Kristina Hölzel: Regionale Geschichte (2) – Alter Finkenkrug

Nordwestlich von Falkensee liegt der Brieselang, ein legendäres Waldgebiet. An der Landstraße, die durch den Brieselang führt, konnte man bereits um das Jahr 1700 herum eine auf Landkarten verzeichnete wirtschaftliche Ansiedlung finden. Vor Ort wurde zunächst Holzteer gewonnen. Das ist eine über ein Destillationsverfahren hergestellte bitumenartige Masse, mit der man u.a. Wagenräder schmieren und Holz konservieren konnte. Man kann sich den beißenden Geruch in der Umgebung recht gut vorstellen.
Der Name “Finckenkrug” wurde erstmals 1710 anlässlich einer Taufe in einem Kirchenbuch urkundlich erwähnt. Letzter Teerofenbrenner vor Ort war übrigens ein Johannes Albrecht, der Ofenbetrieb endete um 1754.
Oberjäger Carl Friedrich Bracklow errichtete dann im Jahr 1777 an dieser Stelle im Wald einen Vier-Seit-Hof mit einer allerersten Krugwirtschaft. Somit gilt dieses Jahr als Gründungsjahr der Gastronomie “Finkenkrug”.
Der “Finkenkrug” lag günstig an der Postroute zwischen Spandau und Nauen, zwischen dem urwaldähnlichen Wald des Brieselang und dem Falkenhagener Forst, der bis zum Ende der deutschen Monarchie königliches Jagdgebiet war.
Mit der Eröffnung der neuen Heerstraße (heute ist das die B5) ebbte der Verkehr über diesen alten Postweg ab.
Theodor Schmidt, ab 1839 neuer Besitzer des “Krugs”, erahnte die Vorteile des neuen revolutionären Verkehrsmittels Eisenbahn und erreichte bei höheren Beamten der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft, dass ab 1850 sonntäglich Sonderzüge zwischen Berlin und Finkenkrug verkehrten. Mit der Einrichtung eines regelmäßigen Eisenbahn-Vorortverkehrs stieg ab 1881 die Zahl der Ausflügler weiter, obwohl im Umfeld noch gar niemand wohnte.
Zu jeder Jahreszeit war die Krugwirtschaft ein echter Anziehungspunkt, übrigens auch für manche politische Versammlung der 1848/49er Revolutionsjahre, die in Fontanes späteren Erzählungen lebhaft ausgeschmückt wurden.
Der “Finkenkrug” präsentierte sich derweil als Doppelwirtschaft, links der Straße mit Kaffeeausschank und Kegelbahn, rechts mit Bier und einem Büchsenstand (Schießstand). Was für eine Mischung – und das mitten in der ruhigen Natur!
Das Umland hatte Magnetwirkung: Längst waren Tegel, Steglitz, Zehlendorf und Potsdam von zahlreichen Berlinern überschwemmte sonntägliche Ausflugsziele.
Ein weiterer Besuch Fontanes zu Pfingsten 1870 veranlasste ihn zu folgenden Lobeshymnen und förderte weiter den Zustrom an interessierten Entdeckern und versierten Kennern: “… doch ist der Finkenkrug an der südlichsten Stelle der Südhälfte (des Brieselang d.A.) gelegen, ein bloßes Portal, durch das man hindurch muss, um in die eigentliche Schönheit des Waldes einzutreten; nicht diesseits liegt die Herrlichkeit, sondern jenseits, und alles, was den Brieselang ausmacht, seinen Charakter, seine Erinnerungen, seine Schätze, alles liegt drüber hinaus. Der Finkenkrug ist nur eine erste Etappe.”
Was viele nicht wissen: Fontane fuhr mit der Bahn bis Seegefeld und hat sich zu Fuß nach Finkenkrug aufgemacht. Er berichtet davon im Juni 1871 in drei Sonntagsbeiträgen der Vossischen Zeitung.
Fontane wurde von Ortskundigen bei seinen hiesigen Erkundungen ausführlich über die “Walddiebe” informiert. Das waren zu seinem Erstaunen nicht nur Kräutersammler, sondern auch Insektenjäger, Eierdiebe sowie Vogel-, Frosch-, Schlangen- und sogar Ameisenjäger.
Die Glanzzeit des nun “Alter Finkenkrug” genannten Hofs hatte begonnen, sie dauerte rund vierzig Jahre lang. Auch wenn einige wackere Wanderer wie Fontane die Strecke vom Bahnhof Seegefeld zum “Krug” zu Fuß antraten, so nutzten die meisten wohl den Falkenhagener Kutscher, der mit seinem grün gestrichenen und von zwei Pferden gezogenen Leiterwagen das Publikum zum Ausflugsort kutschierte.
Doch warum heißt der Ausflugsort seit über hundert Jahren nun auf einmal “Alter Finkenkrug”? 1892 entstand ein neues großes Fachwerkhaus mit Restaurant und Pension und 1893 das Gartenrestaurant “Neuer Finkenkrug” genau dort, wo sich heute nördlich der Bahn ein Parkplatz befindet.
Jubiläum und Totentanz
1927 titelte die Berliner Morgenpost “Berlins ältester Ausflugsort” und freute sich auf das 150. Jubiläum vom “Alten Finkenkrug”.
