Dallgow ganz klein: Dauerausstellung mit fünf Miniatur-Schaukästen im Rathaus!
Fünf Schaukästen stehen seit dem 4. Juli im ersten Stock vom Rathaus Dallgow-Döberitz. Sie erzählen in einer Miniaturdarstellung von der bewegten Geschichte des Ortes. Hier siedelten bereits in der Steinzeit germanische Stämme. Auch der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. fand Gefallen am kleinen Ort. Hier entstand übrigens auch der allererste Militärflugplatz Deutschlands. Und die Russen nutzten den Dallgower Bahnhof zu DDR-Zeiten als Umschlagpunkt für ihre Panzer und für andere Waffentechnologie.
In Hamburg gibt es das “Miniatur Wunderland” mit der wohl größten Modelleisenbahnanlage der Welt. Sie zeichnet die Wirklichkeit ganz im Kleinen nach.
Dallgow-Döberitz schickt sich an, es der Speicherstadt nachzumachen. Ab sofort gibt es eine kleine Miniaturausstellung im Rathaus der Gemeinde zu bestaunen. Sie besteht zwar zunächst nur aus fünf kleinen Schaukästen, dafür darf sich jeder Bürger die feine Ausstellung völlig kostenfrei anschauen.
Die Idee, Dallgows Geschichte in Schaukästen mit Miniaturhäusern und kleinen Figuren nachzuerzählen, kam einigen Bürgern angesichts der ursprünglich für den Ort geplanten 750-Jahr-Feier. Diese Feier sollte eigentlich bereits im vergangenen Jahr begangen werden. Pandemiebedingt wurde sie aber immer wieder verschoben. Der aktuelle Plan besteht nun darin, den Festakt als 755-Jahr-Feier im Jahr 2026 nachzuholen.
Feier hin oder her: Die Dallgower Bürger Anselm Geske, Bernd Hohaus, Günter Holz, Frank Fischer und Eva Janssen ließen sich in ihrem Tun nicht aufhalten – und investierten trotzdem viel Zeit und Mühe auf ihr Miniaturprojekt. Anselm Geske: “Da haben wir viele Abende, Wochenenden und Urlaube investiert. Wir schätzen, dass in jedem einzelnen Schaukasten etwa einhundert Arbeitsstunden stecken.”
Die Idee war es, in jedem Schaukasten eine Szenerie zu präsentieren, die lauter kleine Geschichten erzählt und aufzeigt, wie sehr sich Dallgow im Spiel der Jahrhunderte und Jahrzehnte verändert hat. So weist der Zeitstrahl von den germanischen Stämmen über das Mittelalter bis hin in die Kaiserzeit. Weiter geht es mit Hitlers Allmachtsfantasien. Die Ausstellung endet am Bahnhof Dallgow, an dem die Russen zu DDR-Zeiten ihre Panzerzüge beluden und Bonbons an die auf den Gleisen spielenden Kinder verschenkten.
Um ein Gefühl für die damaligen Zeiten zu bekommen, verschlangen die Miniatur-Bastelfreunde viele historische Quellen, Bücher und Artikel. Es konnten aber auch noch lebende Zeitzeugen aus Dallgow-Döberitz befragt werden. Der 77-jährige Winfried Libera etwa ist sein ganzes Leben lang Lokführer gewesen und hat selbst Truppenzüge von Dallgow bis nach Jüterbog und Templin gefahren. Er erzählt: “Zu DDR-Zeiten war es streng verboten gewesen, die Militäraktionen der Russen auf dem Dallgower Bahnhof zu fotografieren.”
Trotzdem konnte der Lokführer historische Fotos und Unterlagen beisteuern, die dabei halfen, ein Gefühl für das Aussehen des Bahnhofs während der Nutzung durch die Russen zu gewinnen.
Anselm Geske: “Ein typisches Beispiel für die Probleme, mit denen wir zu kämpfen hatten, betrifft auch den Bahnhof. Viele historische Fotos, die wir nutzen konnten, zeigen ein Objekt immer nur aus einer einzelnen Perspektive, beim Bahnhof also von vorne. Wie sah der Bahnhof aber von hinten aus? Da gibt es keine Fotos. Hier mussten wir raten und unsere eigene Wirklichkeit abbilden.”
Vieles war rund um die Schaukästen geplant. So hatte man sogar die Idee, eine Beleuchtung mit einzubauen oder eine richtige Miniatureisenbahn in die Szenerie zu integrieren. Anselm Geske: “Wir hatten die Vorstellung, dass es junge Leute aus dem Ort gibt, die uns zur Hand gehen könnten oder die eigene Ideen einbringen. Wir sind sogar auch im Gymnasium vorstellig geworden. Es hat sich aber von den Jugendlichen leider niemand gefunden, der uns hätte unterstützen wollen.”
Große Texttafeln am unteren Rand der Schaukästen bringen die Miniaturwelten in den historischen Kontext. Das liest sich durchaus spannend. Denn wo heute Karls Erdbeerdorf steht, wurde damals der erste Militärflugplatz Deutschlands gebaut. Die kaiserlichen Generäle wollten ihn haben. Adolf Hitler reanimierte den Flugplatz später, um hier eine “Reklamestaffel” mit Kunstfliegern auszubilden. Die neu entwickelten Jagdflugzeuge griffen schließlich in den spanischen Bürgerkrieg ein: Der Begriff “Blitzkrieg” wurde geboren. Wichtig: Damals gehörte das Gelände noch zu Dallgow, heute ist es Teil von Elstal.
Anna Mohn unterstützte die Modellbauer in ihrem Tun und brachte sie – damals noch unter Bürgermeister Jürgen Hemberger – in die Gemeindevertretung, wo sie ihre Projektidee vorstellen konnten. Die Gemeindevertretung machte Geld locker, um den Modellbauern auf finanzielle Weise unter die Arme zu greifen.
Bernd Hohaus, selbst erfahrener Eisenbahner, baute die ersten beiden Schaukästen. Er erzählte: “Wir wollten vor allen Dingen Orte abbilden, die man auch heute noch besuchen kann. Wir mussten mit allen Tricks arbeiten. So haben wir manche Häuser im Maßstab deutlich kleiner gehalten, damit sie in den Schaukasten passen. Es war auch nicht immer leicht, die richtigen Miniaturmodelle zu finden. So mancher Dachbodenfund und einige eBay-Käufe haben uns etwa bei den Panzern geholfen. Vieles mussten wir komplett neu basteln. Dabei mussten wir Kompromisse eingehen. Wir zeigen einen Blick in die Geschichte. Der muss nicht ganz genau sein. Aber so in etwa stimmt das schon.”
Die Bastelkunst zeigt sich etwa bei den Hausdächern, die aus alten Pinselquasten bestehen. Die Pinselhaare klebten beim Basteln oft genug eher an den Fingern als auf den Miniaturbauten. Bernd Hohaus: “Das eine oder andere Mal war ich kurz davor, aufzugeben.” Aber die Not machte auch erfinderisch: Die Kohlköpfe in einem mittelalterlichen Beet entpuppen sich so etwa als angemalte Pfefferkörner.
Bürgermeister Sven Richter zeigte sich begeistert von den Schaukästen: “Ich hätte nichts dagegen, wenn die Geschichte unserer Gemeinde noch in neuen Schaukästen weitererzählt wird.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 197 (8/2022).
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