Unser Havelland und EDEKA Dorfmann Zukunftsmarkt Video-Podcast (1): Im Gespräch mit Christian Lohse

Der erste Gast für unsere neue Interview-Reihe: Das war Christian Lohse (57), der in Bad Oeynhausen geboren wurde, inzwischen aber in Falkensee lebt. Der beliebte Fernsehkoch hat in zahlreichen Sterne-Restaurants gekocht, selbst mehrere Restaurants betrieben, war Privatkoch vom Sultan von Brunei und war der erste Koch, der im PALAZZO Berlin das Publikum verwöhnt hat. Zuletzt hat er 15 Jahre lang das “Fischers Fritz” im “Regent Berlin” am Gendarmenmarkt geführt.
“Unser Havelland” startet mit einem neuen Format. Einmal im Monat laden wir uns eine interessante Person aus dem Havelland ein, um ein halbstündiges Gespräch mit vorbereiteten Fragen zu führen. So können wir ein Interview präsentieren, das bewusst den Rahmen sprengt und ein wenig mehr in die Tiefe geht.
Das Interview wird gekürzt und gestrafft auf vier Seiten im Magazin abgedruckt und auf die Homepage www.unserhavelland.de gestellt.
Zugleich nehmen wir es aber auch auf Video auf, das Sie auf unserem YouTube-Kanal (www.youtube.com/UnserHavelland) abrufen können. Bei der Erstellung des Videos hat uns in diesem Monat Marvin Zinke aus Brandenburg an der Havel geholfen.
Unser Interview findet immer vor Live-Publikum statt und zwar in der “Überschaubar” im neuen EDEKA Dorfmann Zukunftsmarkt in Nauen (www.zukunftsmarkt-dorfmann.de) – das ist zurzeit der nachhaltigste EDEKA-Markt in ganz Deutschland. Christian Dorfmann war sofort bereit, unserem neuen YouTube-Podcast eine feste Heimat zu geben.
Der erste Gast für die neue Interview-Reihe? Das war Christian Lohse (57), der in Bad Oeynhausen geboren wurde, inzwischen aber in Falkensee lebt. Der beliebte Fernsehkoch hat in zahlreichen Sterne-Restaurants gekocht, selbst mehrere Restaurants betrieben, war Privatkoch vom Sultan von Brunei und war der erste Koch, der im PALAZZO Berlin das Publikum verwöhnt hat. Zuletzt hat er 15 Jahre lang das “Fischers Fritz” im “Regent Berlin” am Gendarmenmarkt geführt.
Inzwischen hat der 2-Sterne-Koch mit seiner Frau Rike den “1a Lohses Salon” (www.derlohse.de) in seinem Falkenseer Privathaus ins Leben gerufen. Acht bis zehn Gäste kommen zum Sternekoch nach Hause und bekommen ein edles Menü serviert.
Wenn man ein kleiner Junge ist, möchte man Feuerwehrmann, Polizist oder Lokführer zu werden. Wie kommt man auf die Idee, es stattdessen lieber als Koch zu versuchen?
Christian Lohse: “Dafür braucht man eine Familie mit gesundem Verstand und mit großer Freude am Essen und am Trinken.
Ich hatte auch noch einen Vater, der Möbelhersteller war, und der mich auf seinen Wegen durch Europa gern mitgenommen hat, wenn er seine Produzenten besucht hat. Ich glaube, mein Vater hat die Produzenten seiner Möbel insgeheim danach ausgesucht, ob es in ihrer Nähe etwas Tolles zu essen gab. So bin ich schon sehr früh in sehr gute Restaurants ausgeführt worden, ganz egal, ob mit oder ohne Stern. So entstand vielleicht schon irgendwie die Leidenschaft, Koch zu werden.
Es gab bei mir in der Familie aber auch noch weitere Vorbilder. Meine Großmutter hat immer mittags gekocht, und meine Mutter war abends an der Reihe. So ging das von Montag bis Freitag. Und am Samstag hat mein Vater die Kochbücher der Kochstars konsultiert und für die ganze Familie eine große Küche gekocht. Dabei ist er bestimmt ein paar Mal von Bad Oeynhausen, wo ich aufgewachsen bin, zwei Stunden lang bis nach Essen und zurück gefahren, um dort die allerbesten Zutaten zu besorgen.
