Unser Havelland und EDEKA Dorfmann Zukunftsmarkt Video-Podcast (7): Im Gespräch mit Dirk Eilert
“Unser Havelland” startet ein neues Format. Einmal im Monat laden wir uns eine interessante Person aus dem Havelland ein, um ein halbstündiges Gespräch mit vorbereiteten Fragen zu führen. So können wir ein Interview präsentieren, das bewusst den Rahmen sprengt und ein wenig mehr in die Tiefe geht. Im Juli war Dirk Eilert aus Dallgow-Döberitz bei uns zu Gast. Er ist Mimikexperte.
“Unser Havelland” lädt einmal im Monat eine interessante Person aus dem Havelland ein, um ein halbstündiges Expertengespräch zu führen. So können wir ein Interview präsentieren, das bewusst den Rahmen sprengt und ein wenig mehr in die Tiefe geht.
Das Interview wird gekürzt und gestrafft auf vier Seiten im Magazin abgedruckt und auf die Homepage www.unserhavelland.de gestellt.
Zugleich nehmen wir es aber auch als Experten-Podcast auf Video auf, das Sie auf unserem YouTube-Kanal (www.youtube.com/UnserHavelland) abrufen können. Bei der Erstellung des Videos hilft uns Marvin Zinke aus Brandenburg an der Havel.
Unser Interview findet immer vor Live-Publikum statt und zwar in der “Überschaubar” im neuen EDEKA Zukunftsmarkt in Nauen (www.zukunftsmarkt-dorfmann.de) von Christian Dorfmann – das ist zurzeit der nachhaltigste EDEKA-Markt in ganz Deutschland.
Der erste Gast für die neue Interview-Reihe war Christian Lohse, der 2-Sterne-Koch, der in Falkensee lebt. Für die Fortsetzung haben wir Robert Dahl eingeladen, den Inhaber von Karls Erlebnis-Dorf in Elstal. Anschließend war Birgit Faber bei uns, sie ist der Geschäftsführende Vorstand vom “Turn und Sportverein Falkensee e.V.”. Gern sprachen wir mit Olaf Höhn, dem Geschäftsführer von Florida Eis (www.floridaeis.de) aus Spandau. Thilo Spychalski, der Geschäftsführer der Havelland Kliniken Unternehmensgruppe, saß auch schon am Mikrofon. Zuletzt besuchte uns Ronald Rauhe aus Falkensee, Olympia-Sieger im Kajakfahren, mit seinen fünf Olympia-Medaillen.
Nun haben wir mit Dirk Eilert aus Dallgow-Döberitz gesprochen. Der Buchautor und Institutsbegründer forscht im spannenden Bereich der Mimikresonanz-Methode.
Dirk Eilert lebt privat in Dallgow-Döberitz, seine “Eilert Akademie für Emotionale Intelligenz” hat ihren Sitz aber im nahen Spandau. Der Buchautor ist anerkannter Experte für Mimik und Körpersprache – und kann uns wunderbar spannende Einblicke in die Welt der Emotionen geben. Ganz egal, ob traurig, wütend, enttäuscht, angeekelt oder stolz: Nach diesem Interview werden Sie Ihre Mitmenschen mit anderen Augen wahrnehmen.
Lieber Herr Eilert, Sie sind Wirtschaftspsychologe und Entwickler der sogenannten Mimikresonanz-Methode. Das hört sich jetzt sehr wissenschaftlich an, aber wir werden gleich feststellen, das es ein Fachgebiet ist, das jeden von uns in jeder Sekunde im Alltag betrifft. Worum geht es da und was sind sogenannte Mikroexpressionen?
