“Sanssouci war nicht mehr frei”: Liane Kirchner aus Falkensee stellt ihr erstes Buch vor!
Oh, wie spannend! Im Tatsachenroman “Sanssouci war nicht mehr frei” erzählt Liane Kirchner eine Episode aus ihrer Familiengeschichte. Es geht um eine spektakuläre Flucht aus dem berüchtigten DDR-Gefängnis “Bautzen II” – vom einzigen Insassen, dem diese Flucht jemals gelungen ist. Noch interessanter wird das am 2. September bei Droemer erscheinende Buch für alle Havelländer, weil die Autorin Liane Kirchner in Falkensee lebt. Bei unserem Besuch erzählte sie uns auch, warum Hera Lind das Vorwort verfasst hat.
Liane Kirchner (53) ist eine gestandene Frau – und Mutter von sechs Kindern. Mit ihrem Mann und fünf Kindern, die noch nicht vollständig flügge sind, lebt sie in Falkensee – in einem großen Haus mit einem bunten Garten. Liane Kirchner lacht sehr viel und erzählt nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihren Händen, die wild gestikulierend durch die Luft fliegen.
Dabei ist die Geschichte, von der die frischgebackene Autorin in ihrem Erstlingswerk erzählt, durchaus keine humorvolle Erzählung. Denn im Roman “Sanssouci war nicht mehr frei”, der am 2. September beim bekannten Verlag Droemer als Taschenbuch erscheint, geht es um ein dunkles und gefährliches Kapitel aus der eigenen Familiengeschichte.
Der Verlag fasst das 288 dicke Buch wie folgt zusammen: “1961 trennt der Bau der Berliner Mauer mehr als 13.000 Familien – auch die von Liane Kirchner. Dieter Hötger, der Ehemann ihrer Großmutter, gräbt zusammen mit einem Freund 1962 einen Tunnel vom Westen in den Osten Berlins. Sie wollen beide ihre Familien zu sich holen, doch ihr Plan wird verraten: Am Tunnelausgang erwartet sie eine Maschinengewehrsalve der Stasi. Der Freund ist sofort tot, Dieter Hötger überlebt schwer verletzt und landet schließlich im berüchtigten DDR-Gefängnis Bautzen II. Seine Frau Brigitte steckt man ins Frauengefängnis Hoheneck, ihr kleiner Sohn Axel wird in Arrest genommen. Nach jahrelanger Einzelhaft gelingt dem willensstarken Dieter als einzigem Insassen in der Geschichte von Bautzen II. die Flucht.”
Und: “Familiendrama und Zeitzeugnis – zu Herzen gehend offen erzählt: Liane Kirchner erzählt tief bewegend von dem Trauma, das Gewalt und Willkür des DDR-Regimes ihrer Familie zugefügt haben. Und sie erzählt von Willenskraft, vom Sich-nicht-unterkriegen-lassen und dem Mut zu lieben.”
“Unser Havelland” traf Liane Kirchner Mitte Juli in Falkensee zu einem ersten Interview. Da war das Buch gerade im Druck.
Gleich die erste Frage zielte auf den Wohnort ab: Liebe Frau Kirchner, sind Sie eigentlich direkt in Falkensee aufgewachsen?
Liane Kirchner: “Nein, ich bin gebürtige Berlinerin, ich komme aus Pankow. Wir sind damals aus beruflichen Gründen nach Hessen gezogen. Mein Mann hat seine Ausbildung zum Lehrer in Hessen gemacht, sein Referendariat auch. Aber in Hessen bin ich nie so richtig angekommen. Ich wollte doch wieder zurück, ich brauche meine flachen Landschaften. Hier hatten wir noch viele Freunde, auch unsere beiden Eltern leben in der Region. Also sind wir nach sieben Jahren in Hessen wieder zurückgekommen. Wir hatten Glück: In Falkensee gab es vor acht, neun Jahren den ganz großen Boom noch nicht. So konnten wir uns ein Haus kaufen. Seitdem leben wir alle hier, mein Mann ist inzwischen Rektor einer Grundschule in Spandau. Mein ältester Sohn ist allerdings in Hessen geblieben, er wollte nach seinem Abi nicht umziehen. Er ist jetzt Bankkaufmann. Es war schwer für mich, ihn zurückzulassen. Am Anfang habe ich immer noch eine Portion für ihn mitgekocht.”
Wie ging es mit dem Schreiben los?
Liane Kirchner: “Ich bin in der DDR aufgewachsen und habe hier eine Ausbildung zum Facharbeiter für Schreibtechnik gemacht. Das kann man am besten mit der heutigen Bürokauffrau vergleichen. Das habe ich auch einige Jahre lang gemacht. Bis das dritte Kind kam. Danach war ich dann Zuhause.
Geschrieben habe ich schon in der Schule sehr gern. Aufsätze waren meine schönste Aufgabe im Deutschunterricht, dafür waren die Naturwissenschaften so gar nicht meins. Bei irgendeiner sozialistischen Veranstaltung auf der Bühne in einem Kino habe ich auch schon mal ein selbstgeschriebenes Gedicht vorgelesen.Dann habe ich lauter Sachen verfasst, über die man heute lachen würde. Für mich war das aber damals die Welt.