Mein Onkel Willi hatte außerdem eine Farm in Frankreich. Zweitausend Schafe standen da auf der Weide. Der Willi war Selbstversorger. Bei ihm habe ich auch das erste Mal in meinem Leben geschlachtet.
Und natürlich wurde in Frankreich richtig intensiv gegessen. Gleich am Morgen gab es selbstgebackene Croissants, mittags eine leichte Suppe und abends wurde oppulent gespeist mit bis zu fünf Gängen. Das prägt ungemein.”
Du hast ja deine Kochlehre nicht irgendwo absolviert, sondern gleich im 2-Sterne-Restaurant Jean-Pierre Billoux in Dijon, Frankreich. Wie ist dir das denn gelungen?
Christian Lohse: “Ja, wie kommt man da hin? Das ist doch ganz einfach: Man fährt mit dem Zug hin und fängt die Lehre an.
So einfach war es natürlich nicht. Ich habe eine Bewerbung geschrieben, war ungefähr acht Mal in dem Unternehmen vorstellig und habe mehrere Male telefoniert. Irgendwann hat der Leiter entschieden, wenn sich jemand aus dem befreundeten Deutschland schon so intensiv um eine Lehrstelle bemüht, dann geben wir ihm doch eine Chance. Das war damals schon ein Wagnis für einen Franzosen, einen Deutschen in seine Küche zu lassen. Die Franzosen galten ja als die Edeldomäne des Essens und des Trinkens. Aber er hat mich aufgenommen und meine Mühen belohnt, indem er mich mit einem sehr guten Handwerk ausgestattet hat.”
Aber es war ja gleich ein Zwei-Sterne-Restaurant. War das nicht eine echt harte Lehrzeit?
Christian Lohse: “Die harte Lehrzeit fing damit an, dass ich in Bad Oeynhausen in der Schule einen Französisch-Leistungskurs besucht habe und mir in Frankreich nicht einmal ein Bier bestellen konnte. Aber wir haben Sartre gelesen. Da hat die Schule wirklich vollkommen am Thema vorbei unterrichtet.
Auch das war hart: Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich richtig hart arbeiten. Morgens um acht ging es bereits in der Küche los und erst um Mitternacht war Schluss. Ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis ich meinen ersten Urlaub bekommen habe. Da war ich schon sehr erschöpft.
Damals wurde auch noch eine volle 6-Tage-Woche gearbeitet. Und am siebenten Tag musste ich mir auch noch ein bisschen Geld dazuverdienen, denn ich wollte unbedingt auf eigenen Beinen stehen. Das ist mir auch gelungen.”
Der normale Bürger kennt Schnitzel, Pasta, Pizza und Döner. Das Besondere des Fine Dinings und der Sterne-Küche ist schwer zu vermitteln. Wie kann man das am besten erklären?
Christian Lohse: “Die Sterne-Küche ist eine besondere Form der Hochkultur, heruntergebrochen auf die Küche.
Es gibt da einen guten Vergleich aus der Musik. Da gibt es zunächst einmal ein ganz normales Trio, das zusammenspielt. Dann gibt es ein Kinderorchester. Auf dem nächsten Level stehen bereits die Berliner Philharmoniker. Und dann gibt es da noch die Mailänder Scala. Ein musikalischer Hochgenuss.
Hier sind wir dann auf einem Level mit der Sterne-Küche angekommen. In diesem Bereich arbeiten sehr gut ausgebildete Mitarbeiter mit besonders guten Lebensmitteln, die in dieser Qualität nicht in großen Mengen zu beziehen sind.
Im Moment gibt es für mein Empfinden zu viel Sterne-Gastronomie in Deutschland. Als ich mit einem eigenen Restaurant angefangen habe, gab es drei Restaurants mit drei Sternen, acht mit zwei Sternen und 85 mit einem Stern. Heute sind es zehn mit drei Sternen, 51 mit zwei Sternen und 279 mit einen Stern, wenn ich mich nicht irre.”
Wenn es um die Sterne-Küche geht, meckern viele über die kleinteilige “Pinzettenküche” und mosern, dass sie von den Portionen nicht satt werden.
