Spandauer Nachtwächter
Spandau hat eine historische Altstadt, über die viele Anwohner gar nicht viel wissen. Dabei hat die Garnisonsstadt eine bewegte Vergangenheit: Urkundlich erwähnt wurde sie als Spandowe erstmals 1197, Stadtrechte erhielt Spandow am 07. März 1232 von den Markgrafen Johann I und Otto III. Früher als Berlin-Cölln übrigens. Die jetzige Hauptstadt Berlin hat das Stadtrecht nämlich erst 1237 erhalten.
Für Interessierte gibt es zwei Mal im Monat einen nächtlichen Stadtrundgang mit dem Nachtwächter Schulze. Für 7,50 Euro nimmt er bis zu 25 Personen mit auf seine zweistündige Zeitreise durch das historische Spandau. Am 5. November 2009 ist es das nächste Mal wieder so weit. Ab 19 Uhr kann wieder jedermann mit auf den nächtlichen Stadtrundgang gehen.
Wir waren im Oktober mit dabei. Direkt hinter der St. Nikolaikirche, die erstmals 1240 urkundlich erwähnt ist, kommt uns eine Gestalt im dunklen Gewand entgegen. Es ist Nachtwächter Schulze in seiner schwarzen Kluft. Er trägt eine Laterne, einen Stab aus Holz, eine Feuertute und seine Knarre, mit der er zu jeder vollen Stunde richtig laut knattert und Lärm macht und damit die Uhrzeit ankündigt: „Hört Ihr Leut‘ und lasst Euch sagen: Die Uhr hat eben Sieben geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht, damit Euch kein Leid geschieht“, ruft er mit lauter Stimme.
Der Dienst eines Nachtwächters begann damals abends um 19 Uhr und endete um fünf Uhr morgens. Seine Aufgaben waren es unter anderem, den Brunnen aufzuziehen, Laternen anzuzünden, die Uhrzeit auszurufen und in den Gaststätten nach dem Rechten zu sehen. Im Juni 1820 verdiente ein Nachtwächter immerhin 180 Taler… im Jahr.
„Ich geh voran, ich kenn den Weg“, führt Nachtwächter Schulze weiter durch die dunklen Gassen Spandaus. Auf seiner Tour kommt er auch zum Reformationsplatz. Im Haus Nr. 2, einem ehemaligen Offiziantenhaus, wohnte um 1780 der bekannte Stadtphysikus Ernst Ludwig Heim, der letzte behandelnde Arzt der Königin Luise. Noch vor kurzem war dort das Büro der Volkshochschule angesiedelt.
In der Ritterstraße, einer besonders reizvollen Straße der Altstadt, befindet sich das Hotel Benn in einem schönen Fachwerkbau von 1800.
Vor dem Gebäudekomplex, wo das Zucht- und Spinnhaus stand, das vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm 1687 eingerichtet worden war, macht der Nachtwächter eine kleine Pause. Er kredenzt aus einem Korb frisches Brot und ein Fläschchen Likör, den „Spandauer Nachtwächter Schluck“. „Meist waren es Frauen, die hier einsaßen“, erklärt er. „Sie mußten für den Juden Hirschel Garn spinnen. Dafür bekamen sie 9 Pfennig am Tag, und Verpflegung, die aus zwei Kuhlen Brot à 44 Lot bestand und noch dazu Quark und Speisebrei als Vorkost des Mittags. Nur sonntags gab es ein halbes Pfund Fleisch für die Einsitzenden. Besonders schlimme Verbrechen jedoch wurden auf dem Marktplatz geahndet, der schon um 1700 mit Katzenkopfpflaster befestigt war. Dort wurde der Strafvollzug des Militärs vorgenommen und der Galgen aufgebaut. Als großes Volksfest wurden diese Hinrichtungen mit öffentlichem Spektakel begleitet.“ Ganz gefährliche Verbrecher wurden vor dem Potsdamer Tor gerädert und anschließend aufs Rad geflochten.
Nachtwächter Schulze geht voran, er kennt den Weg. Am Wall entlang hat man freien Blick auf das Spandauer Rathaus von 1913. Schräg gegenüber, in der Carl-Schurz-Straße 17, schaut man auf das damalige Kaiserliche Postamt von 1880. Ein repräsentativer Bau mit dem Kaiserlichen Adler, in dem das „Fräulein vom Amt“ um 1900 die Telefongespräche in die Reichshauptstadt vermittelte. Heute sind dort die Stadtbücherei und das Gesundheitsamt zu finden.
„Ich geh voran, ich kenne den Weg“, führt uns Nachtwächter Schulze weiter. Am Stabholzgarten in Richtung Havel liegt der Batardeau von 1842. Er ist die einzige erhaltene Schleusenanlage der Festungsgräben der Festung Spandau.
In der Fischerstraße, besonders am Haus 42, sieht man noch die typische Spandauer Fachwerk-Bauweise. Der sehenswerte Hof wurde sehr schön restauriert.
„Ich geh voran, ich kenne den Weg“, führt uns Nachtwächter Schulze weiter. An der Wasserstraße/Ecke Lindenufer sieht man am gegenüber liegenden Havelufer die Einmündung der Spree. Bei Havelberg mündet die Havel in die Elbe. Viele Binnenschiffer nutzten den Wasserweg für ihre Lastkähne. Am Lindenufer findet man die historische Gaststätte Altberliner Stube & Küche. Der Wirt Herr Petereit bietet vor dem Lokal einen „medizinalen Trunk“ an und erklärt den interessierten Teilnehmern noch einiges über die damalige Schifferklause von 1894. Später hatten Muttern Holzen und Tante Agnes hier bis in die 1960er Jahre ihr Etablissement auf die Bedürfnisse der vielen Schiffer angepasst.
Entlang der Havel durch die dunklen Gässchen geht es nun weiter in Richtung Spandauer Schleuse, die einen Höhenunterschied von 1,80 Meter ausgleicht.
Besonders interessant ist auf dem Behnitz, dem ältesten Viertel von Spandau, die Kirche St. Marien anzuschauen. 2001 wurde sie von einem Ehepaar mit hohem finanziellem Aufwand gekauft und renoviert. Nun ist diese Kirche ein wunderschöner Veranstaltungsort für Kultur und Konzerte. Das weiße Barockhaus ist das so genannte Heinemannsche Haus, ein früheres Musik-Konservatorium des Vaters der berühmten Pianisten Käthe Heinemann.
Über den Kolk, eine der ältesten Siedlungsstätten Spandaus, geht es zum Brauhaus Spandau, einer früheren Garnisons-Wäscherei. Hier endet der interessante Stadtrundgang mit dem Nachtwächter Schulze. Nun schlägt er noch mal mit der Knatter Krach und ruft die Uhrzeit aus: „Hört Ihr Leut‘ und lasst Euch sagen: Die Uhr hat eben Neun geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht, damit Euch kein Leid geschieht.“ (H.R.)
Kontakt: Spandauer Nachtwächter, Veranstalter Arbeitsgemeinschaft Altstadt Spandau e.V., Tel: 030-3338377, jahn@ag-altstadt-spandau.de
Text & Fotos: Heike Rattunde
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