Heiße Daten: Fernwärme vom Rechenzentrum könnte Wustermark heizen!
Wustermark könnte zur HighTech-Gemeinde werden: Direkt an der B5 soll ein Rechenzentrum gebaut werden. Das 1-Milliarde-Euro-Projekt würde nicht nur für Millionen in der Gemeindekasse sorgen, sondern könnte seine gesamte Abwärme der Gemeinde kostenfrei zur Verfügung stellen – zum Heizen der Häuser im Ort. Damit wäre Wustermark in Sachen “kommunale Wärme” aus dem Stand heraus perfekt aufgestellt. Aber noch befindet sich das gesamte Projekt in den Kinderschuhen.
Die vielen Terabytes an Daten, die große Unternehmen und kleine Anbieter gemeinsam jeden Tag verarbeiten, in die Cloud stellen und selbst aus dem Internet abrufen, müssen irgendwo gespeichert werden. Für die Sicherung der Milliarden Dateien sind große Rechenzentren verantwortlich, die es überall auf der Welt gibt. In ihren Hallen stehen große Racks mit Servern, die unermüdlich Tag und Nacht Datenkolonnen umschlagen und auf diese Weise die weltweit benötigte Software, aber auch Textdateien, Fotos und Videos zur Verfügung stellen.
Das Unternehmen Virtus Data Centres Ltd. aus England unterhält bereits 130 Rechenzentren in sieben Ländern der Erde – mit 1,6 GW IT-Last. Nun soll ein weiteres in Deutschland hinzukommen. Über eine Milliarde Euro möchte das Unternehmen in Wustermark investieren. Zugleich sollen etwa 150 neue Arbeitsplätze entstehen – 120 zum Teil hochqualifizierte im Rechenzentrum selbst und 30 in der neuen Virtus-Zentrale für Deutschland, die gleich neben dem Rechenzentrum entstehen soll.
Das neue Rechenzentrum soll sich als BER 3a und 3b direkt an der B5-Abfahrt zum Gewerbering Zeestow niederlassen, hier muss allerdings noch der Bebauungsplan W 49 angefasst werden. Das ist bei einem zweiten Teil des Rechenzentrums nicht nötig, er soll als BER 2 im angrenzenden Gewerbegebiet Wustermark Nord entstehen, gleich gegenüber des Güterverkehrszentrums. Das neue Rechenzentrum soll zusammen eine Leistung von 300 Megawatt haben. Daran orientieren sich auch die Gewerbesteuern für die Gemeinde Wustermark – bis zu fünf Millionen Euro Steuern könnten so jedes Jahres in die Gemeindekasse rieseln.
Andreas Schmidt von der CDW Commercial Development Wustermark GmbH: “Wir haben das Grundstück erworben und werden es für Virtus entwickeln, die es nachfolgend nutzen werden. Der Standort in Wustermark ist für uns ganz besonders wertvoll, weil er unmittelbar an einem Umspannwerk angrenzt, weil es alle Sicherheitsaspekte erfüllt und weil wir vor Ort grünen Strom aus erneuerbaren Energien nutzen können – dank der Windkraft in Nauen. Die Rechenzentren in Deutschland sollen bis etwa 2030 klimaneutral arbeiten. Das ist in Deutschland fast unmöglich. Hier in Wustermark ist es aber machbar.”
Alexander Hauser ist Geschäftsführender Gesellschafter der TTSP HWP Planungsgesellschaft mbH, die das neue Rechenzentrum plant: “Wir verwenden übrigens kein Grundwasser zur Kühlung der Server und werden auch kein Wasser aus dem Havelkanal absaugen. Wir bringen unser eigenes, speziell aufbereitetes Wasser mit, das in einem geschlossenen Kreislauf zum Einsatz kommt.”