Christian Lohse: “Das ist Blödsinn. Wenn ich bei einem Sterne-Essen, das oft über mehrere Stunden geht und mehrere Gänge einschließt, sieben oder acht Gänge hinter mich bringe, dann gibt es da schon einen großen kalorischen Wert, den ich zu mir nehme. Und natürlich wird man davon satt.
Es wird ja auch kritisiert, dass die Sterne-Küche zu teuer ist. Aber man nimmt einfach einen Teil seines Geldes, um diese besondere Schönheit auf dem Teller zu erleben. Andere investieren viel Geld in eine Golf-Mitgliedschaft und sind dann sechs Stunden auf dem Golfplatz. Bei uns sitzt man vier, fünf Stunden im Restaurant.
Man muss sich nur entscheiden, was man möchte in seinem Leben. Für viele Menschen ist es eben ein schönes Erlebnis, ein perfekt choreografiertes Essen mit Topprodukten auf dem Teller zu genießen.”
Man kann ja als Koch nicht selbst postulieren, dass man zwei Sterne wert ist. Man muss von außen bewertet werden. Darum kümmert sich u.a. der Guide Michelin. Wie bereitet man sich auf den Besuch der Restauranttester vor?
Christian Lohse: “Beim Guide Michelin ist es so: Das ist ein absolutes Geschäft der Diskretion. Die Herrschaften kommen, wann immer sie das wollen. Dabei kündigen sie sich nicht an. Wenn es um den zweiten oder dritten Stern geht, kommen sie auch ein paar Mal öfter als noch beim ersten Stern.
Ich habe irgendwann für mich festgestellt: Die Inspektoren vom Guide Michelin, zu denen auch zunehmend Frauen gehören, machen ihre Arbeit. Und ich mach die meine. So kann man eine gute Partnerschaft führen. In der Sterne-Küche musst du dich ja eh jeden Tag um eine perfekte Hygiene und Sauberkeit, um Disziplin bei der Arbeit und um allerbeste Grundprodukte kümmern. Da bist du eh jeden Tag auf Top-Niveau.”
Die Sterne, die man einmal bekommen hat, die kann man auch verlieren, wenn man das Restaurant wechselt?
Christian Lohse: “Das kann man so pauschal nicht sagen. Das ist sicherlich auch eine Verhandlungssache. Ich habe meine Sterne bei einem Wechsel der Lokalität immer zurückgegeben und zwar aus einem einfachen Grund. Ich bin der Meinung, dass ein neues Umfeld und neue Mitarbeiter für ein ganz neues Klima sorgen.
Allein der Wechsel vom kleinen Dorf Oeynhausen mit seinen 35.000 Einwohnern in die Metropole Berlin war schon ein enormer Sprung. Das Berliner Umfeld ist ein ganz anderes. Die Lautstärke von Berlin, die langen Fahrtwege zur Arbeit und natürlich auch ganz neue Mitarbeiter, die erst einmal verstehen müssen, was der neue Kerl eigentlich für eine Stilistik hat: Da braucht es seine Zeit, bis sich alles einspielt. In meinem Restaurant im Regent im Grunewald hatte ich nach meinen beiden Sternen in Bad Oeynhausen erst nur einen Stern. Im Fischers Fritz im Regent am Gendarmenmarkt waren es wieder zwei.”
Du warst in den letzten Jahren oft im Fernsehen zu sehen, etwa bei “Game of Chefs”, “Die Küchenschlacht” oder “Grill den Henssler”. Warum schauen die Menschen so gern Kochsendungen, wenn sie das vor der Kamera zubereitete Essen gar nicht probieren können?
Christian Lohse: “Es ist eben eine sehr leichte Form des Entertainments. Man vergisst beim Zuschauen die Sorgen des Alltags. Hinzu kommt, das man sich von dem Handwerk Kochen sicherlich den einen oder anderen Kniff aneignen und in die eigene Küche mitnehmen kann.
Manchmal ist es aber natürlich auch im Fernsehen so, dass es ganz gut ist, wenn die Zuschauer nicht alles riechen und schmecken können, was da vor den Kameras zubereitet wurde.”