Dann kam plötzlich Hera Lind mit ihren Frauenromanen. Davor gab es für Frauen nur Liebesromane. Hera Linds Romane waren aber frech und keck, da hat auch mal eine Frau getrunken und sich danach übergeben. Das fand ich toll. Da gab es im Literaturbereich so eine neue deutsche Welle, da kamen dann diese kackfrechen Frauenromane heraus.
Es gab zu der Zeit einen Wettbewerb, doch auch einmal so einen Roman einzureichen. Damals wurde aber mein erster Sohn geboren, ich hatte keine Zeit mehr und habe das Abgabedatum nicht geschafft. Obwohl der Roman schon dreiviertel fertig war.
Lange Zeit bin ich das Thema Schreiben nicht mehr angegangen, bis ich in einem Geschichtsforum auf Facebook Artikel veröffentlicht habe, die sehr gut ankamen. Da habe ich tolles Feedback bekommen, das hat mich sehr bestärkt.
Dann habe ich eine Quizshow im Fernsehen gesehen, da war Hera Lind mit ihrem Mann zu Gast. Da hieß es auf einmal, sie macht Schreibseminare bei sich Zuhause in Salzburg – und jeder kann kommen. Mein Mann hat gesagt, wenn dich das glücklich macht, dann fahr doch für drei Tage dahin. Das habe ich tatsächlich gemacht – und so habe ich Hera Lind kennengelernt.
Am Ende des Seminars sollte jeder Teilnehmer eine Geschichte schreiben. Das Thema war – die eigene Kindheit. Da hat man drei Stunden lang Zeit und überlegt sich: Ja, was schreibe ich denn?”
Und dann kam es gleich zur autobiografischen Geschichte über die Flucht des Großvaters?
Liane Kirchner: “Ja, ich bin der Meinung, unsere Familiengeschichte beginnt mit dem Tunnelbau und dieser Flucht von meinem Stiefgroßvater aus dem Gefängnis, das war ja alles ein Riesending in den Medien damals, alle haben berichtet. Darauf baut alles auf – und die Geschichte erstreckt sich über drei Generationen.
Mein Vater war ja damals, als das passiert ist, selbst nur zehn Jahre alt – und sitzt auf einmal im Arrest. Seine Mutter war drei Jahre lang weggesperrt. Der Stiefvater, an den er sich gewöhnt hatte, war auch weg, Er wuchs bei meiner Urgroßmutter auf, bis seine Mutter wieder aus dem Gefängnis kam. Da war dann noch immer viel los, denn meine Oma musste sich einmal wöchentlich beim Rapport melden und war immer unter der Aufsicht der Stasi.
Für das Schreibseminar bei Hera Lind habe ich so zwei, drei Fenster aufgemacht und Abschnitte zusammengefasst. Das habe ich dann vorgelesen – und alle waren auf einmal ganz still. Ich musste beim Vortragen auch ein wenig schlucken und fast weinen. Dann hat die Hera Lind geredet und geredet und fand es toll und dass sie alle voll in der Geschichte stecken – und wie es denn nun weitergeht? Sie sagte am Ende: Du musst das alles aufschreiben, von vorne bis hinten, das ist doch dein Roman, dein Thema.”
Und dann haben Sie den Roman geschrieben?
Liane Kirchner: “Ich dachte nur: Mensch, Hera, ich hab doch noch nie ein Buch geschrieben. Und das mit der Familiengeschichte, das ist doch echt schwere Kost. Ich hätte gern mit etwas leichterer Literatur angefangen. Ich habe dann abends mit meinem Mann telefoniert, und der hat mich bestärkt. Er meinte, ich schaffe das schon.
Das muss so 2021 gewesen sein, mitten in der Corona-Pandemie. Ein ganzes Jahr habe ich an dem Buch geschrieben.Ich war da ganz diszipliniert. Wenn mit den Kindern alles abgehakt war, dann habe ich von 20 bis 23 Uhr geschrieben. Immer am Laptop und zwar mit der Software Papyrus, die Buchautoren besonders gern verwenden. Zwischendurch dachte ich oft, das schaffst du nicht. Da steckt ja auch unfassbar viel Recherche in dem Buch. Natürlich gibt es viel Fiktionalität, die Dialoge habe ich mir ja alle ausgedacht. Aber die reinen Fakten, die müssen ja schon stimmen.”
Die großen Verlage werden immer vorsichtiger. Als neuer Autor ist es sehr schwer, hier einen Vertrag zu bekommen. Wie hat das funktioniert?
Liane Kirchner: “Es war tatsächlich so, dass Hera Lind mir geholfen hat. Sie hat mein Manuskript mit in den Verlag genommen. Sie hat mir auch gesagt, am liebsten hätte sie die Geschichte selbst geschrieben, weil sie die Story so spannend fand. Sie schreibt seit 2010 ausschließlich thematisch ernste Tatsachenromane nach Lebensgeschichten, die sie zugeschickt bekommt. Das hätte sie bei mir und mit meinem Thema auch gern gemacht. Aber sie war auch fein damit, dass ich es selbst geschrieben habe. Sie hat das Vorwort beigesteuert.
