Gesprächsthema Ehrenamt: Kanzler Olaf Scholz zu Besuch bei Grün-Weiss Brieselang!
Das Ehrenamt ist der Kitt, der die Gesellschaft im Inneren zusammenhält. So heißt es jedenfalls immer. Ob Kanzler Olaf Scholz das auch so sieht? Am 14. August besuchte der Bundeskanzler den Ort Brieselang und hörte sich die Sorgen und Vorschläge vom SV Grün-Weiss e.V. und von den Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr an. Neue Impulse für eine dringend angemahnte Besserstellung des Ehrenamts gingen vom Kanzler allerdings leider nicht aus.
Der Kanzler höchstpersönlich im Havelland: Diese Ankündigung sorgte durchaus für ein erhöhtes Grundbrummen im regionalen Bienenstock und für eine maximierte Aufregung bei allen Betroffenen. Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass der aktuelle “Chef” der Bundesregierung den Weg in den Speckgürtel findet, um sich über die Interessen und Nöte der Bürger vor Ort zu informieren.
Am 14. August begleitete der Kanzler seine SPD-Kollegin, die Bundestagsabgeordnete Ariane Fäscher, die zurzeit eine Sommertour durch ihren Wahlkreis durchführt. Gemeinsam führte ihr Weg nach Brieselang. Auf dem Fichtesportplatz sollte das ländliche Ehrenamt im Fokus des gemeinsamen Interesses stehen.
Im Vereinshaus begrüßte Michael Koch (CDU, Vize-Landrat vom Landkreis Havelland) in seiner Funktion als 1. Vorsitzender vom Sportverein Grün-Weiss den Bundeskanzler: “Grün-Weiss hat in Brieselang etwa 500 Mitglieder. Das sind viele Erwachsene, Jugendliche und Kinder, die hier nur deswegen Woche für Woche ihr Training absolvieren können, weil viele engagierte Trainerinnen und Trainer sowie viele Betreuer es ihnen ermöglichen. Ohne diese ehrenamtlich tätigen Menschen könnte ein Verein in dieser Größenordnung gar nicht organisiert werden.”
Michael Koch merkte an, dass der Verein langsam an eine Grenze stößt – und es schwer wird, weitere Helfer im Ehrenamt zu finden, die ihre private Zeit für den Verein opfern, auf Fahrten das eigene Auto zur Verfügung stellen und auch noch das Benzin selbst bezahlen. Auch sprach er an, dass nur die wenigsten Arbeitgeber davon zu überzeugen sind, die ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter für besondere Sporttermine oder Fortbildungen freizustellen.
Marco Robitzsch ist Trainer bei Grün-Weiss und damit ein ehrenamtlich Tätiger in Verein. Er schlug vor: “Man könnte ja auch eine spezielle Rente für das Ehrenamt einführen, damit engagierte Bürger wenigstens im Ruhestand noch eine Anerkennung für ihre Bemühungen erhalten.”
Während Bundeskanzler Olaf Scholz freundlich nickte, sich aber ansonsten nicht zu den Vorschlägen äußerte, wurde Ariane Fäscher konkreter. Schließlich ist sie die stellvertretende Vorsitzende vom Unterausschuss “Bürgerschaftliches Engagement” im Familienausschuss des Bundestags. Sie verwies auf eine “Engagementstrategie des Bundes”, die man gerade erarbeiten würde – und sagte: “Wer sich für die Gesellschaft einsetzt, soll dafür auch von der Gesellschaft getragen werden.” Wie man aber die Menschen in Deutschland dazu bringen kann, in ihrer knapp bemessenen Freizeit auch noch ein freiwilliges Ehrenamt zu bekleiden, das wusste auch sie nicht.
Auch die Brieselanger Feuerwehr, zu der immerhin 110 ehrenamtlich tätige Feuerwehrleute gehören, fordert ihren Beteiligten sehr viel ab. Der Gemeindewehrführer Marco Robitzsch verwies darauf, dass die Kameraden im Jahr zu 150 bis 250 Einsätzen gerufen werden. Im aktuellen Jahr seien es bereits 254 – und die Zahlen steigen weiterhin. Zugführer Jörn Neumann machte u.a. die steigenden Einwohnerzahlen in Brieselang für die erhöhten Einsätze mit verantwortlich. 2022 fielen so 6.000 Einsatzstunden an, Weiterbildungen noch nicht mitgerechnet.
Johannes Funke, Landtagsabgeordneter für die SPD in Brandenburg, sah allein im Besuch des Bundeskanzlers eine hohe Würdigung für das regionale Ehrenamt: “Der Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz ist eine hohe Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit am Beispiel vom Fußballverein in Brieselang und von der Feuerwehr. Das war ein guter Termin.”
Was vielen Teilnehmern der Veranstaltung fehlte, war allerdings ein klares Bekenntnis von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Ehrenamt – und vielleicht auch eine flammende Rede darüber, wie man das Ehrenamt in Zukunft besserstellen könnte. Stattdessen hörte der Bundeskanzler höflich allen Reden zu, nickte – und schwieg.
Als es dann doch zu einer Diskussion zwischen den Ehrenamtlern und dem Bundeskanzler kommen sollte, wurde die Presse unisono vor die Tür gesetzt – und kann so auch nicht über interessante Zitate berichten.
Am Ende der Stippvisite reichte es aber doch noch zu einem knappen Schlusswort des Kanzlers am Einsatzfahrzeug der Feuerwehr, das aber über einige Nettigkeiten hinaus keine Lösungsansätze präsentierte. Er sagte: “Es ist sehr schön, dass es so viel ehrenamtliches Engagement gibt – hier vor Ort wie auch an vielen anderen Stellen in Deutschland. Mir sind die Stunden vorgerechnet worden, die hier geleistet werden. Wenn man sich das anguckt, ist das schon sehr beeindruckend. Weil das etwas ist, auf dem wir hier in Deutschland aufbauen können.” Aber: “Das Ehrenamt ist in erster Linie eine private Entscheidung, das kann niemand verordnen. Niemand kann ein Gesetz machen, in dem steht, dass sich die Menschen engagieren sollen.”
Wilhelm Garn (CDU, ehemaliger Bürgermeister in Brieselang) gab sich nach dem Gespräch in seiner Funktion als Vorstand von Grün-Weiss Brieselang frustriert: “Wir brauchen Lösungen für die Freistellungen des Arbeitgebers bei Aus- und Weiterbildungen. Eine Erhöhung der Ehrenamtspauschalen muss her. Bei den Amateurvereinen muss die Bürokratie vereinfacht werden. Ohne die etwa 6.000 Vereine in der Bundesrepublik würde vieles in unserem Staate nicht mehr funktionieren. Die Probleme sind bekannt, somit müsste es doch ein Leichtes sein, sie auch zu lösen.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 210 (9/2023).
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