Multiple Toxine: Caritas eröffnet Jugendsuchtberatung in Falkensee!
Was zunächst vielleicht nur eine aufregende Ausnahme war, kann sich schnell zu einer brennenden Sucht entwickeln. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können sich ebenso wie die Eltern ab sofort nun auch in Falkensee an die Jugendsuchtberatung der Caritas wenden. Am dritten Standort der Caritas im Havelland wird sich vor allem Stephan Hausten um die Beratung der Betroffenen kümmern.
Die Caritas unterhält bereits an den beiden Standorten Rathenow und Nauen eine eigene Jugendsuchtberatung. Nun kommt eine dritte Anlaufstelle auch in Falkensee hinzu. Sie ist bereits seit dem 1. März in Betrieb, wurde aber erst am 26. September feierlich eröffnet. Ab sofort können Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene bis 25 Jahren und natürlich auch betroffene Eltern und Geschwister vorstellig werden, um sich passend zum Thema Sucht beraten zu lassen – kostenlos, vertraulich und unabhängig von Konfession und Weltanschauung.
Die neue Caritas-Beratungsstelle ist von Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr telefonisch unter der Nummer 03322-234554 erreichbar. Am Dienstag gibt es von 14 bis 16 Uhr am Standort in der Straße Am Gutspark 1B auch eine offene Sprechstunde, zu der man sogar ohne Termin kommen kann. Stephan Hausten: “Ganz wichtig ist uns der Datenschutz, wir unterliegen außerdem der Schweigepflicht. Alles, was wir vor Ort besprechen, bleibt unter uns. Wir schimpfen und ermahnen nicht und heben auch nicht den Zeigefinger, sondern wir informieren und suchen nach Lösungen. Wir leisten vor Ort eine echte Vertrauens- und auch Beziehungsarbeit und bemühen uns um eine sogenannte ‘motivierende Gesprächsführung’.”
Katharina Berger, Caritas-Beauftragte für die Landkreise Havelland und Oberhavel, freute sich bei der Eröffnung sehr darüber, dass der Landkreis Havelland noch einmal Mittel zur Verfügung gestellt hat, um die dritte Jugendsuchtberatung zu finanzieren: “Der Konsum von legalen und illegalen Suchtmitteln kann für viele junge Menschen weitreichende Auswirkungen haben. Auch Angehörige sind oftmals ratlos, wie sie damit umgehen sollen. Deshalb bieten wir nun auch in Falkensee Informationen, Gespräche und Unterstützung an.”
Ganz wichtig ist, dass es bei der Jugendsuchtberatung nicht nur um den klassischen Drogenkonsum geht. Themen vor Ort können auch ein problematisches Essverhalten, eine exzessives Online-Sucht oder ein pathologisches Glücksspielverhalten sein.
Wolfgang Gall, als Dezernent im Landkreis für den Bereich Jugend und Soziales verantwortlich: “Ich bin der Meinung, das wir in allen drei Mittelzentren im Havelland eine hochqualifizierte Suchtberatung gerade für Jugendliche benötigen. Der Todesfall zuletzt in Rathenow hat doch erneut die Frage aufgeworfen: Was können wir tun, um das zu verhindern? Der eine oder andere hat das ja bereits in der eigenen Familie erlebt, dass ein Kind Drogen nimmt. Und gerade bei den Jugendlichen ist es oft so, dass alle ein Problem mit den Drogen haben, nur zunächst der junge Mensch nicht. Da gibt es noch keine Eigenmotivation, etwas gegen den Drogenkonsum zu unternehmen. Deswegen ist es wichtig, dass die Jugendlichen auch fremdmotiviert – etwa durch die Eltern – zur Jugendsuchtberatung mitgenommen werden. Hier erfahren sie Empathie und lernen schon einmal ein Gesicht kennen. Dann fällt es ihnen später, wenn die Selbstmotivation steigt, leichter, selbst den ersten Schritt zu unternehmen. Aber auch für die Eltern ist die Beratung wichtig. Sie werden oft belogen, betrogen und beklaut. Sie brauchen Zuspruch.”
Dezernent Wolfgang Gall fand sehr deutliche Worte: “Wenn dieser Punkt erreicht wird, an dem man sich der Krankheit Sucht wirklich stellen möchte, dann muss der weitere Gesamtprozess sehr professionell erfolgen. Gerade zwischen der Entgiftung und einer sich anschließenden Langzeittherapie gibt es eine ganz kritische Stelle. Wenn da etwas schief läuft, passieren ganz leicht Abbrüche. Es ist absurd, was sich unser Gesundheitssystem in dieser Sache leistet.”
