Wolfgang Sellenthin mit Zuckertüte: Seine Einschulung in Falkensee war vor 75 Jahren!

Die Einschulung mit der Zuckertüte in der Hand: So begann für uns alle einmal die Schullaufbahn. Bei Wolfgang Sellenthin (82), Alfred Krienitz (81), Wolfgang Nickel (82) und Irmgard Juhre (81, geborene Petzold) aus Falkensee ist dieser besondere Moment schon eine ganze Weile länger her. Sie wurden vor genau 75 Jahren in der Maxim-Gorki-Schule am Angerteich eingeschult. Das Jubiläum feierten sie am 4. September bei Bier und Pizza am Falkenhagener See.
Süßigkeiten, Spielzeug und weitere nette Überraschungen sind meist in der sogenannten Zuckertüte verborgen, die Kinder bei der Einschulung von ihren Eltern in die Hand gedrückt bekommen. Sicherlich auch, um den Übergang vom sorgenlosen Spielen zum täglichen Pauken etwas entspannter zu gestalten.
Bei manchen Havelländern mag die eigene Einschulung bereits fünf, zehn, zwanzig oder vielleicht sogar fünfzig Jahre her sein. Bei Wolfgang Sellenthin und seinen Schulfreunden von damals können locker noch einmal 25 Jahre hinzuaddiert werden: “Wir wurden 1949 eingeschult, das ist nun 75 Jahre her. Wir haben damals die Maxim-Gorki-Schule am Falkenseer Anger besucht. Aus der alten Schule ist heute das Haus am Anger geworden. Aus unserem Jahrgang sind doch noch sehr viele Schülerinnen und Schüler am Leben. Wir treffen uns inzwischen alle Vierteljahre, um unsere Zeit optimal zu nutzen. Bei unserem Jubiläumstreffen am 4. September waren noch zehn Frauen und Männer mit dabei. Wir sind ja inzwischen alle schon über 80 Jahre alt. Wir haben uns bei Donato Bellomo am Seepavillon am Falkenhagener See getroffen, um bei Bier, Wein und Pizza über die alten Zeiten zu sprechen.”
Da fragt man sich natürlich: Wie waren die alten Zeiten denn? Wie viele Kinder waren in einer Klasse, wie streng waren die Lehrer, hat man auch damals schon Blödsinn gemacht?
Alfred Krienitz: “Also wir waren damals so zwischen 25 und 30 Kinder in einer Klasse. Die Lehrer, ja, die waren sehr verschieden, es gab auch damals schon Quereinsteiger. Meine Lieblingslehrer, das waren Herr Stolze und Frau Rensch. Einen meiner Lehrer hat auch mein Sohn später noch einmal kennengelernt. Als ich zur Schule ging, hat meine Mutter höchstpersönlich meiner Lehrerin in der ersten Klasse die Erlaubnis gegeben, mir eine zu kleben, sollte ich zu frech sein. Und das ist auch passiert. Es gab aber auch einen guten Grund.”
Irmgard Juhre, die alle nur “Irmchen” nennen: “Das war Frau Bremer, die hatten wir nur in der ersten Klasse. Die war wie eine Mutter zu uns.”
Alfred Krienitz: “Ich bin in den ersten Wochen von zu Hause losgelaufen, aber nicht in der Schule angekommen. Ich habe auf dem halben Weg kehrt gemacht und bin heulend wieder zu Hause erschienen. Dann hat mich meine Mutter zur Schule gebracht – nur eben zu spät.”
Irmgard Juhre: “Ich bin auch zu spät zum Unterricht gekommen, weil ich vorher noch Kaulquappen gesucht habe.”
Wolfgang Sellenthin: “Ich hatte einen ähnlichen Schulweg wie der Alfred. So habe ich ihn auch schnell kennengelernt. Der Alfred kam immer relativ schnell in irgendwelche Streitigkeiten. Er hat dann auch oft sehr robust reagiert. Das habe ich fix erkannt und ihn mir sehr schnell zum Freund erwählt. Dann hat sich niemand mehr an mich herangetraut. Ich habe aber auch schon damals gemerkt, dass der Alfred eigentlich ein ganz ruhiger, zurückhaltender und behutsamer Mensch ist. Wenn man ihn nicht reizt. Im Verlauf unseres Lebens haben wir später sogar in der gleichen Firma zusammengearbeitet.”