Hat es Spaß gemacht, für das Fernsehen zu drehen?
Christian Lohse: “Ja, durchaus. Ich habe ja auf acht Kanälen drehen dürfen. Da gab es zunächst Dokumentationen für Spiegel TV über Lebensmittelskandale und gruselige Produktionsverfahren. Dann bin ich ins Entertainment gewechselt. Hier habe ich besonders gern als Moderator gearbeitet. Ich glaube, das habe ich ganz gut gemacht. Ich kann den Menschen relativ zügig durch die Augen in die Seele schauen.”
Zuletzt hast du das “Christian Lohse’s Restaurant Fischers Fritz” im “Regent Berlin” am Gendarmenmarkt geführt – mit zwei Sternen im Guide Michelin und 19 Punkten im Gault Millau. Warum hast du damit aufgehört?
Christian Lohse: “Ich war genau 15 Jahre lang im Fischers Fritz in Berlin. Wir haben ja nicht nur zwei Sterne im Guide Michelin und 19 Punkte im Gault Millau geholt. Wir wurden auch in die kulinarische ‘Hall of Fame’ in New York aufgenommen – als einziges deutsches Restaurant. Die ‘New York Times’ hat da einen echten Narren an uns gefressen.
Wir waren ein sehr großes Sterne-Restaurant mit 120 Sitzplätzen. Wir hatten immer geöffnet und waren fast immer ausgebucht. Nur am Samstagabend, da gab es viele Zweiertische, da waren es nur noch 60 Gäste. Nebenbei haben wir auch noch die Bar geführt.
15 Jahre lang habe ich mit meinem Team die gesamte Gastronomie des Hotels bespielt. 15 Jahre, das ist eine ganze Dekade, das ist eine Generation. Das reicht. Dann ist es an der Zeit, etwas Neues zu machen. Ich war auch noch in einem guten Alter. Ich habe mit 50 Jahren aufgehört. Da hat man noch genug Kraft, um neue Wege einzuschlagen. Das ist auch schon wieder sieben Jahre her.”
Dann kam im Jahr 2020 Corona. Und Corona hat gerade in der Gastronomie alles geändert und auf den Kopf gestellt. Wie hat die Pandemie bei dir eingeschlagen?
Christian Lohse: “Corona war das größte Desaster, was ich lebendig am eigenen Leib erlebt habe. Ich sage immer, Corona war nach dem Zweiten Weltkrieg das Schlimmste, was wir in den letzten Jahrzehnten auf der ganzen Welt hatten.
Es war auch das allererste Mal in der Geschichte, dass unser ganzer Berufsstand Berufsverbot hatte. Das galt für uns Köche, aber auch für die Kellner, die Spüler und die Zuarbeiter. Ich habe in der Zeit meine Fernsehaufträge verloren. Ich habe das Kochen verloren. Ich konnte keine Caterings für 4.000 Personen mehr machen. Einzig und allein das Privatkochen für ein paar Gäste hier und da war noch machbar.
Meine letzte Beziehung hat das auch nicht ausgehalten.
Ich wollte keine Kochboxen packen und habe stattdessen eine Soßenfirma auf die Beine gestellt. ‘Lohses Soßen’ sind auch wirklich gut gelaufen. Bis vor zwei Jahren. Dann hat die Energiekrise im Land dafür gesorgt, dass die Preise für das Material durch die Decke geschossen sind. Ich bekomme einfach kein professionelles Glas mehr zu einem vernünftigen Preis. Somit ruht die Soßenfirma, aber ich habe noch nicht mit ihr abgeschlossen.
Am Ende der Corona-Zeit habe ich mich in einem Berliner Suite-Apartementhaus eingemietet, weil ich ja von meiner Frau getrennt war. Da hatte ich auf einmal Zeit, über alles nachzudenken und zu reflektieren, was ich falsch und was ich richtig gemacht hatte.
In dem Mietshaus mit den Suiten gab es Gemeinschaftsküchen in den Etagen. Und plötzlich war es so, dass ich jeden Tag in der Gemeinschaftsküche für alle Bewohner auf meiner Etage gekocht habe. So hatte ich auf einmal wieder Gäste – auch wenn es nur zehn waren.”