Wolfgang Gall machte deutlich, dass das Havelland leider ein echter Hotspot in Sachen Drogen ist: “Letztens bin ich direkt am Rathaus Nauen vor der Rathaustür durch eine Cannabis-Wolke gelaufen. Wäre ich etwas langsamer unterwegs gewesen, hätte ich die volle Dröhnung abbekommen. Die Verantwortungsträger in unserer Gesellschaft müssen sich fragen, wie sie mit den Drogen umgehen möchten.”
Einer, der genau weiß, wie es auf den Straßen im Havelland zur Sache geht, ist Stephan Hausten (39), der nun in Falkensee in der Beratung anzutreffen ist. Er stammt aus Ketzin, lebt aber inzwischen in Potsdam: “Wir unterscheiden bei uns zwischen dem Substanzenmissbrauch und Verhaltensweisen, die aus einer anderen Sucht erwachsen. Bei Kindern, die gerade die Grundschule verlassen, bekommen wir es oft schon mit legalen Drogen wie Zigaretten und Alkohol zu tun. Hier ist außerdem oft ein exzessiver Medienkonsum zu beobachten, die Kinder verbringen endlos viele Stunden am Tag am Handy.”
Bei den Jugendlichen und den jungen Erwachsenen sind es vor allem die Drogen, die zu einer Sucht führen. Stephan Hausten: “Besonders gefragt sind zurzeit die sogenannten Downer. Das sind Angstlöser und Beruhigungsmittel, die aber schnell süchtig machen. Das ist echter Medikamentenmissbrauch. Von diesen Mitteln kann man sich tatsächlich nur mit fachkundiger, medizinischer Hilfe entwöhnen.”
Ansonsten geht es in Falkensee und Umgebung schon lange nicht mehr nur um Gras und Haschisch. Stephan Hausten: “Wir sprechen hier von Fentanyl, das viele Male stärker wirkt als das klassische Heroin, und von Kokain. Das glaubt man zunächst gar nicht im behüteten Sozialraum Falkensee. Aber die Substanzen werden oft über Chat-Kanäle in Messengerdiensten wie Telegram bestellt und dann per Substanz-Taxi aus Berlin geliefert.”
Der Suchtberater beobachtet auch, dass vor allem die jungen Männer oft polytoxisch unterwegs sind: “Die nehmen dann alles durcheinander, konsumieren also z.B. Downer mit Benzodiazepinen direkt mit Alkohol, was leicht zu unkalkulierbaren Nebenwirkungen mit Todesfolge führen kann.”
Manche Gefahr lässt sich auch gar nicht selbst erkennen. Stephan Hausten: “Die jungen Leute denken immer, dass ihr Dealer stets nur das gute, saubere Zeug hat. Aber inzwischen wird Marihuana, was nicht genug Wirkung zeigt, einfach mit synthetischem THC besprüht. Und das kann auch überdosiert werden, was wiederum tödlich enden kann.”
Was können Eltern tun, wenn sie merken, dass ihre Kinder süchtig geworden sind? Stephan Hausten: “Immer wichtig ist es, authentisch zu bleiben. Man sollte kein Geheimnis aus dem Drogenproblem machen und den Kindern auch nicht nachspionieren. Das Problem sollte offen angesprochen werden. Gern kann man uns befragen. Wichtig ist zu wissen, dass ein fester Wille nicht ausreicht, um aus der Sucht zu entkommen. Man braucht dafür wirklich professionelle Hilfe. Die Sucht wird auch ein Leben lang bleiben, weil es im Gehirn ein Suchtgedächtnis gibt. Man darf auch nicht den zweiten Schritt vor dem ersten unternehmen. Die Suchterkrankung ist immer das erste, was behandelt werden muss. Also erst kommt die Entgiftung, dann erst kann sich eine psychologische Behandlung anschließen.”
Fentanyl und Kokain in den Händen von Jugendlichen im Havelland: Das ist ein echter Schock. Stephan Hausten: “Ich hatte in den letzten Monaten bei den Gesprächen, die ich geführt habe, so einige Gänsehautmomente.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 212 (11/2023).
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