Dirk Eilert: “Wir Menschen kommunizieren mit Worten und mit Sprache. Es gibt aber auch noch eine stille Sprache. Dabei geht es um die Mimik im Gesicht und um die Körpersprache. Wir sind es im Alltag vor allem gewohnt, auf die Worte zu achten. Aber die Mimik und die Körpersprache verraten uns eigentlich noch sehr viel mehr über unser Gegenüber. Mikroexpressionen sind kleinste und sehr schnelle Bewegungen, die in weniger als 500 Millisekunden über das Gesicht huschen. Wenn ich mir mein Gegenüber anschaue und im Gesicht zuckt nur ganz kurz die Oberlippe hoch, dann verrät mir das etwas. Dann sind wir im spannenden Feld der Mikroexpressionen. Und genau das ist mein Fachgebiet.”
Kann ich diese Mikroausdrücke eigentlich willentlich steuern?
Dirk Eilert: “Natürlich können wir uns bewusst dafür entscheiden, einen anderen Menschen anzulächeln. Das ist eine bewusste Mimik, die auch für längere Zeit sichtbar bleibt.
Die Mikroausdrücke, die sich nur ganz kurz auf meinem Gesicht zeigen, die sind allerdings komplett emotional gesteuert. Sie werden vom limbischen System ausgelöst. Sie zeigen sich bereits auf unserem Gesicht, bevor nach etwa 500 Millisekunden unser präfrontaler Cortex hinter der Stirn anspringt, der für das bewusste Denken verantwortlich ist. Erst nach diesen 500 Millisekunden kann ich eine rationale Kontrolle über meine Mimik übernehmen.
Es gibt schöne Studien zur Frage, ob man seine Mimik eigentlich willentlich kontrollieren kann. Das kann jeder einmal selbst ausprobieren. Versuchen Sie doch einfach einmal, in einem Gespräch zehn Minuten lang weder zu lächeln noch die Augenbrauen zusammenzuziehen. Es hat bislang noch niemand geschafft, den ich kenne. Daran sehen wir: Die Mimik ist nicht kontrollierbar.”
2009 wurde in den USA eine Fernsehserie mit dem Namen “Lie to Me” ausgestrahlt. In drei Staffeln nutzte Dr. Cal Lightman (Tim Roth) von der Lightman Group Expressionen der Mikromimik, um Verbrechen aufzuklären. Wer war denn zuerst da? Sie oder die TV Serie?
Dirk Eilert: “Ich kenne die Serie. Jeder, der sich mit dem Thema Mikromimik beschäftigt, kennt die Serie. Aber das Thema gibt es schon viel länger. Die ersten Studien zum Thema stammen aus den 60er Jahren.
Da gab es zwei Forscher aus der Psychotherapie, die haben sich ihre Sitzungen mit den Patienten anschließend in Slow-Motion angesehen und auf einmal die Mikroexpressionen entdeckt. Man konnte hier genau sehen, wie Patienten etwas gesagt, aber eigentlich etwas ganz anderes gefühlt haben. Da gab es etwa eine Patientin, die sagte, es geht ihr gut. Dabei zog sie aber die Augen von den Innenseiten aus nach oben, was Trauer ausdrückt. Das war die Geburtsstunde der Mikroexpressionen.”
Es gibt ja eine weitere Parallele zur Fernsehserie. In der Serie gab es die Lightman Group. Sie haben in Spandau die “Eilert Akademie für Emotionale Intelligenz” (www.eilert-akademie.com) gegründet, die inzwischen sogar Zweigstellen in Paris, Zürich und Innsbruck betreibt. Was tun Sie da und wer bucht Sie?
Dirk Eilert: “Emotionale Intelligenz ist die Währung des 21. Jahrhunderts. Emotionen wahrzunehmen, sie zu verstehen und gekonnt mit ihnen umzugehen, ist in der heutigen Zeit die erfolgsentscheidende Schlüsselfähigkeit – sei es privat oder im Berufsleben.
Ich glaube tatsächlich daran, dass wir einen anderen Umgang mit Emotionen lernen müssen. Mimik ist ja nur ein Aspekt. Es geht bei uns auch um Emotionsverarbeitung, Empathie, Impathie (Selbsteinfühlung), den Emotionsausdruck und um Emotionsregulation. Damit beschäftigen wir uns im Kern.
