Nation of Gondwana 2024: Das Musik-Festival in Grünefeld
Einmal im Jahr hören die Grashüpfer auf einem weitläufigen Grünstreifen im Ort Grünefeld auf zu zirpen. Es hätte eh keinen Sinn, niemand würde ihren filigranen Gesang noch hören. Denn einmal im Jahr übernehmen die Pyonen für drei Tage das Gelände und feiern mit 10.000 Freunden der elektronischen Musik die “Nation of Gondwana” (www.pyonen.de/nog2024/).
Vom 19. bis zum 21. Juli war es auch in diesem Jahr wieder so weit. In den sozialen Netzwerken hieß es: “Polychrome Proklamationen peitschen durch das jubilierende Pantheon der Pyonen! Verlasst eure Sorgenlandstriche und folgt dem telepathischen Ruf des Parallelweltuniversums!”
Und tatsächlich schwangen sich wieder tausende junger Leute auf ihr Fahrrad, um mit Zelt und Schlafsack auf dem Rücken nach Brandenburg und ins Havelland zu radeln.
Seit 1999 gibt es die “Nation of Gondwana” auf der großen Grünfläche in Grünefeld. Insgesamt existiert das Festival schon etwas länger. In diesem Jahr formte sich das lebensfreudige Tanz-Parallelweltuniversum bereits zum 30. Mal – eine echte Leistung, die jedes Jahr aufs Neue von Markus Ossevorth und seinem Team aus Berlin in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gestemmt wird.
Grünefeld ist übrigens ein kleiner Ortsteil von Schönwalde-Glien. Direkt hinter den letzten Häusern von Grünefeld liegt der kleine Waldsee mitten in einem Kiefernwald. Eine große angrenzende Grünfläche erlaubt es, vor Ort sowohl eine große Zeltstadt zu errichten, als auch die ganze Infrastruktur mit mehreren Bühnen, Bars, Toiletten, einem Food-Corner und zahlreichen Angeboten zur Zerstreuung und Unterhaltung aufzubauen.
Übrigens: In diesem Jahr kamen 92 Prozent der Besucher aus Deutschland, acht Prozent aus dem Rest der Welt. Die Berliner stellten das Gros der Festival-Gänger, danach folgten gleichauf die Brandenburger, die Bayern und die Sachsen.
Fun fact: 174 Toiletten warteten auf sie, deutlich mehr als im letzten Jahr (138) oder im vorletzten (80).
Hindernisse überwinden
Die Menschen, die zur “Nation of Gondwana” kommen, möchten gern in einer geschützten Umgebung Spaß haben. Sie sind mitunter freizügig gekleidet, lassen sich emotional fallen und haben keine Lust, sich morgen im Internet wiederzufinden. Aus diesem Grund gibt es bei der “Nation” ein Fotoverbot (unsere Fotos sind eine Ausnahme, mit strikter Zustimmung der fotografierten Menschen).
Benjamin Mossop ist bei den Pyonen mit für die Pressearbeit zuständig: “Zu unserem Konzept gehört es, dass wir gemeinsam feiern und dabei wertschätzend aufeinander achten. Sollte es doch einmal, was nur ganz selten passiert, zu einer übergriffigen Situation kommen, ist unser Awareness-Team sofort vor Ort, um die Situation zu entschärfen. Unsere Gäste gehen aber sehr pfleglich und respektvoll miteinander um. Der Altersdurchschnitt bewegt sich unseren Erfahrungen nach um die 35 Jahre herum.”
Das Festival hat sich zum Ziel gesetzt, barrierefreier zu werden. So vielen Menschen wie möglich, einschließlich Personen mit Behinderungen, soll eine angenehme und unbeschwerte Zeit geboten werden. Deshalb wurden Gelder bei der “Initiative Musik” beantragt, um Hindernisse zu reduzieren. Persönliche Assistenz, Wege- und Leitsysteme sollen hierzu beitragen.
Benjamin Mossop: “Komplett barrierefrei können wir jedoch nicht werden, weil wir ja auf einem unebenen Naturgelände feiern. Aber wir geben uns viel Mühe, um jeden möglichen Schritt zu gehen.”
So gab es vor Ort taktile 3D Miniaturabbildungen, an denen sich ertasten lässt, was sich wo auf dem Gelände befindet. Ein Willkommensteam nahm Menschen mit besonderen Erfordernissen an der Kasse in Empfang, zudem wurden spezielle Infopoints eingerichtet.
Benjamin Mossop: “Alles ist im Werden, wir arbeiten an der Barrierefreiheit.”
Interview mit dem Chef
Markus Ossevorth ist von Anfang an das Gesicht der “Nation of Gondwana”. Als Geschäftsführer kümmert er sich aber nicht nur um die Planung und Umsetzung, sondern auch um die Finanzen.
