Kino-Filmkritik: Vesper Chronicles

Science-Fiction-Freunde, die einmal etwas anderes sehen möchten als durchs All sausende Raumschiffe oder gefräßige Aliens, schauen sich bestimmt sehr gern den dystopischen Film „Vesper Chronicles“ an. Das Drehbuch haben Kristina Buozyte und Bruno Samper geschrieben. Beide haben den Film auch als Regisseure verwirklicht – übrigens in den matschig-kahlen Wäldern von Litauen.
In „Vesper Chronicles“ treffen wir auf die junge Vesper (Raffiella Chapman). Sie sucht in einer fast völlig zerstörten und entvölkerten Welt nach irgendetwas zu essen. Genetische Experimente haben dafür gesorgt, dass das bekannte Leben ausgestorben ist. Zwischen dem knöcheltiefen Matsch und den Wipfeln der abgestorbenen Tannen finden sich nur noch Lebenszeichen genetischer Experimente, die weder essbar sind noch zum Streicheln anregen. Das meiste neue Leben, das in „Vesper Chronicles“ zu entdecken ist, ist leider recht tödlich.
Vesper gehört mit ihrem ans Bett gefesselten Vater (Richard Brake) zu den Verlierern auf der zukünftigen Erde. Die Menschen, die mehr Glück gehabt haben, leben abgeschottet in den wohlhabenden Zitadellen. Hier züchten sie Pflanzensamen, die nur einmal keimen und dann unfruchtbare Pflanzen hervorbringen. Diese Samen gibt die Zitadelle nur im Tausch für frische Blutspenden von den Kindern der Nutzer heraus.
Vesper sucht ihren eigenen Weg hin zu einem besseren Leben. Als genetische Hackerin bastelt sie unermüdlich an neuen Lebensformen – und sucht eine Möglichkeit, um das genetische Schloss vom Saatgut der Zitadelle zu entfernen.
Alles ändert sich, als ein Flieger der Zitadelle abstürzt. Vesper rettet die verletzte Camellia (Rosy McEwen) aus dem Flieger und nimmt sie bei sich auf. Sie hat die Hoffnung, mit der Fremden im Schlepptau endlich einen Zugang zur Zitadelle gefunden zu haben.
Als Gegenspieler tritt hier Vespers Onkel Jonas (Eddie Marsan) auf, der seine Schar Überlebender mit großer Härte führt und alles tun würde, was nötig ist, um das Überdauern seiner Gruppe auch für die Zukunft zu sichern.
„Vesper Chronicles“ ist ein sehr unaufgeregt erzählter Film mit sehr vielen positiven Eigenschaften. So haben die Schauspieler viel Raum für ihr Spiel. Worte sind oft gar nicht nötig, wenn ein Blick oder eine Geste alles erzählen, was nötig ist. Sehr gut war auch die Entscheidung, weitgehend auf Effekte aus dem Computer zu verzichten. Die nebelverhangenen, kahlen Wäldern Litauens reichen bereits völlig aus, um ein starkes Gefühl der Beklemmung zu erzeugen. Die immer wieder in dieser bekannten Welt platzierten Mutationen lassen den Zuschauern staunen. Vor allem der Blick in Vespers kleines Genetiklabor der coolen Pflanzenkreationen ist ein echtes Highlight im ganzen Film.
Gelungen ist auch, dass die Dystopie nicht in einem klassischen Action-Kampf Gut gegen Böse endet, sondern seinen ganz eigenen, sehr symphatischen Weg findet, um die Geschichte zu vollenden.
Auf jeden Fall wirkt „Vesper Chronicles“ sehr lange im Kopf nach, was an seiner erwachsenen, sehr bedächtigen Erzählweise liegt, die so viel mehr in die Tiefe dringt als minutenlange Kampfszenen. Bedrückend wird der Film auch durch den Fakt, dass genetisch manipulierte Pflanzensamen, die keine fortpflanzungsfähigen Keimlinge mehr hervorbringen, bereits 1998 in den USA zum Patent angemeldet wurden. Verschiedene Konzerne verkaufen demnach bereits diese Sämereien – und lassen damit ein Detail aus dem Film überraschend realistisch erscheinen. (CS / Bilder: Plaion Pictures – 24 Bilder Film GmbH)
Fazit: 4 von 5 Sterne (FSK 16)
Spieldauer: 114 Minuten
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=foeasNJkXkg
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 103 (10/2022).
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