Was mir auffällt, ist, dass immer weniger Familien zu Hause kochen. Auf den Tisch kommen Fertiggerichte – oder es wird Essen beim Lieferdienst bestellt.
Christian Lohse: “Das ist ein großes Drama. Ich gehe ja so weit, dass gutes Essen und Trinken und das gemeinsame Sozialisieren am Tisch ein Staatsauftrag sein muss. Das muss in der Kita und in der Schule gelehrt und gefördert werden. Es ist ein Jammer, dass es keine Hauswirtschaftskurse mehr an den Schulen gibt. Ich hatte das noch – und ich habe 1987 Abitur gemacht.
Es fehlt einfach, dass wir uns einmal für eine Stunde gemeinsam und diszipliniert an einen Tisch setzen. Und davor wurde zwei Stunden lang gekocht. Und davor waren wir eine Stunde im Garten, um das zu ernten, was gegessen wird. Auf diese Weise würden wir in der Familie viel gemeinsame Zeit verbringen, um anschließend auch noch zusammen das leckere Essen am Tisch zu genießen.
Leider wird ja schon im Kindergarten fremdgekocht. Das Essen wird fertig angeliefert und die Kinder werden nicht in das Kochen einbezogen. Da fehlt tatsächlich der Staatsauftrag. Ich habe das einmal sehr kritisch bei den entscheidenden Leuten im Bundesministerium für Ernährung und Forstwirtschaft angesprochen. Da hieß es: Dafür haben wir keine Zeit!
Das ist schlimm. Noch schlimmer ist es, dass die Menschen entmündigt werden. Denn das Essen, das sie geliefert bekommen oder aus der Tüte kochen, das können sie nicht mehr beeinflussen oder manipulieren. Sie entscheiden nicht einmal mehr über die Grundzutaten mit.”
Ein Thema, das dich ebenfalls beschäftigt, ist “Zero Waste”. Du möchtest in der Küche nichts vergeuden. Das bedeutet, dass du die Lebensmittel, die ihr kauft, so vollständig wie nur irgendwie möglich verwertest. Bei dir geht es, glaube ich, sogar noch ein Stück weiter. Du möchtest auch auf Plastik und Alufolie verzichten?
Christian Lohse: “Vor zwanzig Jahren war ich auf einem Luxusboot unterwegs – von Island aus über Grönland im Sankt-Lorenz-Strom bis nach Kanada. Hinter Grönland gibt es einen Müllstrudel im Wasser, der ist so groß, da fährt man sechs Stunden dran entlang. Der Müllteppich ist von seiner Oberfläche her so groß wie Nordrhein-Westfalen.
Ich habe diese unfassbaren Mengen im Meer schwimmenden Müll, von dem man in der Zeitung liest, also mit eigenen Augen gesehen. Danach kam ich zurück ins Fischers Fritz in Berlin und habe vier Wochen lang den ganzen Müll gesammelt, den wir in der Küche produzieren. Alles, was an Aluminium, Styropor und Plastik da war, kam in einen 250-Liter-Müllsack. An Ende waren 25 Beutel voll.
Da habe ich von heute auf morgen damit aufgehört, mit Plastik, Aluminium und Styropor zu arbeiten. Das war eine große Umstellung, denn wir vakuumieren ja sehr viel. Die Umstellung war aber auch ein Vorteil, denn auf einmal hatten wir wieder Zeit für ganz andere Dinge. Plötzlich standen nicht mehr vier Leute die ganze Nacht an sechs Vakuumierungsmaschinen. Wir haben uns wieder aufs Kochen konzentriert. Und das praktiziere ich bis heute so.
Ich habe auch nur noch drei Jeans in meinem Schrank zu liegen, vier Kochhosen und ein paar T-Shirts, das reicht. Ich bin der Meinung, wir müssen viel vorsichtiger mit unserer Umwelt umgehen und uns selbst einen strengen Generationsvertrag auferlegen.
Das beginnt, und da schließt sich der Kreis, bereits bei den Lebensmitteln. Man kann unfassbar viele Dinge essen, die wir sonst immer wegwerfen. Wir verwenden alles weiter. Die Zwiebelschalen oder Abschnitte kommen so etwa in die Fonds und in die Brühen. Und am Ende kommen alle Reste auf den Kompost. Wir haben ein echtes Kreislaufsystem etabliert.”
