterleib, eine orangefarbene Brust, einen knallroten Kopf und klavierlackschwarze “Beißzähne” – die lang und stark genug sind, um auch eine Jeans zu durchdringen. Die Spinne ist giftig, wobei es hier heißt, dass der Biss in etwa dem Schmerzgrad eines Wespenstichs entspricht.
Apropos: Gleich um die Ecke konnten die Exkursionsteilnehmer eine große Anzahl filigraner Feldwespen entdecken, die sich an den Blüten labten. Carsten Scheibe: “Es gibt eben nicht nur die fiese Deutsche Wespe, die hektisch um unseren Kuchen schwirrt. Die Feldwespe erkennt man sehr leicht, weil sie im Flug ihre sehr, sehr langen Hinterbeine hinter sich herzieht. Sie interessiert sich nicht für unser Essen, sondern fängt stattdessen lieber Fliegen, Mücken und Raupen. Wer Raupen auf seinem Gemüse hat, sollte sich über diese Wespenart also sehr freuen.”
Die Teilnehmer fragten sich auch, welches Tier wohl lauter erbsengroße Löcher in den sandigen Boden gebohrt hat. Mitten auf dem Weg waren ganz viele dieser Löcher zu sehen. Schnell wurde klar, wer für diesen Schweizer Käse verantwortlich war – eine Sandbiene. Carsten Scheibe: “Auch wenn sie fast so aussieht, das ist keine Honigbiene. Es gibt über 500 Wildbienenarten in Deutschland – und das ist eine von ihnen. Diese Biene bildet keine Staaten, jede Biene lebt für sich alleine und kümmert sich auch selbst um den eigenen Nachwuchs. Dazu buddelt die Sandbiene lange Gänge in sandige Böden. Am Ende der Röhre wird ein Pollendepot angelegt, auf dem dann ein Ei platziert wird. Der Pollen reicht der Larve aus, um sich bis zur Verpuppung davon zu ernähren.”
Kräuterfee Tina hatte unterdessen eine Wilde Möhre entdeckt, die Urahnin unserer Speisemöhre. Tatsächlich roch die ausgebuddelte braune Wurzel der Pflanze mit ihrem weißen Fruchtfleisch intensiv nach Möhre – und schmeckte auch so. Die Kräuterfee warnte aber: “Die Wilde Möhre gehört zu den Doldenblütlern. Und da gibt es einige Arten, die tödlich sein können und die sich leicht miteinander verwechseln lassen. Hier sollte man nicht die falsche Pflanze erwischen, sonst brüht man sich vielleicht mit dem Gefleckten Schierling einen Todestrank.”
Auch die Schmalblättrige Doppelsame wurde auf der Wiese entdeckt. Sie ist auch als Wilde Rauke bekannt. Kräuterfee Tina: “Die Blattform kommt einem schon sehr bekannt vor und das kommt nicht von ungefähr – bei dieser Pflanze handelt es sich um nichts anderes als um einen wilden Rucola. Als Salat kann man diese Pflanze wunderbar essen. Sie trägt auch eine gewisse Schärfe in sich. Diese Senfölglycoside sollen dazu beitragen, unser Immunsystem zu stärken.”
Gezielt ging es im krautigen Feld auf die Suche nach der Zebraspinne, auch Wespenspinne genannt. Diese wunderschön weiß-gelb gefärbte Radnetzspinne gab es vor 50 Jahren nur äußerst selten in Süden Deutschland. Die steigenden Temperaturen kommen diesem achtbeinigen Einwanderer sehr gelegen, inzwischen ist die Spinne deutschlandweit vertreten. Sie webt ihr Netz in Schräglage etwa in Wadenhöhe so in eine Wiese hinein, dass aufgeschreckte Grashüpfer mitten ins Netz springen. Sofort werden sie eingesponnen und mit einem Giftbiss getötet. Carsten Scheibe: Die Wespenspinne konnte von uns in sehr hoher Zahl gesichtet werden. Sie ist sehr entspannt, nie aggressiv und beißt auch unter Bedrängnis nicht zu. Sie würde auch die menschliche Haut nicht durchdringen können. Zurzeit sind nur noch die Weibchen zu sehen, ihre Männchen werden nach der Paarung meist gefressen. Die Weibchen legen bald ihre Eier in walnussgroße braune Gespinste am Rand ihrer Netze ab.”
Was konnte die Kräuterfee wohl in der Zwischenzeit finden? Den Rainfarn, eine sehr krautige Pflanze aus der Familie der Korbblütler, die leuchtend gelbe Röhrenblüten hat. Diese Pflanze enthält das giftige Thujon, mit dem man übrigens auch Blattläuse im Garten vertreiben kann. Martina Bauer: “Mit den Blüten hat man früher die Decken von Hunden ausgestopft, weil sie alles erdenkliche Ungeziefer vertreiben.”
Eine besondere Entdeckung war auch das Echte Johanniskraut. Kräuterfee Tina machte auf die Öldrüsen aufmerksam, die ein Blatt der Pflanze wie durchlöchert erscheinen lassen, wenn man es vor die Sonne hält. Und sie zeigte sehr anschaulich, dass sich die eigenen Finger intensiv rot färben, wenn man die gelben Blüten zerdrückt: “Ich ernte Johanniskraut immer am 24. Juni, das ist der sogenannte Johannistag. Die Blüten und Knospen lasse ich in der Sonne in Sonnenblumenöl ziehen. So erhalte ich ein rotes Öl. Das soll gegen Sonnenbrand, Verbrennungen, Hexenschuss und Ichias-Schmerzen helfen.”
Derweil entdeckten die Exkursionsteilnehmer ein Grünes Heupferd, das gerade eine Biene auffraß. Diese Langfühlerschrecke (Fühler sind länger als der Körper) gehört zu den größten Heuschrecken in Deutschland. Und sie ernährt sich durchaus auch von anderen Insekten, wie die Beobachtung zeigte. Leicht konnte man auch am langen “Legestachel” sehen, dass es sich bei dem Tier um ein Weibchen handelte. Mit diesem Stachel werden im Herbst die Eier mehrere Zentimeter tief ins Erdreich eingebracht.
Und dann gelang tatsächlich noch die wichtigste Entdeckung des Tages: Es konnten zwei fingerlange und leuchtend hellgrüne Exemplare der Europäischen Gottesanbeterin gefunden werden, die zunehmend in Deutschland heimisch wird.
Carsten Scheibe: “Sie sind noch nicht ganz ausgewachsen und haben noch keine Flügel. Die Tiere nutzen ihre Fangarme, um ihre Beute zu fangen, die dann lebendig vom Kopf weg aufgefressen wird. Man sagt, dass die Gottesanbeterin über die Züge nach Deutschland kommt – wenn Eipakete an den Unterseiten der Waggons festgeklebt wurden. Es ist schön, dass wir die Tiere nach dem ersten Fund im Jahr 2022 auch in diesem Jahr wieder entdecken konnten.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 210 (9/2023).
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