Scheibes Glosse: In einem Rutsch beim K.I.-Arzt

Lange habe ich mich geziert, aber jetzt habe ich mir endlich einen Termin gemacht. Bei einer dieser neuen Arztbuden, wo eigentlich gar kein Arzt mehr da ist, sondern nur noch eine Empfangsdame, die meine Kreditkarte durchzieht. Und trotzdem war es um meine Gesundheit noch nie so gut bestellt wie jetzt.
Ich liege vollständig entkleidet in der gläsernen Röhre. Die Füße stemme ich gegen zwei Metallstreben, mit den Händen halte ich mich an zwei Griffen fest. Es spielt leise Musik im Hintergrund. Ich bin ganz allein in dem Raum mit der Kammer. Das Licht ist gedimmt, nur ein paar Ambient-Strahler sorgen für Atmosphäre.
Ich bin so entspannt, dass mir die Füße einschlafen. Es kribbelt. Der wohltuende synthetische Stimmklang der Röhre zeigt mir sofort meinen Irrtum auf: “Patient XP3, der Scan beginnt bei Ihren Füßen. Sie spüren ein leichtes Kitzeln. Das liegt daran, dass wir Nagelpilz diagnostiziert haben. Wir lasern die oberen Schichten Ihrer Nägel weg und tragen eine Anti-Pilz-Creme auf.”
Das fühlt sich nicht einmal unangenehm an. Der Scanner fährt höher und entfernt vollautomatisch jeden einzelnen Leberfleck und jede kleine Krampfader. Das funktioniert völlig schmerzfrei, weil vorher stets eine kleine Portion Schmerzmittel in die Poren gedrückt wird. Ich spüre nur ein leises Ziepen – und denke mir: Die zweitausend Euro einmal im Jahr sind gut investiert. Danach sehe ich bestimmt glatt zehn Jahre jünger aus.
Gegen die beginnende Kniearthrose greift die Tiefenfräse, die alle Knochenoberflächen glättet. Von allen Seiten dringen unsichtbare Strahlen ins Fleisch, um sich an einem Wirkungspunkt zu vereinen. Die Stimme ertönt wieder: “Wir bauen nun neue synthetische Knorpelmasse auf.” Aber gerne doch, nur zu.
In der Körpermitte dauert der Scan etwas länger. Ich habe im Vorfeld angegeben, dass ich dieses Jahr 20 Prozent meiner Fettreserven loswerden möchte. Die gleichen Strahlen, die eben noch meine Knochen geglättet haben, lassen nun Fettzellen verdampfen. Die Stimme ertönt: “Patient XP3, bitte vergessen Sie nicht, nach der Behandlung viel zu trinken, um die Zellreste auszuspülen.”
Ich ahne es schon, die Gallensteine in der Gallenblase sind nachgewachsen, auch sie werden wieder verdampft. Danach zischt es plötzlich in der Herzregion: “Patient XP3, wir stellen bei Ihnen Rückstände und Plaques in den Arterien fest. Wir werden diese Plaques nun ganz vorsichtig verdampfen lassen. Wir empfehlen Ihnen aber eine ausgewogene mediterrane Kost mit wenig Fett.”
Ich höre, wie Seiten mit Rezeptvorschlägen ausgedruckt werden. Sie kommen in meine Akte. Ein letzter Anachronismus: Ich werde die Rezepte natürlich später auch in meiner App vorfinden, was brauche ich da Papier?
Meine Schilddrüsenwerte stimmen nicht, ich bekomme umgehend eine Spritze. Ich kenne das schon. Dabei wird eine kleine Metallkugel mit einem Medikament injiziert, dass ein Jahr lang jeden Tag eine kleine Dosis des Wirkstoffs abgibt. Die Stimme wieder: “Patient XP3, wir haben Ihnen im gleichen Zug Blut abgenommen und zehntausend verschiedene Analysen durchgeführt. Sie haben eine zehnprozentige Neigung zu Parkinson und eine vierprozentige für Alzheimer. Außerdem ist Ihre Tetanus-Impfung abgelaufen, wir haben sie erneuert.”
Leberflecken, Leberflecken. In den letzten Jahren sind wieder viele neu hinzugekommen. Es können aber auch Altersflecken sein. Mir doch egal, weg damit. Langsam genieße ich das kurze Zischen des Lasers. Danach wird immer eine kühlende Heilpaste aufgetragen, ich liebe das.
Unangenehm wird es nun am Kopf. Die Maschine findet Karies. Die kleine Stelle wird weggeätzt, die Delle mit sofort härtendem Zahnersatz nachmodelliert. Kleinste Werkzeugarme fahren in meinen Mund. Ich widerstehe dem Reiz, zuzubeißen.
Polypen werden keine erkannt, mit den Ohren ist auch alles in Ordnung. Aber die Augen. “Patient XP3, bitte fixieren Sie den nun eingeblendeten Punkt an der Röhrendecke. Wir stellen eine leichte Fehlsichtigkeit fest. Bitte nicht blinzeln, wir aktivieren den Laser. … Das war es auch schon.”
Das war kurz unangenehm. Aber ich bilde mir ein, dass der anvisierte Punkt nun schärfer geworden ist. Derweil folgt die Maschine einem weiteren meiner Aufträge, den ich im Vorfeld angekreuzt habe. Kleinste Haarinseln im Nacken werden ausgestochen und vorne im lichten Haaransatz wieder eingepflanzt. Auch hier – keine Schmerzen, ich bin sehr begeistert.
Keine halbe Stunde hat es gedauert und ich bin einmal komplett durchgecheckt. Die Künstliche Intelligenz der Röhre hat im Hintergrund die Daten von Millionen Patienten mit meinen verglichen, um herauszufinden, welche Behandlung ich brauche. Genau die habe ich dann auch bekommen.
Die Oberseite der Röhre fährt nun hoch und ich kann mich wieder aufrichten. Gut fühle ich mich. In einem Jahr mache ich das wieder. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 221 (8/2024).
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