Viele Köche, die ich kenne, möchten Zuhause nicht mehr kochen. Du schickst mir immer wieder ein Foto von einem Taschenkrebs aus der Bretagne oder einem tollen Braten, den ihr euch gerade privat zubereitet. In dir lodert also noch das Feuer?
Christian Lohse: “Ich habe im Fernsehen einen 3-Sterne-Koch erlebt, der tatsächlich gesagt hat, dass er das verdammte Milchlamm nicht mehr sehen kann.
Das kann ich nicht verstehen. Ich lechze jeden Tag nach dem Milchlamm. Weil es nicht bezahlbar ist. Und weil es wirklich etwas Besonderes ist.
Einem Koch, der Zuhause nicht mehr kochen möchte, würde ich raten: Wechsel deinen Beruf, such dir etwas Neues.
Ich kenne tatsächlich keinen Spitzenmusiker, der sein Instrument nicht auch Zuhause in die Hand nimmt. Es gibt auch keine Spitzenmusiker, die ein Sabbatical machen, um sich zu erholen. Im Gegenteil.
Ein berühmter Musiker, der Pianist Alfred Brendel, der ein guter Freund von mir ist, hat nach seinem Abschlusskonzert gesagt: ‘Ich habe zehn Tage in meinem Leben nicht gespielt. Ich musste das 100 Tage lang aufholen.’
Und das ist so. Das habe ich auch gemerkt. Ich habe einmal zehn Tage im Krankenhaus gelegen. Als ich danach in die Küche zurückgekehrt bin, fiel mir das Stehen ganz besonders schwer. Und ich habe sofort gemerkt, dass die automatisierten Abläufe und die technischen Handlungen zwar alle da waren, aber mir fehlte komplett der Flow.”
Du hast zuletzt zwei Sterne im Fischers Fritz gehabt. Das französische Restaurant Marc Meneau in Saint Père sous Vézelay, in dem du gearbeitet hast, hatte sogar drei Sterne. Trotzdem hast du keinerlei Probleme damit, deiner neuen Frau Rike in der Küche auch einmal die Bühne zu überlassen?
Christian Lohse: “Ja, damit habe ich keine Probleme. Kochen ist immer Teamarbeit. Das verträgt keinen Diktator und keine Solisten. Die Küche verträgt auch keine Gewaltkulisse, weil Kochen immer kreativ ist. Wir kochen sehr viel Zuhause, und wir kochen gerne zusammen. Ein Vorteil ist natürlich, dass meine Frau sehr gut kochen kann.
In unserem Haus ist die Küche klein, der Platz am Herd und am Ofen ist begrenzt. Da musst du lernen, Tango zu tanzen, damit du deinem Partner nicht immer auf den Füßen stehst. Das ist uns ganz gut gelungen, obwohl Rike Rechtshänderin ist und ich bin ein Linkshänder.
Wir wohnen ja inzwischen in Falkensee und haben hier den ‘1a Lohses Salon’ ins Leben gerufen. Da kochen wir zusammen für Gäste, die uns besuchen. Dafür haben wir uns jetzt so geeinigt, dass Rike sich um das formidable Brot kümmert, das sie selbst backt. Sie kümmert sich auch um die ersten kleinen Vorspeisen und bereitet die Desserts und die kleinen Süßigkeiten zu, die den Salon abschließen.”
Der “1a Lohses Salon”, das ist die neue Form, wie ich als Gast den Sternekoch Christian Lohse im Berliner Raum erleben kann. Wie ist hier das Konzept?
Christian Lohse: “Die Salon-Kultur hat gerade im Berliner Raum eine sehr große und lange Tradition. Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich in Paris, Berlin und Moskau Menschen aus völlig verschiedenen sozialen Schichten getroffen, um gemeinsam zu essen und zu trinken und sich über streitbare Themen zu unterhalten. Damals gab es eine sehr sympathische Streitkultur am Tisch. Man konnte sich streiten, ohne gleich beleidigt zu sein. Unvorstellbar in heutigen Zeiten.