Tatsächlich steht das Projekt nach einem ersten Aufstellungsbeschluss der Gemeindevertretung im Februar 2023 nun an dem Punkt, an dem die Bevölkerung mit in die Projektplanung eingebunden wird. Am 6. Juli fanden sich einhundert Besucher in der Turnhalle der Wustermarker Grundschule gleich gegenüber vom Rathaus ein, um sich über das neue Projekt Rechenzentrum auszutauschen. Die Sorgen der Teilnehmer der ersten Bürgerversammlung drehten sich um Themen wie Schallschutz, Wasserentnahme, Verkehrszunahme, Abwärme und Begrünung.
Die Planer hatten vorgearbeitet und für den B-Plan-abhängigen BER 3a und BER 3b bereits einen neuen Entwurf dabei, der nun von fünf Rechenzentren-Hallen ausgeht, die mit ihrer Front zur B5 hin ausgerichtet sind, während die nicht so ansehnliche Technik-Rückseite den Blicken verborgen bleibt. Ein erstes Zugeständnis an die Kritiker ist es, die Gebäudehöhen auf 25 Meter (inklusive vier Meter Aufbau) zu begrenzen – diese minimale Höhe werde aber auch tatächlich benötigt, um die in den Rechenzentren entstehende Wärme ableiten zu können. Alexander Hauser: “Jeder Server erzeugt die Abwärme eines Kachelofens. In einer einzigen Halle habe ich etwa tausend solcher Kachelöfen. Da brauche ich hohe Gebäude, um die Luft kühlen zu können.”
Um die Optik brauche sich niemand zu sorgen. Alexander Hauser: “Wir wollen keine ‘Büchsen’ bauen wie im GVZ.” Die Rechenzentren werden eine moderne und ansehnliche Gebäudehülle bekommen, außerdem werden die Hallen hinter einer Baumreihe verborgen bleiben.
Der Verkehr vor Ort würde ebenfalls zu vernachlässigen sein. Alexander Hauser: “Wir sprechen von vielleicht einem LKW in der Woche.”
Bürgermeister Holger Schreiber hat selbst ähnliche Rechenzentren in Frankfurt am Main besucht, um sich über die Geräuschemission schlau zu machen: “Ein Rechenzentrum, das wir besucht haben, steht mitten in der Stadt, nur ein paar Meter von den nächsten Wohnhäusern entfernt.” Andreas Schmidt: “Sie werden auch in Wustermark nichts hören.” Trotzdem wird vor Ort nicht nur ein Sicht-, sondern auch ein Lärmschutz installiert.
95 Prozent vom im Rechenzentrum eingesetzten Strom wird direkt in Wärme umgewandelt. Im Rechenzentrum fällt demnach nicht benötigte Wärme in einer kaum begreifbaren Größenordnung an.
Mark Ludwig von der Firma seecon Ingenieure hat eine Vorstudie zur Abwärmenutzung erarbeitet: “Alleine mit der Wärme aus dem neuen Rechenzentrum könnte man die Gebäude von sieben Gemeinden heizen.”
Bürgermeister Holger Schreiber sieht hier einen neuen Coup auf die Gemeinde zukommen: “Die kommunale Wärmeplanung ist erst seit ein paar Tagen Thema in der ganz großen Politik – und wir als Gemeinde Wustermark sehen hier eine tolle Chance, die sich direkt aus dem Bau des Rechenzentrums ergibt. Das ist eine echte Steilvorlage für die Wärmeplanung in der Gemeinde. Während andere noch über das Ob und Wie nachdenken, macht sich Wustermark in Sachen Wärmeplanung bereits auf den Weg.”
Virtus würde die Abwärme kostenfrei zur Verfügung stellen. Die Wustermarker müssten nur für die Wärmeleitungen in die Firmen und Wohnhäuser aufkommen. Bis es aber so weit ist, kann es noch einige Jahre dauern: Das Projekt befindet sich noch immer in einer ganz frühen Phase. Erst 2026 könnte es langsam mit der Realisierung losgehen. (Text/Fotos: CS / Visualisierungen: TTSP HWP)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 209 (8/2023).
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