Kristina Hölzel: Regionale Geschichte (5) – Indizien der Zeit

Am Beispiel einer Ansicht des Seegefelder Gutshauses kommt die Frage auf: Wie kann ich als Laie alte Postkarten oder Fotos zeitlich einordnen. Erste Fotos entstanden in Deutschland bereits 1837. Die erste ohne Umschlag versandte deutsche Bildpostkarte stammt aus dem Jahr 1866. Postkarten galten schnell als preiswerte Alternative zum Brief.
Die mit einfarbigen Lithographien gestaltete Postkarte wurde ab 1894 mit mehrfarbigen Chromolithografien bunt. Ab 1914 bis 1965 setzten sich Echtfotografien in schwarz/weiß oder coloriert bis hin zu farbigen Echtfotokarten bzw. Vielfarbdrucken durch. Die Themen reichten in ihrer Blütezeit zwischen 1897 bis 1914 über Glückwünsche, Stadt- und Landansichten, Kunst, Militaria, Erotik und Propaganda.
Die Adressseite war ursprünglich nur für Briefmarke, Poststempel und Adressierung bestimmt. Für persönliche Mitteilungen beschriftete man deshalb bis ca. 1905 die Bildseite. Wenn der Poststempel unleserlich ist, kann man sich zunächst an der Beschriftungsseite orientieren.
Wir sehen auf dem Bild oben das in der Mitte des 18. Jahrhunderts vom Adelsgeschlecht der Ribbecks umgebaute Seegefelder Gutshaus mit intakter Freitreppe. Auf der Terrasse steht eine barock anmutende Laterne. Die sehr dicht ans Haus gepflanzte Linde fehlt auf mir bekannten späteren Ansichten. Im rechten Bildvordergrund sind einige gelagerte Holzleitern zu sehen. Rechts an der Giebelseite erkennen wir einen umzäunten Bereich. Alles Indizien.
Was sehen wir nicht? Wenn wir die Perspektive erweitern könnten, würde rechts direkt hinter dem Gutshaus die Seegefelder Kirche auftauchen, an der sich bis zum Jahr 1830 noch der Seegefelder Friedhof befand. Das Gutshaus stand also im Bereich des heutigen „Brunnen-Parkplatzes“. Sein rechter Giebel zeigte zur damaligen Dorfstraße. Würde man heute auf seiner Freitreppe stehen, könnte man den Blick über die plakatierte „Neue Mitte“, den noch unbebauten Vorplatz der alten Stadthalle, schweifen lassen.
Zurück zum Bild. Links am Gutshaus steht der kleine Eiskeller, der vermutlich eine Treppe nach unten in kühlere Bereiche besaß. Hinter dem Eiskeller beginnt der Gutspark, der um 1900 noch von Wasser, Morast, Hecken, Stacheldraht und Mauerwerk umgeben war. Ich ordne die Entstehung des Fotos zwischen 1905 und 1915 ein.
Was wurde aus den Ribbecks? Ihre Seegefelder Herrschaft dauerte von 1572 bis 1803. 1822 entschlossen sie sich dann in politisch unsicheren Zeiten, das Rittergut mit seinen Ländereien zu verkaufen. Danach hatte das Gut bis 1898 wechselnde Besitzer. Der letzte Besitzer war der bekannte Bernhard Ehlers (1848-1919). Er behielt nach dem 1898 vollzogenen Verkauf des Gutes aber den Seegefelder Kernbereich mit dem Gutshaus und -park. Seine Erben übergaben 1925 das Herrenhaus der Kommune zur Nutzung. Sein letztes Kapitel begann 1933 mit dem Umbau zur Falkenseer NSdAP-Parteizentrale. Die wirtschaftlichen Gebäude wurden damals schon abgetragen. Zum Eiskeller gibt es Hinweise auf ein Gefängnis. Die begonnene bauliche Umgestaltung des Parks endete mit Kriegsbeginn.
Unzerstört diente das Gutshaus 1945 zunächst der Flüchtlingsversorgung, auch der sowjetischen Kommandantur, der Polizei und der kommunalen Verwaltung.
Der Ortschronist Fritz Müller (1886 – 1978) richtete nach Zeitzeugenberichten im Keller seine erste heimatkundliche Sammlung ein.
Doch der politische Wille zum Erhalt des Gutshauses fehlte. Der Hauch der alten Zeit sollte mit dem Abriss 1959/60 getilgt werden. Dabei entdeckte man neben dem Haupteingang eine Sandsteinplatte mit der Jahreszahl 1692! Indizien für ein noch älteres Gebäude. Der Bereich des Gutsparkes ist heute Bodendenkmal.
(Quellen: u.a. Prof. Dr. Wagner, Fritz Müller „Dorfgeschichten“)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 229 (4/2025).
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