Unsere Seminare werden gern von Psychotherapeuten und Coaches gebucht. Es kommen aber auch Führungskräfte, Personaler und Polizisten zu uns. Das sind alles Menschen, die in ihrem täglichen Alltag etwas mit Emotionen zu tun haben. Diese Menschen bilden wir aus. Ein Polizist kann dann in einer Situation vielleicht eher erkennen, in welcher emotionalen Lage sich sein Gegenüber befindet. Oder Vernehmungen mit Beschuldigten oder mit Zeugen besser ‘lesen’.
Viele Personen denken, dass ich bei kniffligen Fällen hinzugezogen werde, um dann direkt vor Ort eine Einschätzung abzugeben. Aber so viele Fälle könnte ich alleine gar nicht bearbeiten. Und deswegen ist es mein Ziel, das multiplizierbar zu machen. Ein Teil unserer Arbeit ist es, den Seminarteilnehmern zu vermitteln, wie sich klassische Emotionen wie Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Trauer und Freude erkennen lassen. Aber auch Emotionen wie Stolz, Liebe oder Scham sind ein Thema.
Zwei weitere Ansätze in unserer Institutsarbeit sind ein Emotionscoaching zur Lösung emotionaler Blockaden und ein Resilienzcoaching, um besser mit Stress umgehen zu können.”
Sie haben Sebastian Fitzek, den Bestseller-Autor für Psycho-Thriller dabei geholfen, seinen Roman “Mimik” zu schreiben. Wie kam diese Kooperation zustande?
Dirk Eilert: “2015 gab es im Regionalfernsehen eine Sendung, die von Jürgen von der Lippe moderiert wurde, und die hieß ‘Vier Verdächtige und ein Todesfall’. Da gab es einen Kriminalfall und vier Schauspieler, die die Verdächtigen mimen sollten. Bei der Sendung waren Promis dabei, die sollten die Verdächtigen befragen und so den Fall lösen. Ich war als Experte mit vor Ort, um den Promis Tipps zu geben, worauf sie bei der Befragung achten sollen.
Sebastian Fitzek gehörte zum Promi-Panel. Wir sind backstage ins Gespräch gekommen und ein paar Mal zusammen essen gewesen. Ich war dann tatsächlich 2022, als der Roman ‘Mimik’ erschien, das Vorbild für die Hauptfigur, die im Buch allerdings eine Frau ist.
Sebastian hat den Plot entwickelt, also den Handlungsstrang für den Roman. Schon im Entstehungsprozess war es ein Ping-Pong-Spiel zwischen uns. Ich habe sichergestellt, dass alle nonverbalen Signale, die im Roman verarbeitet sind, wissenschaftlich korrekt sind – und parallel dazu hat sich der Handlungsstrang entlang dessen entfaltet.”
Gab es denn schon einmal Fälle, bei denen die Polizei Sie hinzugezogen hat?
Dirk Eilert: “Das passiert nicht so, wie man sich das vorstellen würde. Etwa, dass ich hinter der Spiegelwand verborgen bei einer Befragung mit dabei bin.
Es ist eher so, dass wir uns im Rahmen eines Trainings zusammen echte Vernehmungsvideos anschauen. Und dann versuchen wir, aus diesen Videos für die Zukunft zu lernen. Etwa, wie man die Emotionen der Befragten besser erkennen kann, und vor allem, wie man darauf am besten reagiert.”
Kann man in einer Krisensituation nur an der Mimik erkennen, dass mein Gegenüber kurz davor ist, etwas Schlimmes zu tun? Etwa, mich körperlich anzugreifen?
