Museumsdorf Gannahall mit Großer Heerschau: Kämpfen wie vor 2.000 Jahren!
Mitten in Nauen wird die germanische Geschichte wieder lebendig. Im Museumsdorf Gannahall wird eine Siedlung der Semnonen wieder aufgebaut – und das historisch so akurat wie möglich. Der Verein Semnonenbund, der hinter dem Museumsdorf steht, möchte die Geschichte aber nicht nur entstauben, sondern auch mit Leben füllen: Vor Ort finden immer wieder historische Feste statt. Am 7. und 8. Mai wurde zur großen “Heerschau in Gannahall” gerufen.
Keine Frage: Schon vor 2.000 Jahren ging es nicht immer beschaulich zu, wenn sich die germanischen Stämme gegenseitig in die Quere kamen. Da wurden schon einmal die Axt und der Langspeer hervorgeholt, um Auseinandersetzungen auf die blutige Art und Weise zu klären.
Auch dieser kriegerische Aspekt wird im Museumsdorf Gannahall (www.gannahall.de) in der Ludwig-Jahn-Straße bedacht.
Vor Ort baut der Semnonenbund seit dem Jahr 2014 ein germanisches Dorf auf, wie es die Semnonen vor 2.000 Jahren auch selbst errichtet hätten. In Gannahall sollen so mehrere germanische Langhäuser, Grubenhäuser und Speicher entstehen. Auch Brunnen, überdachte Arbeitsplätze, freistehende Lehmöfen und eine umlaufende Sicherungsanlage mit Graben, Wall und Palisadenzaun sollen hier gebaut werden. Vieles ist sogar schon fertiggestellt und kann auf den Festen von Gannahall bewundert werden.
Der Semnonenbund lädt immer wieder Gleichgesinnte aus dem ganzen Land dazu ein, um mit ihnen besondere germanische Feste zu feiern. Am 6. und 7. Mai kam es so in Gannahall etwa zur großen “Heerschau”. Aus vielen Orten reisten in ihre Rüstung geschnürte Historienfreunde an, um ein Wochenende lang am Lagerleben teilzunehmen, über den historischen Markt zu schlendern, Workshops zu belegen oder sich in das Getümmel der Feldschlacht zu werfen.
Bereits bei der Veranstaltung „Alls Wari Dags“ erklärte Rico Krüger als Vereinsvorsitzender des Semnonenbundes: “Was wir hier in Nauen veranstalten, ist Deutschlands erster historischer Wettkampf in gerüstetem Kampfsport.”
Das war bei der “Heerschau in Gannahall” nicht anders. Am Sonnabend konnten die angereisten Teilnehmer an der “Heerschau” ihr kämpferisches Wissen noch bei verschiedenen Workshops schulen, anschließend ging es gleich weiter mit einem Bogenschieß-Turnier und dem sogenannten “Linefight”.
Beim Linefight stehen sich drei Gruppen mit etwa zehn bis 15 Kriegern gegenüber. Die einzelnen Kämpfer, zu denen durchaus auch Frauen gehören, tragen riesige Holzschilde, Schwerter, Äxte, lange Speere und Pfeil und Bogen.
Ziel ist es beim Linefight immer, durch geschicktes Vorgehen die beiden gegnerischen Gruppen so zu dezimieren, dass am Ende nur noch die eigene Gruppe siegreich übrig bleibt. Wer von einer gegnerischen Waffe “getroffen” wird, verlässt hier übrigens sofort freiwillig das Feld. Auf diese Weise lassen sich zwar Prellungen und blaue Flecke nicht vermeiden, aber es müssen keine echten Verluste beklagt werden. Die Bogenschützen verschossen LARP-Pfeile, die statt einer Spitze einen prallen Polsterkopf aufweisen.
Bei allen Kämpfen gab es durchaus auch staunendes Publikum: Die “Heerschau in Gannahall” stand allen interessierten Zuschauern aus der Nachbarschaft offen. Sie konnten ohne Eintrittsgeld zu bezahlen zuschauen.
Hauke Schiller (27) war aus Flatow bei Kremmen angereist. Er trat beim Linefight unter seinem Namen Biboy an: “Ich habe als Bogenschütze mitgemacht, das hat mir echt Spaß gemacht. Ich war das erste Mal bei solch einem historischen Lager mit dabei und habe einfach eine bestehende Gruppe gefragt, ob ich bei ihr mitmachen darf. Als Bogenschütze bleibt man möglichst hinter der Linie, an der gekämpft wird. Geht man zu weit nach vorn, ist man schnell verloren und bekommt einen Stich mit dem Speer ab. Für uns Bogenschützen sind die großen Schilde der Gegner ein echtes Problem. Man muss warten, bis sich eine Lücke ergibt und man einen sicheren Schuss mit dem Pfeil setzen kann.”
David Reuter (54) kam aus Berlin-Reinickendorf nach Nauen gereist: “Ich gehöre zur Gruppe Greiffenstein. Normalerweise sind wir 28 Leute, in Nauen waren aber nur zehn mit dabei. Beim Linefight geht es um die perfekte Zusammenarbeit der Gruppe, um Koordination und um Schnelligkeit. Wir haben extra leicht gerüstete Läufer mit dabei, die versuchen, die gegnerische Gruppe zu umgehen und von hinten anzugreifen. Es gibt eben verschiedene Taktiken bei der Offensive.”
Für die Zuschauer war es auf jeden Fall ein Erlebnis, die Kämpfer in ihren aufwändig geschneiderten und teilweise sogar geschmiedeten Rüstungen mit ihren Schwertern, Schildern und Äxten zu sehen.
Gekämpft wurde im sogenannten “Havelstil”, der maximale Trefferzonen mit maximaler Sicherheit kombinierte. Tabu waren hier beim Kampf etwa Treffer an Hand, Fuß, Hals, an den Gelenken und auch am Rücken.
Schnell wurde aber klar, dass Fairness bei den heftig aussehenden Begegnungen auf dem Feld ganz weit oben steht. David Reuter: “Wir sind hier keine Gegner, sondern Partner. Wir kennen uns hier alle sehr gut, geben aufeinander acht und trinken abends ein Bier zusammen.”
Für seine Rüstung hat der Ritter schon mehrere tausend Euro ausgegeben: “Wir bilden hier bei der Heerschau ja das gesamte Mittelalter ab. Hier geht es um eine Zeitspanne von tausend Jahren. Mein Stil ist das Spätmittelalter. Die Teile meiner Rüstung wurden alle in Handarbeit hergestellt, es gibt Schmiede, die machen das.”
Die Veranstaltung der “Heerschau Gannahall” fand am Sonntag ihren Höhepunkt. 250 Personen aus dem historischen Volk waren in Nauen zu Besuch, darunter alleine 130 entsprechend ausgerüstete Kämpfer. Der Höhepunkt war die große Feldschlacht.
Axel Reineke (55) war dafür mit seinen Schwarzwölfen aus Schwedt angereist: “Wir sind hier wie Familie. Hier kann ich anderen Leuten auf die Fresse hauen und die bedanken sich danach sogar noch dafür. Ich sage immer: Im Kampf zeigt sich der wahre Charakter eines Menschen, da kannst du dich nicht verstellen. Ein Feigling bleibt eben auch im Kampf ein Feigling.”
Am 15. Juli geht es in Gannahall mit einem Kinderfest weiter, am 7. und 8. Oktober steigt das “Alls Wari Dags – Sippentreffen” und am 16. Dezember wird das “Winternachtsfeuer Jul” angezündet. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 207 (6/2023).
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