Am 12. Juni 1927 zog ein Festumzug mit rund 3.000 Teilnehmern und 13 Festwagen von Seegefeld zum “Alten Finkenkrug”. Dort wurde auf der Bühne eines extra errichteten Freilichttheaters mit 1.200 Sitzplätzen ein Festspiel in zehn Bildern aufgeführt. Ganze acht Tage dauerten die Festlichkeiten.
An der Schwelle zur Automobilität installierte man sogar zwei Olex-Benzin-Handpumpen für die mobilere Kundschaft.
Der Wirtschaftsbetrieb der Familie Schmidt ging Generationen zuvor an die Tochter über. Robert Grüneberg, der “Kartenknipser” vom Bahnhof Finkenkrug, heiratete in die Besitzerfamilie ein. Dank der steilen Karriere von Robert Grüneberg im Dritten Reich avancierte der “Alte Finkenkrug” zur Dienststelle der NSDAP-Kreisleitung Nauen.
Die Schlacht um die Reichshauptstadt Berlin hatte am 16. April 1945 begonnen. Vermutlich am 22. April 1945 floh der Kreisleiter der NSDAP Robert Grüneberg mit seiner Sekretärin gen Elbe, dorthin, wo man die Amerikaner vermuten konnte. Er ließ seine Frau Friederike und die beiden Kinder zurück. Die Frau suchte im nahen Wald mit den Kindern Schutz. Sie war sicherlich nicht in der Lage gewesen, dem Rat des Ehemannes zu folgen, und sich und die Kinder umzubringen.
Manche Quellen munkeln, dass der “Alte Finkenkrug” damals vom flüchtenden Besitzer Schmidt selbst mit einer Panzerfaust in Brand geschossen wurde. Man soll zu dem Zeitpunkt einen dumpfen Knall in näherer Umgebung gehört haben.
Im Mai 1945 begann die Polizei im Auftrag der sowjetischen Kommandantur die Trümmer abzutragen und auch den Grünebergschen Bunker zu schleifen. Dabei fand man im Südwestteil des Wohnhauses weibliche Leichenteile und zwei tote Kinder sowie ausgebrannte Benzinkanister. So erzählt man sich nun, dass der flüchtende Vater, ohne es zu wissen, Frau und Kinder mit der Panzerfaust ermordet hat.
Verwertbare Dokumente waren durch die Hitzeeinwirkung im gesamten Haus verbrannt. Die Kriminalisten zogen sogar einen Chemiker für die Ermittlungen hinzu, die in einem Protokoll “Suchaktion Alter Finkenkrug” vom 27. Juni 1945 abschließend dokumentiert wurden.
Die an den Abrissarbeiten Beteiligten wurden am 19. Juni 1945 aus dem Wald heraus beschossen. Wer könnte das zu diesem Zeitpunkt noch gewagt haben?
Sowjetische Soldaten machten sich auf die Suche und fanden ein Munitionslager u.a. mit zehn Panzerfäusten, 100 Gewehrgranaten und 500 Schuss Munition. Vom Schützen wird nichts berichtet.
Epilog: Der große Ausschanksaal verfiel rasch und wurde 1946 abgetragen.
Was wurde aus Grüneberg? Der forschte in den 1960ern selbst beim Standesamt Falkensee nach seinen Angehörigen. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde Friederike Grüneberg mit ihren zwei Söhnen für tot erklärt.
Die Sekretärin wurde nach Kriegsende verhaftet, kam ins Lager des sowjetischen Geheimdienstes Sachsenhausen und wurde 1948 nach Finkenkrug entlassen.
Im Buch “100 Jahre Falkensee” wird auf Seite 105 berichtet, dass die Frau und ihre beiden Kinder 1945 auf der seit 1781 bestehenden Erbbegräbnisstelle bestattet wurden. Ich habe aber hier gleich vier Gräber entdeckt, alle mit der gleichen Profilbetoneinfassung und ohne Stein. Wieder ein Rätsel mehr.
Ein weiterhin bewohntes Fachwerkgebäude finden wir noch heute an der Nauener Chaussee. Auf der anderen Seite der Chaussee waren früher der Sommerausschank, die Schießbude sowie ein Schießstand zu finden. Dahinter soll sich der alte Teerofen befunden haben. Der Weg dahin ist 2010 auf Satellitaufnahmen noch immer schwach zu erkennen gewesen. Vor Jahrhunderten qualmten Meiler und Teerofen. Am Ende die Trümmer. 1975 rückte der Wald in der Nähe vom “Alten Finkenkrug” wieder in die Schlagzeilen, man berichtete in der “Märkischen Volksstimme” über eine Elch-Sichtung.
Quellen: u.a. Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Heimatjahrbuch für Falkensee und Umgebung 2002, 2010, 2017, 2025 und “Dorfgeschichten” – Fritz Müller u.a., Rhinow, Buch „100 Jahre Falkensee“ 1923 erschienen.
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 226 (1/2025).
Seitenabrufe seit 8.06.2025:
Kennen Sie schon unsere Gratis-App?
Apple – https://unserhavelland.de/appapple
Android – https://unserhavelland.de/appandroid
Anzeige
