Kristina Hölzel: Regionale Geschichte (9): Jede Menge Müll
Schon lange vor der Eingemeindung der selbstständigen Stadt Charlottenburg in die Stadtgemeinde Groß-Berlin im Jahre 1920 hatte auch diese Kommune mit einem enormen Bevölkerungszuwachs und somit auch mit Entsorgungsproblemen zu kämpfen. 1894 experimentierte man in Charlottenburg zum ersten Mal vor dem Stralauer Tor mit einem Müllofen, um den anfallenden Müll ganz simpel zu verbrennen. Das war allerdings ein echter Fehlschlag. Das Feuer ging immer wieder aus, der Müll verbrannte nur unvollständig.
Die von der Polizei geforderte staubfreie Abfuhr des Mülls in geschlossenen und von Pferden gezogenen Wagen setzte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts langsam durch.
Anschließend versuchte man in Charlottenburg eine dreiteilige Mülltrennung wie in den großen Metropolen der USA mit Polizeikontrollen und Aufklärungsarbeit durchzusetzen. Der Entsorger nannte sich kurz CHA, ausgeschrieben Charlottenburger Abfuhrgesellschaft.
Nun kam unser Dorf Seegefeld mit seiner gerade neu entstandenen Kolonie Neu-Seegefeld in Spiel. Hier wurde von der CHA 1905/06 die “Charlottenburger Müllverwertung” gebaut – und zwar in der Potterstraße 40. Das Gebäude überraschte – trotz seiner Müll-lastigen Verwendung – mit einer modernen Jugendstil-Architektur. Vor Ort wurde zwischen 1905 und 1917 Müll sortiert, getrennt und teilweise verwertet.
Während Asche und Kehricht aus Charlottenburg mit der Bahn nach Röthehof im Havelland transportiert und dort verkippt wurden, landeten die übrigen Charlottenburger Abfälle zunächst in der Seegefelder Müllverwertung.
Nach einer Vorsortierung an einer Rüttelrinne durch die dort positionierten Frauen gelangte alles Unbrauchbare in der Verbrennung. Der Rest vom Müll wurde weiterverkauft – schon damals ein erster Ansatz einer Wiederverwendung und eines Recyclings.
Interessant. Die vor Ort aussortierten Küchenabfälle wurden entwässert, sterilisiert, gekocht und gesiebt – und an die in der direkt benachbarten Anlage gehaltenen 2.000 Schweine verfüttert (eine andere Quelle spricht hier von 5.000 Schweinen).
1907 vernichtete allerdings die Schweinepest fast den gesamten Tierbestand. So wurden die Küchenabfälle in der “Charlottenburger Müllverwertung” durch ein neu eingeführtes Trockensystem zu Dauerfutter verarbeitet.
Von 1916 bis 1922 wurde das Seegefelder Werk sogenanntes “Reichseigentum”, also enteignet. Kohlemangel nach dem 1. Weltkrieg führte zu einer Umstellung auf die Produktion von Melasse-Futter, weil die ursprüngliche Produktion von Tierfutter zu viel Energie verschlang. Melasse ist ein braunes Nebenprodukt der Zuckerproduktion. So wurde dieser Betrieb nach 1922 eine Tochtergesellschaft der Nauener Zuckerfabrik. Das Seegefelder Kraftfutterwerk galt Anfang der 1930er als eines der ältesten und größten industriellen Unternehmen in der Gemeinde Falkensee. Mit dem Ursprung – dem Müll aus Charlottenburg – hatte das aber nichts mehr zu tun.
Was geschah nun aber eigentlich mit dem Charlottenburger Müll? Eine kostensparende Müllvorsortierung ließ sich in der Bevölkerung selbst mit teuren Werbekampagnen nicht durchsetzen: Niemand wollte seinen Müll trennen. Die Charlottenburger CHA musste deswegen bereits 1917 ihren Betrieb einstellen.
Mit der Gründung von Groß-Berlin kam die durch den 1. Weltkrieg in wirtschaftliche Not geratene Berliner Müllgenossenschaft der Hausbesitzer ebenfalls in Schwierigkeiten und musste 1922 ihren Betrieb einstellen. An ihre Stelle trat die BEMAG – die Berliner Müllabfuhr Aktiengesellschaft.
Übrigens: Das Gebäude der “Charlottenburger Müllverwertung” in der Falkenseer Potterstraße steht immer noch. Nur der Schornstein ist verschwunden.
(Quellen: smög TU Berlin „Der Müll muss raus aus Berlin“ 1993; Falkensee in Wort und Bild 1934)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 233 (8/2025).
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