Dirk Eilert: “Tatsächlich hat die Forschung hier eine spezielle Mimik entdeckt, das sogenannte Hinckley-Face, das man auch als Attentätergesicht bezeichnet. John Hinckley Jr. hat 1981 ein Attentat auf den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan verübt. Danach hat man den Secret Service befragt, wie Hinckley eigentlich geguckt hat, unmittelbar bevor er die Waffe zog und abdrückte. Da hat man ziemlich schnell einen universellen Gesichtsausdruck gefunden. 2012 gab es sogar eine Studie dazu.
Dabei wurde das Hinckley-Face beschrieben. In dem unmittelbaren Moment, bevor es zu einer körperlichen Attacke kommt, zieht die Person die Augenbrauen zusammen und gleichzeitig die Oberlider hoch. Das ist mimisch eine gegenläufige Bewegung – und deswegen schwer bewusst nachzuahmen – und eine, die länger auf dem Gesicht zu sehen ist als eine Mikroexpression. So erkenne ich: Hier baut sich gerade eine Angriffsenergie auf.
Was passiert in dieser Phase? Es kommt zu einem Amygdala-Hijacking, etwas, das Sebastian Fitzek in seinem Buch ‘Mimik’ sehr schön Hirnschluckauf nennt. Die Amygdala ist quasi das Alarmzentrum in unserem Gehirn, das in Extremsituationen ein Flucht- oder Angriffsverhalten steuert.
Wir sehen das übrigens auch bei einem intensiven Streit mit dem Partner. Da möchte die Amygdala oft mit lauter Stimme eskalieren, Türen schmeißen und böse Worte sagen. Der präfrontale Cortex hält da mit leiser Stimme und rationalem Denken gegen, wird aber meist von der Amygdala überstimmt, also „ge-hijacked“ (gekidnappt). Die Folge ist: Wir rasten aus – oder sagen schlicht etwas, dass uns nachher leid tut.
Sieht man also bei einem Streit mit dem Partner das Hinckley-Face, sollte man die Auseinandersetzung besser sofort unterbrechen, bevor etwas passiert, was man so nicht wieder ungeschehen machen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt noch irgendetwas Sachliches passiert, das zur Lösung beiträgt, ist sehr, sehr gering.”
Wie viele Mikroexpressionen gibt es? Und was hat es mit den acht Kanälen auf sich, die Sie auslesen können?
Dirk Eilert: “Grundsätzlich gibt es im Gesicht 44 verschiedene Bewegungen. Wenn diese untereinander kombiniert werden, ergibt das 10.000 mögliche ‘Gesichter’. Diese Gesichter haben aber nicht alle eine Bedeutung in der Mimik.
Im 20. Jahrhundert haben wir uns in der Forschung nur auf die Mimik konzentriert, also nur ganz statisch das Gesicht ausgelesen. Inzwischen ist die Forschung weiter. Heute werten wir mehrere Kanäle in der Körpersprache gleichzeitig aus. Neben der Mimik geht es um die Kopfhaltung, die Gestik, die Körperhaltung, die Stimme, die Psychophysiologie (unbewusste Körperreaktionen wie Schwitzen oder die Atmung), um das interpersonelle Bewegungsverhalten (Berührungen, Blickkontakt, Zuwendung, Abwendung) und um das Fuß-Bein-Verhalten. Das sind meine acht Kanäle, auf die ich im Zusammenspiel achte.
Dazu eine Quizfrage: Was ist der Unterschied zwischen Freude, Liebe und Stolz im Gesichtsausdruck? Tatsächlich sehen wir bei diesen drei Emotionen immer ein Lächeln und sogenannte ‘lachende Augen’. Was ist also der Unterschied? Bei Liebe legen wir den Kopf leicht zur Seite. Und bei Stolz geht der Kopf etwas nach oben und wird in den Nacken gelegt. Daran sieht man: Würde man die Kopfhaltung ausklammern, gäbe es Liebe und Stolz nicht und wir könnten nur Freude wahrnehmen.
Im 20. Jahrhundert hat Ekmann deswegen zunächst nur sieben Basis-Emotionen beschrieben, nämlich Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Trauer und Freude. Diese Emotionen zeigen sich in reiner Form in der Mimik, deswegen bezeichne ich sie als rein mimische Emotionen.