Die Cheflektorin von Droemer und Knaur hat mein Manuskript dann gelesen. Sie fand es super, wie ich schreibe, und hat gesagt, ja, wir machen das.”
Musste viel nachlektoriert werden?
Liane Kirchner: “Davon ging ich aus, weil es ja mein erstes Buch war. Aber das war tatsächlich alles in zwei Tagen erledigt. Gerade vor der Arbeit mit dem Lektorat hatte ich die meiste Angst gehabt, weil ich so etwas ja noch nie zuvor gemacht hatte. Am Ende war es aber nicht viel, was ich korrigieren sollte. Grinsen muss ich immer, wenn ich daran zurückdenke, dass das Lektorat fand, ich schreibe zu oft ‘Scheiße’. Da habe ich gesagt, dass ist meinem Berlinerisch geschuldet. Wir sagen halt immerzu ‘Scheiße’. Die Lektorin sagte, ich solle das Scheiße-Sagen im Buch meinem Vater überlassen, weil der ruhig derbe sein sollte. Die anderen Personen sagen eher ‘Mist’ oder ‘Was zum Teufel?’.
Es wurde aber nichts umgebaut. Es wurde auch nichts gefunden, was zeitlich nicht korrekt gewesen wäre.
Der Titel vom Buch ist mein Titel, den habe ich mir ausgedacht – und auch durchbekommen. Das Titelbild hat der Verlag ausgesucht, damit hatte ich nichts zu tun, da gab es auch kein Mitspracherecht.”
Was ist denn eigentlich die Kernaussage von Ihrem Roman?
Liane Kirchner: “All diese furchtbaren Dinge, die bei Fluchtversuchen an der Grenze passiert sind, enden nicht damit, dass jemand verhaftet wird und der Versuch eben nicht klappt. So ein Fluchtversuch beeinflusst viele andere Leben gleich mit, auch die, die danach kommen.
Los ging es mit meiner Großmutter, die, als die Grenze noch offen war, einen Bürger aus West-Berlin geheiratet hat. Damit die Heirat überhaupt erlaubt wurde, musste sich ihr Mann aus dem Westen in der DDR einbürgern lassen. Dann kam 1961, und die Grenze wurde geschlossen.
Er ist noch im letzten Moment auf die Bahn aufgesprungen und war dann ‘drüben’. Meine Großmutter und ihren Sohn wollte er rüberholen – und hat deswegen zusammen mit einem Freund den Tunnel gegraben. Der Plan wurde verraten, der Freund erschossen. Der Mann meiner Großmutter wurde sieben Mal angeschossen. Er wurde notdürftig operiert, ist in Bautzen gelandet und wurde für neun Jahre inhaftiert. Von dort hat er zwei Fluchtversuche unternommen, einer ist geglückt. Er ist trotzdem wieder eingesperrt worden, der Westen hat ihn anschließend freigekauft.
Meine Oma kam nach drei Jahren wieder frei. Sie hat ein neues Lebensglück gefunden. Der Mann war aber ein hochrangiges Parteimitglied und arbeitete im Ministerium für den Außenhandel. Da gab es natürlich weiter Schwierigkeiten, Schwierigkeiten, Schwierigkeiten.
Mein eigener Vater, der die Geschichte als kleiner Junge erlebt hatte, wurde später zum gewalttätigen Alkoholiker. Die Geschichte, die damit über drei Generationen reicht, erzählt auch, wie meine Mutter und ich uns aus dieser Misere befreit haben.”
Sie müssen doch bei der Recherche mit anderen Betroffenen aus der Familie gesprochen haben. Hat da niemand gesagt: Lass die Geschichte lieber ruhen?
Liane Kirchner: “Mein Vater ist verstorben. Meine Großmutter ist verstorben. Von all diesen Protagonisten gibt es nur noch meine Mutter und sie war einverstanden. Sonst hätte ich das Buch gar nicht geschrieben. Es kommen ja auch sehr intime und sehr brutale Dinge vor, die sie betreffen. Das hätte ich ohne ihr Einverständnis nie veröffentlicht.”
Jetzt ist die Familiengeschichte verarbeitet, ist die Schriftstellerkarriere damit wieder vorbei?
Liane Kirchner: “Nein, es geht weiter. Ich arbeite gerade am Prequel, also an der Vorgeschichte. Da wird die Geschichte meiner Großmutter erzählt, die damals als kleines Kind mit ihrer Mutter aus Pommern nach Berlin geflohen ist. Das Buch fängt 1919 in Pommern an, kurz nach dem ersten Weltkrieg.” (Text/Fotos: CS)
Liane Kirchner: Sanssouci war nicht mehr frei / Droemer TB, 288 Seiten, 11,99 €.
Hinweis: Am 5. Oktober gibt es ab 11 Uhr eine Signierstunde mit Liane Kirchner bei Thalia im Havelpark.
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 222 (9/2024).
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