Dr. Ralf Herbrich: Falkenseer KI-Forscher wird Professor an der Uni Potsdam!
Dr. Ralf Herbrich (48) gilt weltweit als ausgewiesener Experte für das boomende Thema “Künstliche Intelligenz” (AI). In den letzten Jahrzehnten hat der Falkenseer für Microsoft, Facebook, Amazon und Zalando gearbeitet, um das maschinelle Lernen komplett neu zu erfinden. Nun kehrt er zurück zur Grundlagenforschung und wird Professor am Hasso-Plattner-Institut, das zur Universität Potsdam gehört.
Sport bringt Ralf Herbrich erst so richtig auf Touren. Eigentlich jeden Tag läuft er durch Falkensee, um fit zu bleiben und um sich ggf. auf den nächsten Halbmarathon vorzubereiten. Auch auf dem Fahrrad ist er oft zu sehen, denn so langsam tastet er sich an seinen allerersten Triathlon heran. Einmal in der Woche geht es außerdem zum Badminton in die Seeburger Havellandhalle. Außerdem steht er im “Theater in der Scheune” in Schönwalde-Dorf auf den Brettern, die ihm zwar nicht unbedingt die Welt bedeuten, aber auf jeden Fall die Zuschauer zum Lachen bringen.
Das ist aber nur die eine Seite des Brandenburgers, der in Schwedt an der Oder geboren wurde. Er gilt weltweit als die Koryphäe für das Trendthema “Künstliche Intelligenz”.
Und das begann so! Ralf Herbrich (https://herbrich.me): “Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe die Wende sozusagen von der Ostseite aus miterlebt. Schon sehr früh habe ich mich für Computer interessiert. Mein erster war ein ausrangierter ZX-81, den ich mit elf Jahren geschenkt bekommen hatte. Da gab es einen Wackelkontakt in der Stromversorgung und die Datasette war kaputt. Jedes Mal, wenn ich etwas spielen wollte, musste ich den Programmcode neu von Hand in den Arbeitsspeicher tippen. Ich musste also sehr früh lernen, wie so ein Computer funktioniert. Mein zweiter Computer war bereits ein Amstrad PC-1640 mit einer 20-Megabyte-Festplatte. Das war 1988. ”
1992 zog Ralf Herbrich nach Berlin, um Informatik an der Technischen Universität Berlin zu studieren: “Ich war keine zwei Wochen an der Uni, da wurde plötzlich das Internet erfunden. An der Uni gab es einen Mainframe-Rechner mit Internet-Zugang, das war natürlich toll.”
Der frischgebackene Informatiker promovierte in theoretischer Statistik und ging anschließend für mehrere Jahre an das Darwin College im britischen Cambridge, um hier als Post-Doc zum Thema “Künstliche Intelligenz” zu forschen.
Ralf Herbrich: “Microsoft Research hat damals von Cambridge aus damit begonnen, Künstliche Intelligenz in Spielen für ihre neue XBox einzusetzen. Von 2002 bis 2007 habe ich für das Unternehmen gearbeitet. Meine Aufgabe war es zunächst, sogenannte Drivatars für Autorennspiele zu entwickeln. Das waren digitale Kopien der echten menschlichen Fahrer, gegen die Freunde in Multiplayer-Online-Rennen antreten konnten, falls der eigentliche Spieler gerade einmal nicht selbst am Rechner anzutreffen war. Die Drivatars lernten das individuelle Fahrverhalten ihrer echten Spieler und imitierten es.”
Für Microsoft entwickelte Ralf Herbrich auch einen Online-Gaming-Service, der Spieler so geschickt zusammenbringt, dass die jeweiligen Spielstärken einander ebenbürtig sind: “Es macht ja keinen Sinn, einen sehr starken Spieler gegen einen sehr schwachen antreten zu lassen. Unser System TrueSkill wertete die Spielergebnisse aus und erstellte eine erste Weltrangliste. Noch immer werden drei bis vier Millionen Menschen am Tag mit diesem System in Online-Spielen zusammengebracht.”
Von 2008 bis 2011 arbeitete Ralf Herbrich für die Microsoft-Suchmaschine Bing: “Hier haben wir ein Klickraten-Vorhersage-System entwickelt. Die Aufgabe war es, das System in Echtzeit lernen zu lassen, für was sich der Nutzer gerade in diesem Moment interessiert, um ihn nur ganz wenig Werbung, dafür aber hochgradig passende in die Suchergebnisse einzublenden.”
