Jetzt reicht es den Landwirten: Per Traktor ging es nach Berlin zum Brandenburger Tor!

Die Regierung muss Milliarden Euro einsparen – und versuchte ausgerechnet kurz vor Weihnachten, eine davon bei den deutschen Landwirten zu kappen. Ihnen soll die Agrardieselrückvergütung und auch die Kfz-Steuerbefreiung gestrichen werden. Für die meisten Bauern war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. In einer geschwind organisierten Demonstration rollten tausende Landwirte in ihren Traktoren nach Berlin, um vor dem Brandenburger Tor den eigenen Unmut kundzutun.
Mehrere Jahre Dürre auf dem Feld, die knebelnde Düngeverordnung, ein wahrer Paragraphen-Dschungel bei den EU-Richtlinien, ein stetig steigender Mindestlohn und der grassierende Fachkräftemangel: Deutschlands Landwirte haben es in diesen Zeiten wirklich nicht leicht, zumal sie auch beim Verkauf ihrer Lebensmittel nur selten den Preis an der Börse erzielen, der sie glücklich macht.
In der Folge haben auch im Havelland viele Betriebe für immer hinter sich abgeschlossen. Der Rest steht oft genug mit dem Rücken zur Wand. Völlig überrascht zeigten sich die angeschlagenen Landwirte deswegen von den aktuellen Sparplänen der Regierung. Den Landwirten, die das Volk ernähren, sollen nämlich die Agrardieselrückvergütung und die Kfz-Steuerbefreiung der landwirtschaftlich genutzten Fahrzeugen gestrichen werden.
Angesichts einer Subventionseinsparung, die in Summe etwa eine Milliarde Euro pro Jahr ausmacht, blieben die Landwirte nicht lange sprachlos. Sie riefen über die sozialen Netzwerke in kürzester Zeit zu einer gemeinsamen Demonstration auf: Am 18. Dezember sollte es gemeinsam im brummenden Dieseltraktor nach Berlin gehen, um vor dem Brandenburger Tor eine hupende Präsenz zu zeigen.
Allein auf dem Gelände der Agro-Farm Nauen trafen sich in den frühen Morgenstunden weit über eintausend Traktoren, um anschließend über die B5 weiter in die nahe Hauptstadt zu rollen.
Dirk Peters ist der Geschäftsführer der Agro-Farm Nauen, aber auch der Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Havelland. Er erklärte morgens um sechs Uhr mitten auf dem Feld: “Wir Landwirte sind auf unsere Dieselfahrzeuge angewiesen, unsere Traktoren fahren noch nicht mit Strom oder Wasserstoff. Bislang war es immer so, dass wir beim Diesel unsere Tankrechnungen einreichen konnten und im Folgejahr 20 Prozent vom Steueranteil zurückbekommen haben. Wir bezahlen ja den ganz normalen Dieselpreis an der Tankstelle, der in den letzten ein, zwei Jahren ja eh schon explodiert ist. Und 2024 kommt auch noch die gestiegene CO2-Abgabe mit hinzu. Dass man uns jetzt die Agrardieselrückvergütung und die Kfz-Steuerbefreiung streichen möchte, macht uns fassungslos. Wir werden hier doppelt und dreifach bestraft. Hinzu kommt, dass gerade erst die EU-Beihilfen um ein Drittel gekürzt wurden. Viele Betriebe werden das nicht überleben. Die Ernährung der deutschen Bürger durch die eigenen Landwirte ist damit nicht mehr gewährleistet.”
Dirk Peters kann den Unmut seiner Berufskollegen bestens verstehen: “Wir fahren mit dem Traktor nach Berlin, um der Regierung klipp und klar zu sagen: So geht es nicht weiter – und schon gar nicht mehr mit uns. Das heute ist nur ein erster Aufschlag. Wir werden nicht aufgeben.”
Erstaunt ist der Vorsitzende vom Kreisbauernverband Havelland darüber, wie schnell sich der Widerstand der Bauern formiert hat: “Ich denke, die Bauern haben nach der Pressekonferenz der Regierung nur auf ein Signal gewartet. Über die sozialen Medien ging plötzlich alles ganz schnell. Innerhalb von nur anderthalb Stunden nach der Pressekonferenz stand bereits die neue WhatsApp-Gruppe ‘Demo 23’. Allein hier in Nauen haben sich 1.200 Traktoren zum Sammeln angemeldet.”
Antje Schulze, Geschäftsführerin beim Landfrauenverein Havelland e.V. (www.landfrauen-hvl.de): “Ich glaube, dass es der Politik in Berlin nicht klar ist, was sie hier mit ihrer Entscheidung gerade anrichtet. Wir bringen auf der einen Seite über Förderprogramme viel Geld in den ländlichen Raum, um ihn zu stärken, und schwächen ihn nun auf der anderen Seite so dermaßen, dass kein Förderprogramm diese Defizite wieder auffangen kann. Ich würde nicht einmal sagen, dass die Landwirte wütend sind. Es ist eher Hilflosigkeit. Man kommt sich so vor, als würde kein Politiker mehr begreifen, was die Landwirte, aber auch die normalen Bürger, gerade alles zu bewältigen haben.”
Ist es angesichts der ganzen Krise nicht auch schön, dass die Landwirte jetzt so eng zusammenstehen? Antje Schulze: “Natürlich ist es ein tolles Gefühl, wenn man hier steht und sieht, wie sich die ganzen Traktoren gemeinsam auf den Weg machen. Aber es ist schlimm, wenn man den Hintergrund kennt und genau weiß, dass diese Landwirte alle um ihre Existenz bangen, dass sie Angst haben, ihre Familien nicht mehr ernähren zu können, und dass sie für ihre Kinder keine Zukunft mehr in der Landwirtschaft sehen. Ich habe selbst drei Kinder zu Hause. Ich fände es schon schön, wenn sie in der Landwirtschaft bleiben könnten. Aber mit der jetzigen Perspektive ist das leider nicht möglich.”
Michael Koch (CDU), Dezernent im Landkreis Havelland, war in Nauen ebenfalls mit vor Ort: “Mir haben einzelne Landwirte berichtet, dass sie mit 50.000 bis 70.000 Euro Mehrkosten pro Jahr zu rechnen haben. Das ist natürlich ohne weiteres gar nicht abzupuffern, wovon denn auch? Von daher bin ich heute einfach hier, um den Landwirten meine Unterstützung und Solidarität zu zeigen. Ich werde auch mit zum Brandenburger Tor fahren.”
Uwe Feiler (CDU), ehemaliger Landwirt und inzwischen Bundestagsabgeordneter: “Ich komme selbst aus der Landwirtschaft und zeige mich solidarisch. Es ist wichtig, dass Deutschland sich selbst versorgen kann. Wir reden immer von der Regionalität, auch bei den Lebensmitteln. Wir haben bei Obst und Gemüse aber nur noch einen Eigenversorgungsgrad von 30 Prozent, das ist viel zu wenig. Ich möchte meine Lebensmittel weiterhin aus Deutschland beziehen. Und deswegen ist es wichtig, dass wir hier Flagge zeigen.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 214 (1/2024).
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