Lieber Herr Ossevorth, die “Nation” hat begonnen, die Sonne scheint, ist dieses Mal alles glattgegangen?
Markus Ossevorth: “Es geht nie alles glatt. Auf so einer großen Baustelle muss man auf alles vorbereitet sein. Wir haben hier 64 Gewerke, die koordiniert werden müssen. Allein der Aufbau hat 16 Tage gedauert.”
30 x “Nation of Gondwana”: Hat sich das Festival über die Jahre verändert?
Markus Ossevorth: “Das Festival ändert sich ständig – und es ist durchaus ein fester Bestandteil unseres Konzepts, dass wir nie stehen bleiben, sondern immer schauen, was wir anders und besser machen können. Ich sage immer gern: Routine ist unser größter Feind. In diesem Jahr haben wir uns viele richtig spektakuläre Dinge ausgedacht und große Umbauten vorgenommen. Das hat die Crew sehr gefordert. Trotzdem haben wir es geschafft, rechtzeitig fertig zu werden.”
Was hat sich denn geändert?
Markus Ossevorth: “Der Seefloor ist komplett umgestaltet worden. Wir haben die Bühne jetzt am Haus und die Bar auf dem Plateau – und einen sehr, sehr großen Dancefloor. Das haben zwei Berliner Architekten gestaltet – mit großen roten Theaterabspannungen rechts und links neben der Bühne.Wir haben eine neue Hauptbar, wir haben zusätzliche Lichtinstallationen, wir haben einen neuen Merchfloor gebaut und wir haben im Wäldchen eine neue Crew. Der Bei-Birke-Floor ist komplett umgestaltet worden mit einer neuen Lichtcrew. Die Deko hat große Baustellen bekommen mit zwei neuen Bars, die komplett neu gestaltet wurden.”
Wer sind die Leute, die auf das Festival gehen?
Markus Ossevorth: “Wir haben einen sehr hohen Anteil an Publikum, das fast jährlich kommt. Ich würde sagen, dass fast 80 Prozent unserer Besucher Stammgäste sind, die die Qualität der Veranstaltung zu schätzen wissen.”
Sie selbst sind mit der Location zufrieden?
Markus Ossevorth: “Der Standort ist großartig. Ich würde mir nur wünschen, dass wir hier mehr Infrastruktur stehen lassen könnten. Wir müssen ja jedes Jahr alles wieder von vorne aufbauen. Das ist schon sehr anstrengend und ein Nachteil gegenüber anderen Festivals, die feste Standorte haben. Aber dadurch, dass hier so viele verschiedene Eigentümer betroffen sind, ist das schon sehr schwer.”
Im Grunde genommen riskieren Sie in jedem Jahr ihre wirtschaftliche Existenz, wenn Sie die “Nation” angehen. Kann man das so sagen?
Markus Ossevorth: “Ja, das kann man so sagen: Ich riskiere jedes Jahr unsere Existenz. Die Produktionskosten dieser Veranstaltung liegen dieses Jahr bei 2,5 Millionen Euro. Da guckt man nicht nur auf den Wetterbericht, da guckt man auch immer auf die Vorverkaufszahlen.”
Aber für dieses Jahr sind Sie zufrieden?
Markus Ossevorth: “Ich bin sehr zufrieden und hoffe, dass ich das Festival nun auch genießen kann. Ich habe mir fest vorgenommen, am Sonntag nur noch als privater Gast hier zu sein, und den Tag zu feiern.”
Eine Zeltstadt entsteht
Ganz egal, ob im mitgebrachten Zelt, im Kofferraum des eigenen Autos oder im kleinen Camper: Um einen Schlafplatz kümmert sich jeder selbst. Auf der “Nation of Gondwana” entsteht so vom ersten Tag an eine gewaltige Zeltstadt, in der die Besucher der “Nation” immer dann eine private Zuflucht finden, wenn sie nach Stunden der Exstase eine Mütze Schlaf benötigen.
Interview: Bodo Oehme
Bodo Oehme ist der Bürgermeister der Gemeinde Schönwalde-Glien und damit auch von Grünefeld. Er gehörte am Freitag zu den ersten Besuchern auf der “Nation of Gondwana”.
Lieber Herr Oehme, hier in Grünefeld findet ein riesiges Musikfestival statt, das 10.000 fremde Menschen in Ihre beschauliche Region holt. Hat man da eher Angst oder findet man das toll?
Bodo Oehme: “Das findet man toll. Und wenn es Aufgaben gibt, die zu lösen sind, dann löst man die. Wir haben es bisher über all die Jahre immer wieder geschafft, kurze Wege zu finden.”
