Scheibes Glosse: Hobbygruppen
Die Welt ist schlecht. Man kann gar nicht mehr vor die Tür gehen, ohne gleich angerempelt, beschimpft oder bepöbelt zu werden. Die Aggressivität der Leute nimmt exponenziell zu. Wie schön ist es da, sich zu den Menschen zu gesellen, die das gleiche Hobby pflegen. Da herrscht Harmonie, da geht man pfleglich miteinander um. Insbesondere die Hobby-Gruppen in den Sozialen Netzwerken sind eine Oase der Glückseligkeit.
Es ist so schön, wenn man Gleichgesinnte findet, die das gleiche Hobby teilen. Dabei kann es sich nur um besonders nette und gute Menschen handeln, die niemals ihre Stimme erheben und die in ihrer Gemeinschaft nur Harmonie und Freundschaft dulden. Unter Menschen, die sich für exakt das gleiche Hobby begeistern, ist man einfach per se nett, hilfsbereit und immer fürsorglich.
Aus genau diesem Grund bin ich bei Facebook Mitglied in verschiedenen Gruppen geworden, die sich höchst spezialisiert nur mit einem Thema beschäftigen.
Bei den Bogenschützen lade ich so etwa ganz stolz ein Foto von meinem Trefferbild auf 70 Meter Entfernung hoch. Nicht jeder Pfeil steckt im Gold der Zielscheibe, aber egal, wir haben ja alle mal klein angefangen – und waren froh, überhaupt die Scheibe getroffen zu haben. Ich hoffe auf aufmunternde Kommentare.
“Deine Pfeile ziehen nach rechts, du Opfer. Siehst du das nicht? Bist du zu blöd, deinen Bogen richtig einzustellen? Oder schielst du, du erbärmlicher Freizeit-Robin-Hood? Wenn du nicht schießen kannst, belästige uns nicht mit deinem Anfänger-Trefferbild. Du wirfst deine Pfeile bestimmt mit so nem Stöckchen mit Schnur dran. Kauf dir mal einen anständigen Bogen.”
Autsch. Das war ein Schwinger, der kam unerwartet. Und traf genau ins Zentrum meines Egos. Sicherlich ist der Ton in den anderen Gruppen etwas besser. Ich lande in meiner Poker-Blase und poste ein Foto, wie ich auf dem River doch noch das Full House baue und einen riesigen Pott gewinne. Schon schreibt jemand aus der Wir-haben-uns-alle-lieb-Zocker-Gang:
“Ich hasse Spieler wie dich. Das macht man einfach nicht: Mit so einer Grottenolm-Hand wie 7-2 alle Einsätze bezahlen, um dann aus reinem Zufall hinten raus noch ein Blatt zu bauen, das gewinnt – und dabei die beiden Asse zerschmettern, die eigentlich den Pot hätten holen sollen. Leute wie du machen Poker kaputt, so spielt man nur, wenn man sich gerade ein Kilo Crack auf Ex in die Nebenhöhlen gezimmert hat und die Karten nicht erkennen kann, weil man schielt. Säße ich bei dir am Tisch, würde ich dir meine Cola ins Gesicht kippen, du Pfeife.”
Ach du jeh. Was ist denn aus “Wer gewinnt, hat Recht” geworden?
Ich treffe meine Freundin Monika, die auf Facebook ebenfalls sehr aktiv ist. Ich erzähle ihr von meinen Erfahrungen. Das sei ihr nicht völlig unbekannt, erzählt sie: “Ich bin in einer Gruppe für Balkonblumen. Da ist eine Diskussion um die richtige Balkonbepflanzung so eskaliert, dass ich am Ende als gemeine Rassistin beschimpft wurde.”
Au weia. Ich gebe der Sache noch eine Chance und finde eine Gruppe, die sich mit Comics aus den 70er Jahren beschäftigt. Nostalgie und gemeinsame Erinnerungen gehen immer. Wir schwelgen gemeinsam in den alten Zeiten und zeigen uns abfotografierte Cover von “ZACK”, “Phantom”, “Die Spinne” und “Clever & Smart”. Auf einmal postet jemand ein Foto von einem “John Sinclair” Heftroman. Das war ein großer Fehler.
“Die Blödheit der Menschen kennt keine Grenzen. Du postest hier einen Roman und keinen Comic. Comic = Bilder. Roman = viele kleine Buchstaben. Verstehste? Bevor du hier also unsere Gruppe zuspamst mit Schrott, der uns nicht interessiert, guck doch wenigstens mal, ob dein Heftroman mehr Bilder hat als das eine auf dem Cover. Oder willste uns nur beweisen, dass du im Gegensatz zu uns schon lesen kannst, du Freizeit-Legastheniker?”
Nach so viel verbaler Pöbelei brauche ich dringend Harmonie. Ich flüchte in meine Florida-Gruppe Muschelsuche auf Sanibel Island. Hier werden nur Fotos von Muscheln gepostet, die man im warmen Sand gefunden hat. Dafür gibt es Wertschätzung pur. Normalerweise. Doch auch hier sorgt ein Foto für Aufregung.
“Auf deinem Foto sieht man wunderbar die Florida Fighting Conch, ein paar Kitten Paws, ein Kuhauge und eine Wendeltreppe. Aber da unten liegen auch Kauri-Schnecken im Bild, und zwar der Art Cypraea moneta. Die gibt es gar nicht in Florida. Die habe ich zuletzt auf Mauritius im Indischen Ozean gesammelt. Warum machst du das? Das ist Betrug. An der ganzen Gruppe. Ich möchte gern, dass der Admin das Foto löscht. Es ist Fake. Ich habe es auch schon in anderen Gruppen gesehen, etwa in ‘Muschelsuche in Südafrika’. Das ist gegen die Gruppenregeln.”
Ich gebe auf. Ich lege mich aufs Sofa und höre mir über Kopfhörer Pink Floyd an. Nur so finde ich inneren Frieden. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 224 (11/2024).
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