Diese Salon-Kultur, die möchten wir in unserem eigenen Zuhause neu beleben. Dabei haben wir gesagt: Keine Politik, keine Drogen. Ansonsten bleibt das Prinzip bestehen: Wir sozialisieren bis zu zehn Personen bei uns am Tisch – und haben einen tollen Abend mit einem forbidablen Essen, edlen Weinen und guten Gesprächen.
Wir verwenden dabei unser Wohnzimmer als Aperitivraum, dort können wir auch einen Kamin anheizen. Wir haben eine große Terrasse, die wir auch beheizen können, einen schönen Gastraum mit einem großen Tisch, und die offene Küche, bei der man uns beim Kochen auf die Finger schauen kann.
Bei einem Salon gibt es immer ein von mir selbst zusammengestelltes Menü mit mehreren Gängen. Dabei frage ich vorher gern ab, was die Gäste nicht mögen oder vertragen – jedes Menü ist anders. Beim Salon braucht man sich um nichts zu sorgen. Meine Frau und ich kochen, und einige Aushilfen kümmern sich um die Gäste.
Wir sind zunächst auch nicht auf acht oder zehn Personen fixiert. Wenn einmal nur zwei Leute kommen, setzen Rike und ich uns einfach dazu und essen mit.
Auf diese Weise haben wir schon ganz tolle Leute kennengelernt. Erstaunlicherweise besuchen uns tatsächlich sehr viele Menschen aus Falkensee. Berlin rührt sich – wie immer – überhaupt nicht. Die Stadt ist überaus träge und wacht immer nur dann auf, wenn gerade eine Fußball-WM ansteht. Zu uns kommen aber auch ganz viele Leute aus dem Hamburger Raum, aus Frankfurt und Umgebung, aus dem Süden von München und auch ein paar Schweizer sind mit dabei.
Wir fangen mit unserem Salon bereits um 16 Uhr an. Um 22 Uhr muss Schluss sein, das haben wir mit den Nachbarn so vereinbart.
In unserem Salon bieten wir eine besondere Küche mit handverlesenen Zutaten und edlen Weinen. Das kostet. Wir fangen bei 99 Euro pro Person an, wenn wir ein Essen vom Monolith-Grill ansetzen. Nach oben hin sind im Salon freilich keine Grenzen gesetzt.”
Du bist jetzt Haveländer und Falkenseer geworden, hast also das Beste erreicht, was man in seinem Leben werden kann. Wie gefällt es dir bei uns in der Region?
Christian Lohse: “Ich habe mich tatsächlich in die Region verliebt. Was mir besonders gut gefällt, das ist dieses Entschleunigte, das liebe ich sehr.
Falkensee ist sehr sauber, wir haben einen guten Fleischer, es gibt einige vernünftige Geschäfte, und das Vorhandene reicht auch für so einen Ort völlig aus. Rike und ich sind hier tatsächlich angekommen.
Toll finden wir es, wenn die Ferien anfangen. Dann wird es am Samstag morgens etwas hektisch in der Nachbarschaft und dann tritt eine unglaubliche Ruhe ein.
Und wir sozialisieren uns immer mehr mit den Nachbarn. Ständig steht etwas vor der Tür. Das macht uns viel Spaß.”
Ich habe das Gefühl, dass die Falkenseer ihre Prominenten gern in Ruhe lassen und ihnen nicht auf die Nerven fallen.
Christian Lohse: “Also es steht keiner vor unserer Tür und möchte ein Autogramm haben, wenn du das meinst. Aber das ist auch so ein bisschen der Berliner Charakter. Da hieß es schon immer Leben und Leben lassen. Dieser Hype um die Prominenten, den veranstalten die Promis doch ganz oft selbst. Wenn die Prominenten nämlich einfach nur Menschen bleiben, werden sie auch wie Menschen behandelt und nicht wie Prominente.”
Lieber Christian, wir bedanken uns für das tolle Gespräch! (Fotos: CS, PH)
Unser YouTube-Video mit Christian Lohse sehen Sie HIER!
Unsen Artikel über 1a Lohses Salon finden Sie HIER!
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 226 (1/2025).
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