Aktion KitaKollaps 2024: Singender Kinderprotest vor dem Falkenseer Rathaus!

Was ist bunt und hat kein Personal? Eine Kita in Brandenburg. Eltern haben auch im Havelland zunehmend Probleme damit, einen freien Kitaplatz zu finden. Und selbst wenn dies gelingt, können die Betreuungszeiten oft nicht zuverlässig gewährleistet werden. Aufgrund des Fachkräftemangels geht es oft nur noch um eine Verwahrung der Kinder, die Bildung und Erziehung bleiben auf der Strecke. Am 15. Mai demonstrierten deswegen zwei evangelische Kitas im Rahmen des Aktionstages “KitaKollaps” vor dem Falkenseer Rathaus.
Die Emotionen kochen hoch, in den Brandenburger Kitas wird der Einsatzplan der Erzieherinnen und Erzieher bereits seit Jahren mit der heißen Nadel gestrickt. Aber es fehlt nicht nur am Personal, auch die Rahmenbedingungen und die Bürokratie bremsen den guten Willen der Kinderbetreuung zunehmend aus.
Um dem Mangel eine Stimme zu geben, wurde im letzten Jahr zum ersten Mal zum KitaKollaps (www.kitakollaps.de) aufgerufen: Zahlreiche Kitas zogen mit den Kindern, den Erziehern und auch den Eltern vor die Rathäuser, um zu demonstrieren. Der 2. KitaKollaps-Tag wurde in diesem Jahr für den 15. Mai angesetzt. In Brandenburg haben sich 273 Kitas offiziell auf der Aktionsseite angemeldet, inoffiziell werden es noch mehr gewesen sein.
“Sicher, sauber, satt – das mindeste und doch nicht machbar”, “Bildung statt Aufbewahrung” und “Sind wir wirklich relevant – Erzieher(innen) braucht das Land”: Mit selbstgemalten Schildern und Sprüchen wie diesen zogen in diesem Jahr die evangelische Kindertagesstätte “Zum guten Hirten” und die “Evangelische Kindertagesstätte Arche” – beide aus der Bahnhofstraße – gemeinsam vor das Falkenseer Rathaus. Etwa 80 Kita-Kinder, viele Eltern und das Personal aus den Kitas demonstrierten friedlich mit ihren Plakaten, mit Kinderstimmen gesungenen Liedern und laut geblasenen Tröten für eine bessere Zukunft.
Demonstrieren ist das eine, Lösungsvorschläge vorbringen das andere. Und so verteilten die Demonstranten einen einseitigen Forderungsbogen, der klar aufzeigte, woher die Schieflage in der Kindertagesbetreuung in Brandenburg denn eigentlich herrührt – und wie man sie beheben könnte. Denn es liegt nicht nur am Personalmangel alleine.
Die Kita-Betroffenen forderten eine Abschaffung der Stichtagmeldung, das Rausrechnen von Urlauben, Fortbildungen und Vorbereitungszeiten aus dem Personalschlüssel, eine erhöhte Freistellung der Kita-Leitung aus der Kinderbetreuung, einen reduzierten Personalschlüssel, einen erleichterten Quereinstieg von pädagogischem Personal, die Entbürokratisierung und die Umsetzung der Kinderrechte Bildung und Erziehung. Kurzum – ein neues Kitagesetz.
Sebastian Gebauer, Pfarrer in der Kirchengemeinde, die für die Kita “Zum guten Hirten” verantwortlich ist, sagte: “Das Problem ist die Gesetzgebung im Land Brandenburg. Brandenburg scheint ein Sonderfall in der Bundesrepublik Deutschland zu sein, wo die Kita-Leitungen nicht freigestellt sind und die Erzieherinnen und Erzieher keine Vorbereitungszeit haben.”
Er erklärte auch das Problem mit der aktuellen Regelung der sogenannten Stichtagsmeldung: “Zurzeit werden die Kinderzahlen in einer Kita quartalsweise erhoben. Danach werden die Personalstunden berechnet. Nun bekommen Kinder, die über drei Jahre alt werden, weniger Betreuungsstunden. Das führt dazu, das von einem Quartal zum anderen plötzlich weniger Kita-Personal benötigt wird, weil eben mehrere Kinder die Altersgrenze durchbrochen haben. Wir müssten die Stichtagmeldung nur noch einmal im Jahr machen, damit die Erzieher einfach auch mehr Zeit am Kind haben. Wir haben eigentlich genug Erzieher, wir brauchen aber eine auskömmliche Finanzierung und weniger Verwaltungsaufwand.”
Bei der “Kindertagesstätte Arche” herrscht hingegen sehr wohl Personalmangel. Pfarrerin Gisela Dittmer: “Wir nehmen inzwischen weniger Kinder auf, weil wir nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher haben. Man könnte mehr Erzieher für den Beruf gewinnen, wenn man ihn nur attraktiver gestaltet. Das liegt nicht nur an der Bezahlung, sondern auch an den Arbeitsbedingungen, die man vorfindet. Das beginnt bei einer verlässlichen Bezahlung und einem gesicherten Grundeinkommen.”
Mit welchen Problemen muss denn die Kitaleitung zurzeit zurechtkommen? Gisela Dittmer: “Die Kita hat Schwierigkeiten damit, Erzieher zur Fortbildung zu schicken, weil sie dann am Kind fehlen. Und die vorschulische Erziehung leidet bei uns z.B. in der Vorschule, weil wir eine dauererkrankte Erzieherin in der Gruppe haben, die immer nur so von den anderen vertreten wird, wie es der Stundenplan gerade erlaubt. So kann eine kontinuierliche Vorschulerziehung gar nicht stattfinden. Leider bekommen wir kaum noch Bewerbungen, dabei suchen wir dringend Personal. Viele Erzieherinnen und Erzieher möchten auch nur noch halbtags arbeiten. Da fällt es schwer, wenigstens die verlässlichen Zeiten in der Kita abzudecken.”
Falkensees Bürgermeister Heiko Richter hatte vollstes Verständnis für die Demonstration der Kinder. Er brachte aus dem Rathaus sogar ein paar Träger mit kaltem Wasser zur Erfrischung mit. Er sah das Rathaus Falkensee nur nicht als richtigen Adressaten für die Demonstration, schließlich hätten die städtischen Kitas mit den gleichen Problemen zu kämpfen: “Wir müssten hier selbst mit Plakaten stehen. Eigentlich wäre es angebracht, dass wir alle zusammen nach Potsdam fahren und dort weiter demonstrieren.”
Eine Mutter, die auf der Wiese vor dem Rathaus ihr Protestplakat an einer Schneeschaufel befestigt hatte, war Agnes Wendelmuth, die in Falkensee eine Anwaltskanzlei betreibt: “Eine verlässliche Kitabetreuung ist für mich unverzichtbar und eine zwingende Voraussetzung dafür, dass ich meinen Beruf überhaupt ausüben kann. Denn verlässlich kann ich nur arbeiten, wenn ich weiß, dass meine Kinder gut versorgt sind. Und darunter stelle ich mir nicht nur eine reine Verwahrung der Kinder vor, sondern auch Erziehung und vor allem auch Bildung. Und um die Bildung sicherstellen zu können, brauchen wir dringend mehr Erzieher. Da ist die Politik unbedingt gefordert.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 219 (6/2024).
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