Rechnet man Emotionen hinzu, die sich in Kombination mit anderen Bewegungen ausdrücken, dann kommen wir heute auf einen Stand von 30 Emotionen, die das menschliche Empfinden recht gut abbilden. Sogenannte multimodale Emotionen wären etwa Rührung, Stolz, Liebe, Verlegenheit und Scham.
Ab welchem Alter kann man Gesichter lesen?
Dirk Eilert: “In der Mimik und in der Körpersprache kann ich ja immer nur erkennen, was an Emotionen tatsächlich vorhanden ist. Bei kleinen Kindern sind diese Emotionen aber noch in der Entwicklung.
Die heutige Emotionsforschung geht davon aus, dass wir nach der Geburt erst einmal nur so etwas wie Lust und Unlust empfinden können. Das differenziert sich dann mit der Zeit aus. Aus Lust wird so auch Freude und Liebe. Stolz ist etwa eine Emotion, die sich erst mit fünf oder sechs Jahren richtig entwickelt.
Ein richtiges Ich-Gefühl, das für viele Emotionen die Basis bildet, ist erst mit etwa zwei Jahren ausgereift. In dieser Zeit schafft man es auch erstmals, etwa alleine auf die Toilette zu gehen. Das sorgt bei den Eltern für sichtbare Freude und das Kind merkt: Aha, ich habe etwas richtig gemacht. Als Kind entwickelt man auf diese Weise durch das mimische Feedback Konzepte davon, was richtig ist und was falsch. Daraus entsteht eine Idealvorstellung von einem selbst und einem richtigen Verhalten. Irgendwann brauche ich die Freude von Außen nicht mehr, um etwas Erreichtes positiv zu bewerten – und man empfindest zum ersten Mal Stolz.
Daraus geht hervor, dass man manche Emotionen bei Kindern noch nicht erkennen kann, weil es sie noch gar nicht gibt. Es wird intensiver, je älter die Kinder sind.
Kann man auch Autisten lesen?
Dirk Eilert: “Beim Autismus ist es anders. Eine Studie hat gezeigt, dass bei Autisten nicht nur die Emotionserkennung, sondern auch der eigene Emotionsausdruck reduziert ist. Da kann ich Emotionen natürlich viel schwieriger beobachten, weil die ganze Körpersprache eben im Ausdruck reduziert ist.
Studien zeigen aber auch: Wenn man Autisten in der Emotionserkennung schult, dann wird auch ihr eigener Emotionsausdruck wieder stärker. Da gibt es also Zusammenhänge in den emotionsverarbeitenden Prozessen.”
Sind die Mikroexpressionen eigentlich bei allen Menschen gleich, egal, ob sie jetzt vom Süd- oder vom Nordpol kommen?
Dirk Eilert: “Die meisten Mikroexpressionen und damit auch die meisten Emotionen sind tatsächlich kulturübergreifend identisch.
Was sich unterscheidet, sind oft nur die sozialen Darstellungsregeln. So drückt sich Ärger etwa kulturübergreifend gleich aus.
Es gibt aber Kulturen wie die asiatische, die vor allem auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sind. Bei uns in Deutschland und noch stärker in den USA liegt der Fokus aber auf dem Individualwohl. Wir Deutschen und erst recht die Amerikaner drücken Ärger viel leichter, freier und häufiger aus als der typische Asiate. Dort werden unangenehme Emotionen oft hinter einem Lächeln versteckt.
Hinzu kommt der sogenannte Cross-Race-Effekt. Uns Europäern fällt es schwer, asiatische Gesichter auseinanderzuhalten. Das geht den Asiaten mit uns Europäern ganz genauso. Eine Folge: Schauen wir in die Gesichter anderer Ethnien, haben wir Probleme damit, Emotionen zu lesen, auch wenn die Bewegungen im Gesicht exakt die selben sind wie in europäischen Gesichtern. Diese beiden Faktoren sorgen dafür, dass man mitunter das Gefühl bekommt, dass die Mimik kulturell bedingt eine andere ist.”