Und nicht nur das, eigentlich ist es ja so, dass die Gemeinde und das Festival sich gut miteinander verzahnt haben. Der Grünefelder Frauenchor tritt auf, die Freiwillige Feuerwehr Grünefeld hat hier einen eigenen Versorgungspunkt.
Bodo Oehme: “Ja, da passiert richtig viel. Wir haben ganz viele Freunde der ‘Nation’, die aus den Ortsteilen herbeieilen und hier auf dem Gelände mithelfen und mitmachen. Beim Aufbau, beim Umbau und beim Abbau hinterher. Es ist eine ganz wichtige Sache, dass bei so großen Veranstaltungen auch die Bevölkerung aus der Nachbarschaft mitgenommen wird. Ich sage: Die ‘Nation’ und Grünefeld, wir sind eine große Familie. Und das schon seit vielen Jahren.”
Es kommen so viele Leute aus ganz Deutschland ins Havelland, aber die Stimmung scheint sehr gut zu sein?
Bodo Oehme: “Man braucht hier keine Angst zu haben. Es geht hier alles wirklich sehr entspannt zu. Unter den normalen Festival-Besuchern werden Sie keinen finden, der irgendwie auf Krawall gebürstet ist. Die wollen feiern, die wollen etwas Schönes erleben.”
Und wenn die “Nation” nach drei Tagen vorbei ist, ist hier vor Ort wieder alles sauber?
Bodo Oehme: “Hier wird alles sauber hinterlassen, da gibt es gar nichts zu meckern.”
Hier wird elektronische Musik gespielt. Wird da der Bodo Oehme zum Techno-Bodo?
Bodo Oehme: “Ja, am Sonntag komme ich einmal ganz privat her und entdecke den Techno-Bodo in mir.”
Elektronische Musik
Die magische Komponente, die der “Nation of Gondwana” überhaupt erst ihr Leben einhaucht, ist die elektronische Musik. Die 10.000 Besucher, die auf der “Nation” feiern möchten, freuen sich schließlich darauf, Zeit und Raum beim Tanzen zur Musik komplett zu vergessen. Auch in diesem Jahr gab es wieder mehrere Bühnen auf dem weitläufigen Gelände, sodass mehrere DJs gleichzeitig ihr Set spielen konnten. Die Bühnen hießen “Wiese”, “See”, “Bei Birke”, “Spelunke” und “Wäldchen”.
56 Stunden Musik, Tag und Nacht gespielt und mit 103 kW Anlagenleistung in die Brandenburger Luft gedrückt, ließen die Besucher enthemmt tanzen. Wer an welchen Tagen zu welcher Uhrzeit auflegte, konnten die Besucher bereits im Vorfeld in den sozialen Netzwerken erfahren. Es gab einen entsprechenden Timetable aber auch auf dem Festival.
Vor Ort spielten mehrere Dutzend in der Szene bekannte Acts, darunter auch Jaxx TMS, Paquita Gordon, Narciss, Bläck Dävil, Amoral, Charon Styx, Zum Kuckuck, Ferdi, Saeko Killy, Mary Lake, Monokrom, best boy Electric, Detox Dan, Der Dritte Raum, Octave One und Oberheimer.
Fun Fact: Nachts sorgten die Laser und Lichteffekte für Stimmung. Tagsüber musste Nebel her: 600 Liter Nebelfluid wurden verbraucht.
Und jetzt ab in den See
Es gab schon Jahre, da schüttete es so viel Regen auf die “Nation of Gondwana”, dass das Partyvolk zum Teil evakuiert und zu ihrer eigenen Sicherheit in die Turnhalle einer Schönwalder Schule gebracht werden musste.
In diesem Jahr war der Himmel allerdings blau und fast wolkenfrei, die Sonne schien und die Temperaturen kletterten auf 30 Grad. Im Schatten.
Wie schön, dass es da auf dem Festivalgelände den kühlen Waldsee gibt. Der alte Kiesteich ist nicht besonders tief und lädt so zum hemmungslosen Planschen ein. Viele Gäste ließen es sich gut gehen und legten sich in riesige gelbe Ringe, um sich auf ihnen über das Wasser treiben zu lassen.
Badesachen vergessen? Das ist auf einem hedonistisch-lockeren Festival wie der “Nation of Gondwana” noch nie ein störendes Hindernis gewesen. Im Zweifelsfall springt man eben komplett textilfrei ins kühlende Nass. Und lässt sich anschließend von der Sonne wieder trocknen. Schilder wiesen darauf hin: Passt auf unsere Natur auf!
