Scheibes Glosse: Alte Technik
Bin ich alt? Innerlich habe ich noch immer das Gefühl, ich bin ein blutjunger Teenager, der gerade erst die Welt entdeckt. Wenn ich aber jetzt mit meinen 55 Jahren morgens aufwache, schicken mir alle meine Knochen verheerende Statusberichte ins Gehirn. Auch vor dem Spiegel offenbaren sich immer neue Flecken, Borsten und Falten, die gestern noch nicht da waren. Wie alt ich tatsächlich bin, zeigt die Liste der inzwischen nicht mehr existierenden Geräte, mit denen ich aufgewachsen bin.
Schon in der Schulzeit war ich sozusagen in meinem “Business” tätig: Ich wollte Zeitungen und Magazine machen. Damals scheiterte das Projekt natürlich vor allem am Geld. Mit einem Teenager-Taschengeld kann man keinen teuren Druck bezahlen.
Also kam bei mir ein Umdrucker zum Einsatz. Wer dieses Wort noch nie gehört hat: Das Gerät wurde auch gern als Matrizen-, Spiritus- oder Blaudrucker bezeichnet. Dabei zog man zunächst eine dicke Matrize in eine mechanische Schreibmaschine. Beim Tippen durfte man sich keinen einzigen Fehler leisten, denn etwaige “Tippoes” konnten nicht mehr gelöscht werden. Ich kann mich erinnern, wie ich beim Tippen auf der Schreibmaschine auch die Buchstaben gezählt habe, um mit entsprechend zusätzlich eingefügten Leerzeichen einen Blocksatz vorzutäuschen. Die Matrize war mit einem alkohollöslichen Wachs beschichtet. Man spannte sie auf die Trommel des Umdruckers, füllte Spiritus ein und legte besonders saugfähiges Papier in das Gerät. Anschließend wurde gekurbelt – und viele einfarbig bedruckte Seiten rollten aus dem Gerät. Wenn man gut war, konnte man auf diese Weise 100 bis 150 Kopien ziehen.
Aus der gleichen Zeit stammte auch mein geliebter Sony Walkman mit AutoReverse-Funktion. Das war sozusagen der iPod von früher. Man hing sich das Gerät an einem langen Gurt um die Hüfte und fütterte es mit Magnetband-Kassetten. Diese Kassetten hatte man vorher an der eigenen HiFi-Anlage mit der neuesten Musik aus dem Radio bespielt: Das Internet gab es ja damals noch nicht. Zu der Zeit war Grandmaster Flash mit “The Message” angesagt. Und Michael Jackson brachte “Billy Jean” heraus. Auf beide Seiten der Kassette passten jeweils 45 Minuten Musik. Hatte man die Auto-Reverse-Funktion, dann schaltete der Walkman am Ende einer Seite einfach auf die andere um. Der Wahnsinn. Leider gab es immer wieder Bandsalat mit den Kassetten-Unikaten. Dann musste man das dünne Magnetband mit dem Bleistift als Hilfsmittel wieder in die Kassette zurückziehen. Gelang das nicht, war die Kassette hinüber. Noch schlimmer: Die Walkman-Geräte hatten eine natürliche Halbwertzeit, die mitunter nur in Monaten gerechnet wurde. Dann gab es einen Wackelkontakt in der Kopfhörerbuchse – und das Hörvergnügen war vorbei.
Dann kam irgendwann der Computer auf. Gefüttert wurde er – auch da gab es noch kein Internet – mit Disketten, die sagenhafte 1,44 Megabyte Daten speichern konnten. Wenn man bedenkt, dass moderne Handyfotos heute ein Vielfaches an Speicherplatz benötigen, dann ist das schon eine deprimierende Zeit gewesen. Die damals so beliebten Computerspiele wie “Eye of the Beholder” oder “King’s Quest” mussten deswegen gleich auf mehreren Disketten ausgeliefert werden. Bevor man also am Computer spielen konnte, musste man das Gerät mit zahllosen Disketten füttern. Wehe dem, der da auf einer Diskette plötzlich einen unerwarteten Lesefehler vorfand oder aber zwischen Diskette 6 und 8 die Diskette 7 vermisste. Heute gibt es diese Laufwerke gar nicht mehr.
Irgendwann, und mir kommt das vor wie gestern, wurde der Computer dann plötzlich so klein, dass er in die Hosentasche passte. Mein erster “Handheld” war ein sogenannter Palm-Organizer. Die silbernen Geräte waren klein, leicht und handlich. Sie hatten aber nur ein kleines Schwarz-Weiß-Display. Für dieses Palm-OS-Betriebssystem, das sich damals vor der Jahrhundertwende sehr schnell verbreitete, gab es Unmengen an kleinen Programmen, die sich oftmals kostenfrei verwenden ließen. Endlich war es möglich, unterwegs einen Taschenrechner zu nutzen, Notizen zu erfassen, Passwörter zu speichern, Geldausgaben zu tracken und sich eine Kartenpatience zu legen. Heute unvorstellbar: Die kleinen Geräte konnten weder telefonieren noch ein Foto machen. Und wenn man wissen wollte, wo man gerade war, musste man erst eine sündhaft teure “GPS-Maus” anschließen.
Und dann, ich weiß es noch wie heute, kam ich langsam in der modernen Zeit von heute an. Beim Pokerabend holte jemand den neuesten Hit hervor und zeigte es herum – das allerallererste iPhone. Winzig klein sah es damals aus, verankerte mich aber zugleich in der Jetzt-Zeit. Denn zum Glück gibt es das iPhone noch immer. Und mich auch. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 205 (4/2023).
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