Sie sind der Experte, Sie beschäftigen sich täglich mit Mikroexpressionen. Wenn Sie in einen neuen Raum hineinkommen und Gespräche mit anderen Menschen beginnen, “lesen” Sie dann automatisch in der Mimik dieser Personen? Oder kann man das abstellen?
Dirk Eilert: “Wenn ich einmal gelernt habe, Emotionen zu erkennen und Mikroexpressionen wahrzunehmen, dann kann ich dieses Lesen nicht mehr ausstellen.
Die Frage ist: Warum sollte ich das auch tun? Letztlich geht es doch nur um das Training der eigenen Empathie. Man sieht die Gefühle anderer Menschen und hat auch eine Idee davon, wie man damit umgeht.
Spannend ist: Die Forschung zeigt uns, dass es Unterschiede zwischen verschiedenen Empathieformen gibt. Die Hirnforschung beweist, dass dabei auch unterschiedliche Netzwerke aktiviert werden.
Bei der affektiven Empathie geht es um eine emotionale ‘Ansteckung’ frei nach dem Motto ‘Ich fühle, was du fühlst’. Jemand ist traurig und man spürt selbst die Trauer. Bei der kognitiven Empathie heißt es eher: ‘Ich sehe und verstehe, wie du dich fühlst’. Man nimmt aber die Gefühle nicht selbst persönlich an.
Affektive Empathie führt bei helfenden Berufen oft zu einem Problem, weil man dann etwa den Stress der Patienten zu seinem eigenen Stress macht. Eine kognitive Empathie erlaubt es, ein Problem zu sehen und zu verstehen, zugleich aber eine professionelle Distanz zu wahren, um dann auch noch voll handlungsfähig zu sein.
Das ist für uns etwa wichtig bei der Therapie von Traumapatienten. Da bemerken wir jede Emotion, weil wir sehen müssen, wie es den Patienten geht. Aber ich muss diese Emotionen nicht selbst mitspüren.”
Wenn man weiß, was Sie tun: Bekommen die Menschen da nicht ein bisschen Angst vor Ihnen? Frei nach dem Motto: Der Eilert, der kann mir bis in die Abgründe meiner Seele schauen!
Dirk Eilert: “Sebastian Fitzek sagt immer so schön: Am liebsten geht er mit mir ins Dunkelrestaurant.”
Es gibt Situationen, da ist es mir sehr wichtig, was mein Gegenüber gerade von mir hält. Etwa bei einem Vorstellungsgespräch für einen neuen Job. Beim ersten Vorsprechen bei den Eltern der neuen Freundin. Wie kann ich erkennen, ob ich gut ankomme?
Dirk Eilert: “Also zunächst einmal muss man sich eine Frage im Kopf formulieren, auf die man eine Antwort sucht. Die Frage wäre hier: Wie komme ich an, habe ich gute Karten?
Ich habe sieben mimische Einwandssignale formuliert, die mir verraten, ob mein Gegenüber gerade einen Einwand hat. Diese sieben Signale kann ich in der Praxis am schnellsten beobachten und darauf auch reagieren. Zwei Signale sind oben im Gesicht zu sehen, zwei im mittleren Gesicht, drei im unteren Gesicht.
Ich fange einmal oben an. Mein Gegenüber zieht die Augen auf. Das ist keine Mikroexpression, das dauert länger. Das steht für Ungläubigkeit. Was? Mit diesem Typ kommt meine Tochter nach Hause?
Skepsis kommt als Mikroexpression daher. Es ist ein kurzes Zusammenziehen der Augenbrauen. Dieser Typ soll es sein? Na, ich weiß ja nicht.
