Kino-Filmkritik: Was ist schon normal?
Wenn die Franzosen eine Komödie drehen, dann menschelt es oft sehr. Zugleich reißen die Franzosen jede Barrikade ein und scheren sich einen Dreck um gesellschaftliche Tabus. Das macht die Filme so erfrischend authentisch. In diesem Jahr ist “Was ist schon normal?” der große Spaßmacher in den französischen Kinos. Über zehn Millionen Bürger haben ihn dort bereits gesehen – ein wahnsinniger Erfolg. Nun kommt die Komödie von Comedian Artus (Idee, Drehbuch, Regie und Hauptrolle) auch nach Deutschland.
Worum geht es? Paulo (Artus) und sein Vater (Clovis Cornillac) überfallen ein Juweliergeschäft. Als sie mit der Beute fliehen wollen, hat die Polizei bereits das Fluchtauto abgeschleppt – es stand auf einem Behindertenparkplatz. Schon bald wimmelt es überall vor Polizei – ein schneller Fluchtplan muss her. Da entdecken Vater und Sohn einen Reisebus, der junge Erwachsene mit Behinderung zu einer Ferienzeit auf das Land bringen soll. Sie warten nur noch auf einen weiteren Teilnehmer und seinen Betreuer. Prompt tut Paulo so, als sei er nicht ganz richtig im Kopf. Und sein Vater mimt den Betreuer.
Artus wollte einen Film nicht ÜBER Menschen mit Behinderungen drehen, sondern MIT ihnen. Das ist ihm vortrefflich gelungen. Er hat elf Laiendarsteller gecastet, die vorher noch nie vor der Kamera gestanden haben. Mit ihren unterschiedlichen Ticks, Spleens, Einschränkungen und ihrem ganz eigenen Humor entpuppen sie sich schon nach wenigen Minuten als die wahren Sympathieträger im Film, die mit ihrem ganz eigenen Humor für viele leise und laute Lacher sorgen.
Natürlich durchschauen sie sehr schnell, dass Paulo gar nicht bekloppt, sondern stattdessen ganz normal ist. Und sie schaffen es sogar, in dem harten Vater, der kettenrauchend, faul und egozentrisch jede Kooperation verweigert, eine weiche Seite wachzukitzeln.
Es macht unwahrscheinlich viel Spaß, Zeit mit dieser verrückten Truppe zu verbringen und ihre Probleme, Sorgen, die kleinen und großen Freuden und ihren verschmitzten Charme kennenzulernen. Das darzustellen, ist im Film bestens gelungen – und zugleich die beste Werbung für Inklusion.
Und natürlich geht es in “Was ist schon normal?” auch um die Liebe. Die Gruppenleiterin Alice (Alice Belaïdi) hat es Paulo sehr angetan. Aber werden ihn die schönen Tage auf dem Land dazu bringen, seine kriminelle Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen?
“Was ist schon normal?” wirkt noch lange nach. Es ist halt kein klassischer Film mit einer Geschichte oder einer Handlung, die zuvor schon zig Mal erzählt wurde. Da wirklich sämtliche Figuren in dem Film ganz besonders gut getroffen sind und Eindruck auf den Zuschauer machen, ist man schon bald völlig gefangen und möchte ganz genau wissen, wie die Geschichte für jede einzelne endet. Auch noch Tage nach dem Kinobesuch denkt man an die einzelnen Charaktere zurück und lässt das Geschehen noch einmal Revue passieren.
Zugleich präsentiert sich der Film so harmlos in Wort und Taten, dass man ihn ohne Probleme auch mit den Kindern, den Großeltern, mit Freunden oder dem Partner schauen kann.
Schön wäre es, wenn die Geschichte trotzdem mit diesem einen Film auserzählt bleibt. Es wäre schade, das Original mit einer halbherzigen Fortsetzung zu beschädigen. (CS / Bilder: SquareOne Entertainment)
Fazit: 4 von 5 Sternen (FSK: 0)
Spieldauer: 100 Minuten
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=Snm3_fBIYZ4
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 126 (9/2024).
Seitenabrufe seit 28.10.2024:
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