Schule damals und heute: Regina Beyer – Falkenseer Rektorin der Europaschule am Gutspark im Ruhestand!

Als Rektorin hat die Falkenseerin Regina Beyer 32 Jahre lang die Geschicke der heutigen Europaschule am Gutspark geleitet. Im Januar 2023 ist sie mit 63 Jahren in den Ruhestand gegangen. Nun, mit etwas Abstand, ist die Gelegenheit da, einmal den Blick zurück zu wagen – auch, um über Rahmenpläne, Elternansprüche, das „Sprachbaden“ und das zurzeit noch fehlende Fach „Lebenskunde“ zu sprechen.
Regina Beyer (63) ist in Falkensee aufgewachsen. Ihr Traumberuf von Anfang an: Lehrerin. Ihre Fächer im Studium: Physik und Mathematik.
1982 war sie das erste Mal als Lehrerin tätig – erst in der Nähe von Strausberg, dann in Schönwalde, später in Nauen. 1991 kam sie als Schulleiterin an die Ernst-Thälmann-Oberschule, die später zur Grundschule am Gutspark umgewidmet wurde und 1999 den Titel Europaschule verliehen bekam. In den 32 Jahren als Rektorin wurde ihr Kollegium immer größer. Waren es am Anfang 18 Lehrer, so kümmerten sich am Ende bereits 38 Lehrkräfte um die Schüler. Auch die Schülerzahlen zogen stetig weiter an – von 285 auf zurzeit 606.
Wer 32 Jahre lang für seine Schule, für Schüler und Lehrer verantwortlich war, hat sicherlich etwas Spannendes zu erzählen. Da ist es an der Zeit für ein intensives Gespräch, das den Blick zurück, aber auch nach vorn wagt. Die Fragen stellte Carsten Scheibe.
Die Europaschule am Gutspark hat sehr früh auf ein Profil gesetzt, das auf Sprachen basiert. So bietet die Grundschule eine sogenannte I-Klasse an. Was hat es damit auf sich und warum ist das eine Besonderheit für ganz Deutschland?
Regina Beyer: „I steht hier für Immersiv. Kinder, die unsere I-Klassen besuchen, werden von der allerersten Klasse an in englischer Sprache unterrichtet. Einzig und allein das Fach Deutsch wird in deutscher Sprache unterrichtet. Das wird bis zur vierten Klasse so beibehalten. In der fünften und sechsten Klasse gibt es nur noch englischsprachige Module, denn in den naturwissenschaftlichen Fächern müssen wir die deutschen Fachbegriffe vermitteln. Das brauchen die Schüler später in den weiterführenden Schulen. Die Rückmeldungen aus den Gymnasien sind seit Jahren sehr gut. Die Lehrer bescheinigen uns, dass unsere I-Schüler besonders gut Englisch sprechen und verstehen.
Für die I-Klasse gab es von Anfang an besonders viele Anmeldungen: Die Eltern wollten ihre Kinder sehr gern in dieser besonderen Klasse sehen. Wir laden die Kinder aber immer vorab zu einem Sprachtest ein. Nur bei einer besonderen Sprachbegabung steht der Weg in die I-Klasse offen. Das ist wichtig. Ansonsten befürchten wir, dass die Kinder überfordert wären.
Und die Europaschule macht ihrem Namen ja auch in den anderen drei Klassen des Jahrgangs alle Ehre. Denn bei uns gibt es Englisch als Schulfach bereits ab der ersten Klasse. Und ab Klasse 3 und 4 können die Kinder zusätzlich auch Französisch und Spanisch als Sprachen lernen.“
Gibt es eine solche I-Klasse eigentlich auch an anderen Schulen?
Regina Beyer: „Ich habe das Konzept der I-Klasse erst auf einer Reise nach Kanada kennengelernt. Dort wurden sprachbegabte Kinder, die mit der englischen Sprache aufgewachsen sind, von der ersten Klasse an in Französisch unterrichtet. Das fand ich toll. Zurück in Deutschland habe ich gegoogelt, ob es ein solches Konzept wohl auch in Deutschland gibt. Ich habe damals nur eine einzige Schule in ganz Deutschland gefunden – und zwar in Kiel.
Wir sind tatsächlich selbst nach Kiel gefahren und haben uns die I-Klassen angesehen. Auf der Rückfahrt haben wir in der Bahn eine Flasche Rotwein bestellt und uns ängstlich gefragt, ob das wohl auch in Falkensee funktionieren könnte. Wir hatten die Vision, dass die Kinder weinend an ihren Tischen sitzen, weil sie endlich in die Grundschule kommen und plötzlich kein einziges Wort mehr verstehen, weil sie in Englisch unterrichtet werden. Und dass sie dann alle die erste Klasse wiederholen müssen.
Wir haben trotzdem den Mut gefasst und das Immersiv-Projekt in Angriff genommen. Als es losging, haben wir bis Weihnachten gezittert. Dann erst haben wir gesehen, dass das ‚Sprachbad‘ für die Kinder bestens funktioniert hat. Sie haben sich auf die Idee eingelassen und das Englisch sehr schnell angenommen und gelernt.