Von England aus ging es nach San Francisco – ins Silicon Valley: Facebook klopfte beim KI-Forscher an: “Facebook war damals noch eine ganz junge Firma. Da konnte man sehr schnell neue Ideen umsetzen. Das Unternehmen hatte damals etwa eine Milliarde Benutzer und zig Milliarden Interaktionen am Tag. Auch bei Facebook ging es um das Thema, den Nutzern in der damaligen Seitenleiste nur wirklich relevante Werbung anzuzeigen. Da Facebook aber so groß war, brauchte man dafür eine ganze Flotte von Computern. Es war tatsächlich eine riesige Herausforderung, die KI so zu skalieren, dass sie auf zig Servern gleichzeitig arbeitet. Zugleich haben wir das System so verändert, das es von sämtlichen Daten, die am Computer erfasst werden, lernen konnte. So wurde die Vorhersagegenauigkeit für die einzublendende Werbung deutlich verbessert.”
Der junge Familienvater wollte aber gern mit Frau und den beiden Kindern wieder zurück nach Deutschland ziehen. Möglich machte das 2012 ausgerechnet Amazon: “Ich wurde als ‘Director of Machine Learning’ eingestellt und baute in den folgenden sieben Jahren als Geschäftsführer das ‘Amazon Development Center Germany’ mit Standorten in Berlin, Dresden, Aachen und Tübingen auf. Damals fingen wir mit fünf bis zehn Leuten am Berliner Kudamm an. Als ich ging, waren es tausend. Amazon verwandelte sich damals von einem Bücherversand in ein großes digitales Kaufhaus. Unsere Aufgabe war es u.a., mit Künstlicher Intelligenz ein System zu entwickeln, das vorhersagt, was die Leute in anderthalb Jahren an Mode kaufen wollen. Damals musste die Mode nämlich so weit im Vorfeld bestellt werden. 2015 haben wir außerdem ein System entwickelt, um 100 Millionen englische Beschreibungen im Amazon-Produktkatalog vollautomatisch in die verschiedenen europäischen Sprachen zu übersetzen. Das wurde am Anfang nämlich noch von Hand gemacht. In drei Jahren haben wir ein System entwickelt, das noch heute zum Einsatz kommt.”
Hat Ralf Herbrich eigentlich Amazon-Chef Jeff Bezos kennengelernt? – “Ja, natürlich. Er weiß auf jeden Fall, wer ich bin. Wir waren zusammen essen, er ist ein echter Visionär und ist tief involviert in die Forschungsprojekte. Ich war auch bei der berühmten MARS-Konferenz mit dabei.”
Nach einem Leben auf der Überholspur trat Ralf Herbrich 2020 auf die Bremse und nahm sich ein Sabbatical: “Ich bin alleine den Jakobsweg gelaufen und habe dabei sehr viel gelernt. Etwa: Nicht alles ist immer ein Rennen oder ein Wettkampf. Oder: Wer langsamer geht, kommt am Ende viel weiter. Ich habe auch erkannt, dass es für einen selbst, die Familie und die Freunde sehr ungesund ist, wenn man ständig über neun Zeitzonen hinweg arbeitet. Ich bin deswegen zu Zalando gegangen, also zu einem rein deutschen Unternehmen.”
Bei Zalando ging es darum, die Retouren an nicht passender Mode zu reduzieren. Dr. Ralf Herbrich: “Die Künstliche Intelligenz wertet die Bestellhistorie der Kunden aus und vergleicht sie miteinander. Im Rahmen ganz klassischen maschinellen Lernens weiß das System irgendwann: Wer die Kleidung X und Y in den Größen A und B nicht zurückgeschickt hat, wird Kleidung Z in der Größe C benötigen.”
Bei Zalando war Dr. Ralf Herbrich bis Ende 2021 beschäftigt. Nun zieht es ihn wieder zurück in die Grundlagenforschung. Nach ersten Gesprächen mit dem Hasso-Plattner-Institut, das zur Universität Potsdam (UP) gehört, wird er hier Professor für den neu geschaffenen Fachbereich “Artificial Intelligence and Sustainability”.
Ralf Herbrich: “Rechenzentren verbrauchen unfassbar viel Energie. Wir wollen nun u.a. daran arbeiten, Künstliche Intelligenz so einzusetzen, dass der Energieverbrauch deutlich gesenkt wird, am besten auf ein Hundertstel. Wenn man bedenkt, dass das menschliche Gehirn nicht mehr Energie verbraucht als eine 20-Watt-Glühbirne, sollte das doch machbar sein. Ein Ansatz ist es, gerade so wenig Strom an den Prozessor zu bringen, dass er damit beginnt, Fehler zu machen – um diese Fehler dann über die KI auszufiltern.”
Gibt es für den begeisterten Koch, Meerschweinchen-Besitzer und Formel-1-Fan noch einen KI-Traum? Ralf Herbrich: “Toll wäre doch eine Röhre wie im Science-Fiction-Film, in der der Mensch einmal gescannt wird. Eine KI findet dabei Krebs und weitere Krankheitsbilder – und heilt sie vollautomatisch per Mikrochirurgie oder Medikamentengabe.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 198 (9/2022).
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