Im mittleren Gesicht sehen wir ein Rümpfen der Nase. Das steht für Ablehnung, alternativ für Skepsis. Ein Signal für Ablehnung kann auch ein Hochziehen der Oberlippe sein, ebenfalls als Mikroexpression zu sehen.
Im unteren Gesicht kann man ein einseitiges Einpressen des Mundwinkels beobachten. Das steht für Skepsis. Der sogenannte Facial Shrug, der steht für Ungläubigkeit. Hier werden beide Mundwinkel stark nach unten gezogen. Auch das Schürzen der Lippen gehört in diesem Kontext zu den Einwandsignalen.
Wichtig ist nun, was man in einem so wichtigen Gespräch mit der Information anfängt, dass mein Gegenüber skeptisch, ablehnend und ungläubig ist. Mein Tipp ist der: Sieht man eines der sieben mimischen Einwandsignale, spricht man es einfach an. Etwa: ‘Ich habe das Gefühl, Sie sind noch nicht ganz überzeugt’. Man formuliert eine Resonanzaussage. Und dann schaut man, was passiert.”
Kann ich mein Gesicht so sehr kontrollieren, dass es eben keine verräterischen Mikroexpressionen mehr zeigt?
Dirk Eilert: “Nein, das funktioniert nicht. Es sei denn, Sie lassen Ihr gesamtes Gesicht mit Botox behandeln.
Wir sind gerade dabei, mit meinem Kollegen Alexander Hopf eine Studie aufzusetzen, um eine hier sehr spannende Fragestellung zu klären: Wenn ich mich schon für Botox entscheide, wie dosiere ich es, damit noch ein natürlicher Ausdruck der Mimik erhalten bleibt?
Denn, und das ist durchaus spannend, Botox kann durch die Lähmung der Gesichtsmuskeln auch unsere Empathie lähmen.
Es gibt eine Studie von 2012, in der es um Menschen mit jahrelangen Depressionen geht, die auf eine gängige Therapie nicht angesprochen haben. Da hat man Botox gezielt in die ‘Trauermuskeln’ injiziert, die die Augenbrauen zusammen- und innen hochziehen. Und festgestellt, dass die Depressionssymptome um 60 Prozent zurückgegangen sind, weil man den Trauerausdruck in der Mimik gehemmt hat. Das ist ganz spannend für die Emotionsregulation.
Und noch ein interessanter Fakt. Wir sind ja soziale Wesen und leben von den Rückmeldungen unseres Gegenübers. Das lächelt, zeigt Mimik, gibt uns Bestätigung oder Ablehnung. Mit Botox bin ich irgendwann glatt im Gesicht, aber unter Umständen einsam, weil ich anderen Menschen kein mimisches Feedback mehr gebe. Das kann verunsichern, sodass andere irritiert sind, wenn sie mit mir sprechen.
Es gibt ein ganz dramatisches Experiment, das sogenannte ‘Still Face Experiment’ aus der Entwicklungspsychologie. Da kann man auch einmal bei YouTube danach suchen. Man sieht hier etwa ein Baby, das mit seiner Mutter spielt und interagiert. Von jetzt auf gleich soll die Mutter aber jede mimische Expression einstellen und nicht mehr auf das Kind reagieren.
Allein die Vorstellung davon ist schon der Horror für alle Eltern. Und was passiert? Das Baby fängt nach kürzester Zeit an zu schreien und zu weinen. Es ist massiv gestresst, weil es auf diese sozialen Rückmeldungen angewiesen ist.
Als Erwachsene schreien und weinen wir nicht mehr. Aber wenn uns jemand gegenüber sitzt, die Arme verschränkt und keine Miene verzieht, dann bekommen die meisten Menschen doch ziemlich schnell Stress.”
Jetzt ist es in unserer Gesellschaft so, dass wir deutlich seltener in andere Gesichter schauen, sondern uns lieber mit dem Smartphone beschäftigen. Gerade in den TikTok-Videoschnippseln fällt auf, dass die Menschen in diesen Filmen Emotionen und Mimik komplett übertreiben. Was macht das mit uns?