Alfred Krienitz: “Na toll. Ich hab sogar Klassenkeile bekommen, weil ich so robust war. Ich hab mir die dann aber nacheinander vorgeknöpft. Einzeln. Und wenn ich nicht stark genug war, habe ich meine großen Brüder geholt, die zwei und vier Jahre älter waren.”
Aber wie hat sich der Unterricht damals von dem heute unterschieden?
Alfred Krienitz: “Ich glaube, dass wir damals nicht so schnell Einsen bekommen haben. Dafür musste man wirklich etwas tun. Heute denke ich manchmal: Was lernen die eigentlich? Die Kinder von heute bekommen ihre Einsen viel zu einfach.”
Wolfgang Sellenthin: “Das kann ich bestätigen. Ich kann mich erinnern, dass wir sehr oft bei Alfred in seiner gemütlichen Küche gesessen haben, um zusammen Hausaufgaben zu machen. Das hatte einen ganz anderen Charakter als heute.Und diese Hausaufgaben wurden auch ziemlich rigoros kontrolliert. Da wurde auch nichts übersehen. Mein großes Glück war, dass die Mutter von Alfred Abitur hatte. Meine Eltern hatten kein Abitur, da hatte ich kaum Hilfe im schulischen Bereich.”
Und damals gab es noch kein Internet.
Wolfgang Sellenthin: “Ja, Fakten für ein Referat in Erfahrung zu bringen, das war deutlich schwieriger als heute. Heute braucht man ja nur die Wikipedia aufzurufen. Damals mussten wir noch in die Bibliothek gehen und Bücher ausleihen.”
Wie ging es eigentlich nach der Schule weiter in der damaligen Zeit?
Wolfgang Sellenthin: “Der Alfred und ich, wir hatten nach der Schule keine Lust auf Abitur. Wir wollten Geld verdienen. So haben wir die Schule nach der achten Klasse verlassen. Wir sind beide nach Berlin gegangen und haben uns einen Job bei der Deutschen Reichsbahn besorgt. Wir haben eine dreijährige Lehre zum Fernmeldemechaniker absolviert, aber bereits während dieser Zeit festgestellt, dass das niemals unser Job sein kann, weil der so erbärmlich primitiv war. Deswegen haben wir schon während der Lehre die neunte Klasse an der Volkshochschule nachgeholt. Danach gab es die Möglichkeit, an einer sogenannten Arbeiter- und Bauernfakultät der Humboldt-Universität das Abitur nachzuholen. Wir haben dann sogar beide studiert.”
Wolfgang Nickel: “Ich habe die 8. Klasse mit Gut bestanden. Ich bin dann aber nicht zur Oberschule gegangen, obwohl die Lehrer gesagt haben, ich hätte das Zeug dafür. Ich wollte auch arbeiten und Geld verdienen. Ich habe 1957 eine Lehre angefangen zum Elektriker. Die Lehre habe ich 1960 beendet. Bis zur Rente habe ich als Elektriker gearbeitet, seit 1980 in der Berliner Staatsoper. Da hat auch die Wende nichts dran geändert.”
Irmgard Juhre: “Auch bei meinem Elternhaus standen die Lehrer vor der Tür und wollten, dass ich nach der 8. Klasse weitermache. Ich bin aber abgegangen – und war vor und nach der Wende Kita-Leiterin. Wir haben damals eine wirklich gute Ausbildung bekommen. Man hat damals auch in der Kita etwas erwartet von den Kindern.”
Wolfgang Sellenthin: “Wir hatten immer einen guten Zusammenhalt zwischen uns ehemaligen Klassenkameraden. So konnte ich drei Kolleginnen nur deswegen einstellen, weil Irmchen mir geholfen hat, einen Kitaplatz für deren Kinder zu besorgen, obwohl sie auch schon hundertprozentig voll war.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 223 (10/2024).
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