Rund um den See hatten die Veranstalter auch wieder viele kleine Chill-out-Areas aufgebaut, sodass man sich auf den vorbereiteten Flächen hinlegen und ausruhen konnte.
Grünefelder Frauenchor
“Ein bisschen Frieden” trällerte es am Festival-Samstag plötzlich um 12 Uhr mittags von der Seebühne aus in Richtung Waldsee. Weit über tausend junge Techno-Fans hatten nur auf diese ersten Noten gewartet. Sie rasteten völlig aus und feierten den auf der Bühne auftretenden Grünefelder Frauenchor frenetisch mit Applaus, lautem Mitsingen und Jubelrufen.
Seit 2015 ist der 1993 gegründete Frauenchor ein unverzichtbarer Bestandteil der “Nation of Gondwana”. Der in diesem Jahr 14 Singstimmen starke Chor eröffnet das dreitägige Musikfestival sogar immer ganz offiziell nach einer kurzen Rede von NOG-Gründer Markus Ossevorth.
Birgit Müller aus Grünefeld: “In diesem Jahr sind wir bereits zum zehnten Mal mit dabei. Als damals die Anfrage kam, ob wir denn auf der ‘Nation’ auftreten könnten, waren wir sehr skeptisch, ob uns die Festivalbesucher überhaupt akzeptieren. Aber dann habe ich gesagt: Was Wacken seine Blasmusik, ist Grünefeld sein Frauenchor. Und tatsächlich kommen wir sehr gut an auf dem Festival, wir werden auch immer wieder angesprochen, wenn wir durch die Menge laufen.”
Eine knappe halbe Stunde tritt der Chor immer vor der dicht gedrängt stehenden Masse auf. Da darf auch Markus Ossevorth mit einem eigenen Solo nicht fehlen. Er sang in diesem Jahr von Udo Jürgens den Song “Immer wieder geht die Sonne auf”.
Birgit Müller: “In der Corona-Zeit ist unsere eigene NOG-Hymne entstanden. Wir haben ‘Ohne dich (schlaf’ ich heut Nacht nicht ein)’ von der Münchener Freiheit auf die ‘Nation’ umgedichtet. Seitdem darf das Lied bei unserem Auftritt nie fehlen, wir wurden auch schon nach dem Text gefragt.”
Chorleiter vom Grünefelder Frauenchor ist Bodo Ritschel von den “Sugar Beats”. Er freute sich: In diesem Jahr wurde der Chor um zwei Zugaben gebeten. “Oh Happy Day” und “This Little Life of Mine” wurden gespielt.
Komm, wir essen was
Wer drei Tage auf einem Festival in der prallen Sonne verbringt, bekommt zunächst ordentlich Durst und dann auch mächtig Hunger.
Damit niemand mit viel Bargeld (nur für die Trinkgelder nötig) herumlaufen musste, wurde auf der “Nation of Gondwana” ein Cashless-System etabliert. Die Besucher bekamen ein Armband mit einem digitalen Chip umgebunden. Dieser Chip konnte an verschiedenen Stationen mit Geld aufgeladen werden. Mit diesem Guthaben bezahlte man dann an den verschiedenen Stationen.
Benjamin Mossop vom Orga-Team: “Wir haben hier auf dem nackten Acker wirklich eine kleine Stadt aufgebaut, mit einer funktionierenden Infrastruktur und auch mit einer eigenen Internet-Versorgung, unserem Eventnet. Nur so können die Armbänder auch ausgelesen werden.”
Direkt neben den großen Dancefloors auf dem Gelände gab es in der Regel immer auch eine Bar mit einem riesigen Getränkeangebot. Fun Fact: Im letzten Jahr wurden so etwa 6.000 Flaschen Sekt und 28.557 Flaschen Bier verbraucht.
Aber es geht auch ohne Alkohol. Für alle, die komplett trocken bleiben wollten, stand eine “Sober Bar” bereit – mit einem vielseitigen Angebot an alkoholfreien Getränken.
Beeindruckend: Zur “Nation of Gondwana” gehört immer auch ein Food Corner, auf dem Foodtrucks und Essensstationen aller Art zur kulinarischen Versorgung der Festival-Gäste beitragen. Die Freiwillige Feuerwehr Grünefeld schmeisst hier etwa jedes Jahr jede Menge Nackensteaks auf den Grill (siehe Foto oben).
Vor Ort fand man an den verschiedenen Ständen aber auch ordentlich etwas zu Essen vor, darunter Burger & Fries, Crispy Chicken, vegane Wraps, Apfelkrapfen und Handbrot, Spinatknödel, vegane Vöner, Yellow Curry, Currywurst, Kimchi Fries und Pizza aus dem mit Holz angefeuerten Ofen. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 221 (8/2024).
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