Zu Besuch in Falkensee, um über Depressionen zu sprechen: Die 13. MUT-TOUR fährt 3.800 Kilometer durch Deutschland!

Depressionen und andere psychische Krankheiten nehmen zu. Die Betroffenen leiden aber oft allein. Die Familie, Freunde und Kollegen wissen meist nicht so recht, wie sie mit der Diagnose umgehen sollen. Die MUT-TOUR leistet Aufklärungsarbeit unter freiem Himmel. Betroffene reisen Jahr für Jahr zu Fuß oder auf dem Rad durch Deutschland, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. In diesem Jahr machte die MUT-TOUR am 7. Juni Station auch in Falkensee.
Seit 2012 gibt es die MUT-TOUR. Menschen mit Depressionen ziehen im Schulterschluss mit jedem, der gern mitmachen möchte, durch ganz Deutschland, um unterwegs Journalisten und interessierten Bürgern von ihren eigenen Geschichten zu erzählen. Auf diese Weise informieren sie über psychische Krankheiten und helfen dabei, Vorurteile aufzulösen und Wissen zu vermitteln.
Die aktuelle 13. MUT-TOUR (www.mut-tour.de) begann am 1. Juni in Bremen. Sie soll nach drei Monaten am 3. September in Osnabrück enden. Über 65 Frauen und Männer werden zusammengerechnet 3.800 Kilometer überbrücken. Die einzelnen Teilabschnitte werden immer von Sechserteams überbrückt. Die meisten Teilnehmer sind mit dem Tandem unterwegs. Es gibt in diesem Jahr aber auch zwei Wanderteams, darunter eins mit Pferdebegleitung. Das diesjährige Motto der Tour lautet übrigens “Mut zur Selbsthilfe – Unterstützung sichtbar machen!”
Am 7. Juni kam kurz vor zwölf Uhr mittags das erste Tandem-Etappenteam der MUT-TOUR 2024 vor dem Rathaus in Falkensee an. Das Team legte in sieben Tagen an die 400 Kilometer zurück. Das Ziel der Etappe lag in Berlin.
Die Aufgabe, die sich die Teilnehmer vornehmen, ist es immer, Mut und Wissen im Umgang mit psychischen Erkrankungen zu fördern. Oft lässt sich das am einfachsten vermitteln, wenn direkt Betroffene von ihren persönlichen Geschichten erzählen.
So auch Stephanie Just (46) aus dem Oldenburger Land: “Die MUT-TOUR möchte sich für einen offenen, scham- und angstfreien Umgang mit Depressionen stark machen, um diese doch oft sehr unsichtbare Krankheit sichtbar werden zu lassen. Dafür wollen wir Betroffenen unsere Stimme und unser Gesicht zeigen, um so zu verdeutlichen: Du bist nicht alleine. Und: Im Umgang mit Depressionen kann Bewegung enorm helfen. So lässt sich dieser Erkrankung, die man nicht heilen, sehr wohl aber behandeln kann, proaktiv begegnen.”
Stephanie Just ist persönlich betroffen: “Ich habe Ende 2016 die Diagnose ‘Schwere Depressionen’ bekommen und einen sehr intensiven Heilungsweg hinter mich gebracht. Jetzt möchte ich all das, was ich erfahren, gelernt und gefühlt habe, an andere Menschen weitergeben. Ich habe damals sehr viel Scham gespürt, Unsicherheit, Vorurteile und Halbwissen. All das hat mich immer mehr in die Einsamkeit driften lassen.”
Wie hätte man als Familienmitglied, Freund oder Außenstehender in dieser schweren Zeit helfen können? “Stephanie Just: “Oft ist es einfach nur dieser Faktor ‘Zeit zu schenken’ und für einen da zu sein in dem Moment, wo du auf dem Sofa oder im Bett liegst. Einfach in der Küche rumwuseln oder dir ein Essen vor die Tür zu stellen oder zu sagen: Komm, wir gehen mal irgendwie 500 Meter durch den Wald, all das kann hilfreich sein. Aber es ist natürlich auch schwer für das persönliche Umfeld, mit einer Person, die so ein verändertes Verhalten zeigt, plötzlich umgehen zu können und zu müssen.”
Wie hat sich Stephanie Just mit der Depression arrangiert? Sie erzählte vor dem Falkenseer Rathaus: “Ich war in meinem beruflichen Leben schon sehr, sehr leistungsorientiert. Ich hatte auch immer den Glauben, alles allein aus eigener Kraft schaffen zu können. Die Krankheit hat mich gelehrt, dass dem nicht so ist. Ich habe eine ambulante Therapeutin gefunden und war auch stationär untergebracht. Ich habe auch eine Zeit lang Medikamente genommen. Anschließend habe ich mir einen ganz neuen Bereich gesucht und eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin gemacht. Man muss irgendwann an den Punkt kommen, an dem man sich eingesteht, was man leisten kann und was nicht. Ich musste meine Nische finden, in der ich zufrieden bin und mit meinen Depressionen existieren kann, ohne immer wieder neu getriggert zu werden. Für mich habe ich auch erkannt, dass es von Stärke zeugt, sich schwach zu fühlen.”
Christine Schmitz (60) hatte sich ebenfalls für die MUT-TOUR aufs Tandem geschwungen. Sie stammt aus Berlin und zwar aus dem Bezirk Prenzlauer Berg: “Ich habe seit 17 Jahren eine mittlere Depression. Ich nehme weiterhin ein Medikament, sonst würde ich das Leben und den Alltag nicht schaffen. Mit den Medikamenten geht es mir eigentlich sehr gut. Bei mir hat sich die Depression ganz klassisch gezeigt: Ich konnte einfach nicht mehr, ich war vollkommen ausgebrannt. Ich habe lange bei ‘Ärzte ohne Grenzen’ gearbeitet. Der traurige Höhepunkt war, dass ich während des Völkermordes in Bosnien war. Danach brauchte ich eine lange Pause, die dann in eine Depression gemündet ist. Nach ein paar Monaten ambulanter Therapie musste ich in die Klinik.”
Wie hätte ihr die Familie helfen können? Christine Schmitz: “Ab einem gewissen Punkt können weder Freunde noch die Familie richtig helfen. Man muss den Moment erkennen, wann professionelle Hilfe nötig ist. Bei Depressionen, und ich glaube, das ist altersunabhängig, ist die Kombination aus Psychotherapie, Gesprächstherapie und Medikation ganz besonders wichtig. Dann kann man auch wieder auf die Beine kommen. Meistens. Ich sage nicht, dass jede Depression gut behandelbar ist, aber es gibt sehr gute Möglichkeiten. Wir alle können auch nur deswegen an der MUT-TOUR teilnehmen, weil wir gerade keine depressive Phase haben.”
Jonas Julino von der Projektkoordination: “Die MUT-TOUR 2024 wird finanziell unterstützt von der DAK, der BARMER, der Deutschen Rentenversicherung, dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) und der Aktion Mensch – in Zusammenarbeit mit den Organisationen Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Deutsche DepressionsLiga e.V., ADFC e.V. und dem Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V.”
Trägerverein für die MUT-TOUR ist übrigens der “Mut fördern e. V.” (www.mut-foerdern.de) aus Bremen. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 220 (7/2024).
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