Scheibes Glosse: Damals … Draußen spielen: Geheimnisse eines Sommers!
Sag mal, Papa, wie war das eigentlich früher, als du noch ein Kind warst? Gab es da auch Smartphones, Computerspiele und Streaming-Dienste? Nein, in den Siebzigern gab es nicht einmal Digitaluhren, geschweige denn mehr als vier Fernsehsender. Damals gab es vor allem eins – ab nach draußen. Direkt vor der Haustür warteten die allertollsten Abenteuer.
Damals war das noch wie folgt geregelt: Wer die Hausaufgaben aus der Schule hinter sich hatte, zog seine Jacke über, steckte den Hausschlüssel ein – und ab ging es nach draußen. Ohne Verabredung. Einfach nur so.
Wer als erstes am Piratenschiff auf dem großen Spielplatz zwischen drei Häuserblocks angekommen war, durfte in der Folge ansagen, was anschließend gemacht wurde. Frische Kastanien mit langen Ästen vom Baum werfen? Messerweitwurf auf Bäume? Heimlich mit Streichhölzern zündeln im Buddelkasten? Frankie: “Wir gehen auf Schatzsuche im Müll.”
Damals gab es einen großen Container am Müllhaus, da kam der ganze Sperrmüll der Siedlung rein. Da konnte man staksend zwischen Kartons, Tüten und alten Möbeln die tollsten Schätze finden, musste aber aufpassen, in nichts Glitschiges zu treten. Der größte Fund des Jahrhunderts – ein lederner Musterkoffer mit echten Glasaugen. Da gab es künstliche Augen in allen nur möglichen Farben. Der Finder war großzügig: Jeder durfte sich eins einstecken.
Wenn der kleine Hunger kam, wussten wir genau, wo es im Viertel etwas zu Essen gab. Waren die Stachelbeeren bei Familie Schmidt schon reif? Die Tomaten bei Kaminskis rot? Oder lohnte es sich schon, in den Apfelbaum der Zachaus zu klettern? In diesen Jahren dürften nur wenige Gartenbesitzer eine nennenswerte Ernte eingefahren haben. Dafür haben alle dazu beigetragen, die Kinder der Siedlung in der Zeit bis zum Abendessen nicht verhungern zu lassen. Manchmal erbarmte sich aber auch eine Mutter und stellte einen Teller mit Leberwurststullen nach draußen.
Abenteuer gab es genug. Man konnte sich ins dunkle, feuchte Eck im Kellereingang stellen und den Finger in das Meer aus Weberknechten stecken, das dort immer an der Decke klebte. Sofort wogten die Spinnentiere panisch in alle Richtungen davon. Verloren hatte man, wenn die ganze nur aus Beinen bestehende Weberknecht-Armee die Bodenhaftung verlor und einem auf den Kopf fiel.
Wir alle hatten stets ein Fahrtenmesser am Gürtel. Damit wir die langen Bambusstangen aus den Nachbargärten schneiden konnten. Die waren so schön gerade, dass man aus ihnen die allerbesten Speere schnitzen konnte. Die flogen soooo weit. Leider hielten sie nicht besonders lange – und mussten umgehend durch neue Bambustriebe ersetzt werden. Torsten wunderte sich nach einem Sommer: “Ach herrje, nun gibt es in der ganzen Siedlung keinen Bambus mehr.”
Wenn Karli das Sagen hatte, sagte er nur eins: “Rauf auf die Birke”. Die Birke stand direkt vor dem vierstöckigen Wohnblock, in dem Beate wohnte. Ihre Mutter konnte direkt durch das Küchenfenster auf die Birke schauen. Wir mussten immer aufpassen, dass sie uns nicht sieht. Niemals hätte Beate auf die Birke gedurft. Die Äste der Birke begannen erst in vier Metern Höhe. Da der Stamm der Birke aber gebogen war wie eine Palme, konnte man mit etwas Mut und gutem Willen wie ein Äffchen auf den Baum klettern. Und sich dabei an der rissigen Borke festhalten. Von ganz weit oben hatte man den freien Blick über alle Hausdächer der Siedlung. Dass hier niemand von uns in den Tod gestürzt ist! Ganz weit oben schwankt der ganze Baum im Wind.
Was machte man anschließend, wenn man vor lauter Abenteuer Durst bekam – in der damaligen Zeit? Man suchte sich einen Wasserhahn in einem fremden Garten – und bediente sich.
Danach war immer noch Zeit für ein Duell Mann gegen Mann. Dafür wurden die Büsche der “Gewöhnlichen Schneebeere” all ihrer Früchte beraubt. Die weißen “Knallerbsen” lagen bestens in der Hand. Und wenn man sie mit ordentlich Schmackes dem Gegner an die Vorderstirn zimmerte, knallte es wirklich.
Abends musste Beate schon lange vor den anderen “rein”, das war ungerecht, es war doch noch hell. Uhren hatten wir alle keine. Entweder brüllten die Mütter die Namen der Kinder oder wir achteten aufs Dunkelwerden. Dann hieß es, schnell ab nach Hause. Und ab in die Badewanne, um anschließend “Bonanza” im Fernsehen zu schauen. Es gab ja sonst nix. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 219 (6/2024).
Seitenabrufe seit 25.05.2024:
Kennen Sie schon unsere Gratis-App?
Apple – https://unserhavelland.de/appapple
Android – https://unserhavelland.de/appandroid
Anzeige