Bei uns war das damals als Schüler zu DDR-Zeiten noch ganz anders. Wir mussten laut Lehrplan Russisch lernen, was nicht unsere erste Wahl war. Ich wollte damals viel lieber Spanisch lernen.“
Sie waren Lehrerin zu DDR-Zeiten und auch im wiedervereinten Deutschland. Im Blick zurück: Was ist der große Unterschied?
Regina Beyer: „Die alten Lehrpläne aus dem Osten waren wirklich perfekt aufeinander abgestimmt. Wenn im Fach Physik Diagramme benötigt wurden, konnten sich die Lehrer darauf verlassen, dass diese Diagramme zuvor in Mathematik schon behandelt wurden. Nach der Wende war das alles viel offener. Ich musste die Mathematiklehrer bitten, die von mir in Physik benötigten Diagramme rechtzeitig durchzunehmen, damit ich darauf aufbauen konnte. Heute ist es so, dass der Stundenplan so voll ist und es so viele verschiedene Fächer gibt, dass im Unterricht viel zu wenig Zeit bleibt, um den vermittelten Stoff zu üben und zu wiederholen. Das ist aber wichtig, damit es uns in der Grundschule gelingt, die Grundlagen im Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln. Gelingt das nicht, fehlt dieses Grundwissen später auch im Gymnasium oder auf der Oberschule. Mein Gefühl ist: Früher konnten die Kinder bereits mehr, wenn sie in die erste Klasse gekommen sind.“
Können die Eltern ihre Kinder beim Lernen nicht noch mehr unterstützen?
Regina Beyer: „Eins ist ganz klar: Die Eltern sind heute deutlich mehr in ihre tägliche Arbeit eingespannt, als dies damals zu DDR-Zeiten der Fall war. Früher konnten wir sie mehr ins Boot holen. Etwa, damit sie jeden Nachmittag zusammen mit ihren Kindern Lesen üben, wie das eigentlich immer Teil der Hausaufgaben sein sollte.
Die Arbeitswelt ist aber deutlich härter geworden. Das Wort Stress kannten wir ja damals gar nicht. Die Gesellschaft hat sich verändert. Ich verstehe, dass die Menschen heute wieder verstärkt auf ihre Work-Life-Balance achten. Das eigene Leben sollte wieder mehr ins Gleichgewicht kommen.“
Man liest zugleich immer wieder von den Helikoptereltern, die jeden einzelnen Schritt ihrer Kinder überwachen.
Regina Beyer: „Wir haben das in der Europaschule recht gut hinbekommen. Wir haben sehr viel mit den Eltern gesprochen, damit die Kinder den Gutspark allein und ohne Begleitung durchqueren und die Eltern sie nicht noch bis vor das Schultor fahren. Corona hat das Verhalten der Eltern tatsächlich noch einmal verbessert. Sie gestehen ihren Kindern wieder deutlich mehr Selbstständigkeit zu.
Allerdings stellen wir fest, dass der Mail-Verkehr immer weiter zunimmt. Die Eltern schreiben viele E-Mails und erwarten möglichst sofort eine Antwort. Hier müssen wir das richtige Maß finden. Denn die wichtigste Aufgabe der Lehrer ist es, den Unterricht für die Kinder vorzubereiten und ihn dann auch durchzuführen.“
In die Schule kommen ja auch Flüchtlingskinder, die noch gar kein Deutsch sprechen können. Ist das ein Problem?
Regina Beyer: „Nein, war es bei uns nicht. Wir haben ja in unserer I-Klasse die Erfahrung gemacht: Wenn die Kinder in einer Sprache ‚baden‘, die sie noch gar nicht kennen, lernen sie sie ganz besonders schnell. Das haben wir in der Schule immer wieder beobachten können. Bei den Flüchtlingen aus der Ukraine, die zu uns in die Schule kommen, haben wir sogar noch den Vorteil, dass es bei uns bereits Schüler gibt, die einen russischen oder ukrainischen Hintergrund haben. Sie können übersetzen, wenn ein Wort unbekannt ist.“
Ein Blick in die Zukunft: Wie sollte Schule verändert werden?
Regina Beyer: „Ich wünsche mir ein Fach ‚Lebenskunde‘. Hier würden die Kinder neben den klassischen Fächern wieder Verhaltensnormen und Werte lernen und erfahren, was sich im Leben und im Alltag gehört. Da könnte es auch darum gehen, wie man sich allein mit Worten und nicht mit Fäusten so streitet, dass am Ende auch ein gutes Ergebnis im Raum steht.
Und wir brauchen eine Begabtenförderung, wenn wir in Deutschland wieder Wissenschaftsstandort werden wollen. Es kommt zu kurz, dass wir uns auch um die Schüler kümmern, die ein besonderes Potenzial haben.“
Jetzt werden andere Ihr Lebenswerk in der Europaschule am Gutspark fortführen. Was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenommen?
Regina Beyer: „Ich gehe gern schwimmen, fahre viel mit dem Rad und wandere so oft es geht in den Bergen. Reisen interessiert mich sehr, ich schaue mir gern die Welt an. Ich werde also viel verreisen. Und ich lese mit besonderer Leidenschaft Reisetagebücher.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 204 (3/2023).
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