Dirk Eilert: “Es hängt davon ab. Es gibt Untersuchungen, dass etwa Animationsfilme durchaus die Empathie fördern können. Die Mimik muss nur korrekt sein. Fatal wird es eben, wenn die Mimik nicht nur übertrieben, sondern auch noch falsch dargestellt wird.
Generell ist es so, dass Smartphones durchaus auch Fähigkeiten fördern können. Ich bin kein Freund von Ego-Shootern, aber Studien zeigen, dass Ego-Shooter die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen, also definitiv eine Fähigkeit trainieren.
Ich sehe das Problem darin, dass Smartphones Erfahrungsblocker sind und das gerade in jungen Jahren. In meiner Kindheit, als wir so zehn bis zwölf Jahre alt waren, da haben wir auf einer Geburtstagsfeier alle miteinander gespielt. Heute gucken viele nur in ihr Handy. So blockt das Handy meine Chance dafür ab, zusammen mit meinen Freunden neue Erfahrungen im sozialen Miteinander zu sammeln.
Die Frage ist also nicht, was macht das Smartphone mit uns, sondern was verhindert es. Die sozialen Erfahrungen, die auf diese Weise wegfallen – das ist fatal.”
Ich bin leidenschaftlicher Poker-Spieler. Kann ich denn die Wissenschaft der Mikroexpressionen benutzen, um herauszufinden, ob mein Gegenüber blufft oder wirklich ein starkes Blatt hat?
Dirk Eilert: “Das ist ein sehr komplexes Thema. Nehmen wir einmal an, wir sehen versteckte Freude im Gesicht eines Pokerspielers. Das kann Zweierlei bedeuten. Der Spieler hat ein gutes Blatt und unterdrückt die Freude, damit die anderen denken, er würde bluffen. Oder er unterdrückt die Freude, weil er einen mutigen Bluff spielt und sieht, dass er tatsächlich damit durchkommt.
Tatsächlich bringt das auch alle Studien zur Lügenerkennung ins Wanken. Es gibt kein Signal, das eindeutig eine Lüge enttarnt. Das ist ein Mythos. Es gibt keine Pinocchio-Nase, das muss man ganz klar sagen.”
Gibt es denn Mimiksignale, die gar nicht universell sind, sondern typisch nur für eine Person?
Dirk Eilert: “In der Mimikresonanz unterscheiden wir 170 Signaleinheiten, die auf die acht bereits erwähnten nonverbalen Kanäle verteilt sind. In der Deutung dieser Signaleinheiten müssen wir eine wichtige Unterscheidung machen zwischen universalen Signalen und den idiosynkratischen. Universale Signale sind die, die man bei allen Menschen auf der Welt beobachten kann. Und idiosynkratisch sind Signale, die typisch nur für einen Menschen sind.
Ein Beispiel für eine idiosynkratische Mimik sieht man beim bekannten Fußball-Trainer Jürgen Klopp. Ich habe mir zig Talkshows mit ihm angesehen. Dabei ist mir bei ihm etwas aufgefallen, das ich nun den ‘Journalisten-Blick’ genannt habe.
Wenn Jürgen Klopp eine Frage nicht gefällt oder er ganz anderer Meinung ist, dann macht er Folgendes: Er schiebt das Kinn nach vorne, er schürzt die Lippen und er schiebt die Zunge vor.
Klopp spricht ja fast alles aus, was er gerade denkt. Und so weiß ich bereits, gleich passiert etwas, wenn ich diesen speziellen Journalisten-Blick sehe.
Dieser Journalisten-Blick, den habe ich viele Male bei Jürgen Klopp beobachtet, das ist ein klares Einwands-Signal, aber eben kein universelles, sondern ein idiosynkratisches, das typisch nur für ihn ist.” (Fragen / Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 232 (7/2025).
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