Bauerngespräch im Havelland: Kein Regen, immer neue Bürokratie – die Stimmung ist mies!
Der Roggen, der Weizen und der Raps stehen reif auf den Feldern. Gut sehen sie aus, diese Felder. Für den Laien. Die Landwirte haben aber auch in diesem Jahr große Probleme damit, mit der Frucht ihrer Arbeit ein Einkommen zu erwirtschaften. Beim jährlichen Erntegespräch mit dem Kreisbauernverband Havelland e.V. ging es einmal mehr um viel zu wenig Regen und viel zu viel Bürokratie. Auch die Erhöhung der Energiepreise und der Krieg in der Ukraine treiben die Landwirte um.
In diesem Jahr fand das Jahreserntegespräch mit der Presse am 20. Juni bei strömendem Regen beim Landwirt Stefan Wensche in Lietzow statt.
Mit anwesend waren außerdem Johannes Funke als Landtagsabgeordneter der SPD sowie als Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Havelland e.V. sowie Dirk Peters als Geschäftsführer der landwirtschaftlich ausgerichteten Agro-Farm Nauen und Vorsitzender des Kreisbauernverbandes (www.kbv-havelland.de).
Stefan Wensche (39, verheiratet, zwei Kinder): “Unseren landwirtschaftlichen Betrieb in Lietzow hat mein Vater 1991 gegründet. Vor zehn Jahren ist er verstorben, seitdem führe ich den Betrieb weiter – und zwar komplett alleine. Nur meine Mutter hilft mir als 450-Euro-Kraft bei der Büroarbeit. Ich bewirtschafte 280 Hektar Land. 40 Hektar kommen als Grünland zum Einsatz, um Heuballen zu gewinnen. Ansonsten baue ich Weizen, Gerste, Roggen, Raps und Kartoffeln an. Kartoffeln pflanzt eigentlich kaum noch einer und wenn, dann zur Stärkegewinnung. Unsere Kartoffeln werden noch gegessen. Die Nachfrage steigt.”
Das Gespräch fand im strömenden Regen statt: Ein Glücksfall für die Landwirte? Dirk Peters nutzt in seinem Betrieb in Neukammer seit 2004 eine eigene Wetterstation, hat also die Niederschlagsmengen der letzten 18 Jahre zur Hand. Er sagt: “Für das Getreide kommt der Regen leider zu spät. Er fehlte in der Jugendentwicklung des Korns im März und er kam auch nicht in der späten Kornfüllungsphase. Tatsächlich sind bis zum 19. Juni in diesem Jahr nur 130,7 Liter Regen gefallen, der Durchschnitt liegt sonst über die Jahre bei 550 Liter. Da brauche ich nichts weiter zu sagen. Auch für den Raps kam der Regen viel zu spät.”
Stefan Wensche: “Hinzu kommt, dass die Düngeverordnung uns verbietet, ausreichend Stickstoff zur Eiweißerzeugung im Korn in den Boden zu bringen. Wir durften nur 170 Kilo Stickstoffdünger pro Hektar ausbringen, hätten bei unseren Böden aber 210 Kilo gebraucht. Das bedeutet, dass es eh schon sehr schwer ist, einen guten Brotweizen herzustellen. Im Verbund mit dem ausbleibenden Regen kommt nur noch Tierfutter aus dem Feld. Das Getreide reagiert auf den Mangel mit einer Notreifung und bildet ein kleineres Kümmerkorn aus. Ein Laie sieht natürlich nur eine volle Ähre und denkt, alles ist in Ordnung.”
Dirk Peters: “Der Regen ist jetzt natürlich sehr gut für alle nachfolgenden Kulturen. Gerade für den jetzt noch jungen Mais ist dieser Regenguss sehr gut, aber auch für Kartoffeln und Rüben.”
Bei den Landwirten bleibt das Wasser ein großes Thema. Johannes Funke: “Wenn man sich die Niederschlagsmengen ansieht, so sinken sie im Jahresschnitt. Es gab einen Peak 2007, da kam der Regen gut verteilt über das ganze Jahr. Beim nächsten Peak 2017 kam das gesamte Wasser an einem Tag, das nützt niemanden.”
Die blutroten Mohnstreifen, die sich oft an den Rändern der Felder finden, freuen den Landwirt leider auch nicht. Dirk Peters: “Das ist ein Tiefwurzler und Wasserdieb.”
Angesichts des Ukraine-Kriegs und der damit einhergehenden Lieferengpässe für Getreide explodieren zurzeit gerade die Tonnenpreise für das Korn. Ist das eine Möglichkeit für die Landwirte, jetzt die monetären Defizite aus den letzten drei Trockenjahren auszugleichen?
Stefan Wensche: “Das ist leider nicht der Fall. Wir Landwirte verkaufen einen Großteil unserer voraussichtlichen Ernte bereits im Winter an die Händler. Das ging bei mir viele Jahre gut, in diesem Jahr war diese Vorgehensweise allerdings eine echte Katastrophe. Denn der Preis z.B. für Weizen hat sich zuletzt verdoppelt – und ich kann das nicht für mich nutzen.”
Dirk Peters: “Sobald es gelingt, das Getreide mit dem Zug oder doch wieder mit dem Schiff aus der Ukraine herauszubefördern, werden die Preise auch sofort wieder sinken.”
Probleme macht den Landwirten jetzt die Teuerung. So hat sich der Preis für Dünger vervierfacht, was nicht nur am Ukraine-Krieg liegt, sondern auch daran, dass einige Düngerhersteller ihren Betrieb komplett und für immer geschlossen haben.
Und dann ist da noch der Treibstoff. Stefan Wensche: “Die Landwirte nutzen meistens einen eigenen Dieseltank mit 10.000 Litern, den sie im Winter vollmachen und dann als Tankstelle verwenden. Jetzt vor der Ernte sind die Tanks aber leer und müssen neu aufgefüllt werden. Bei zwei Euro pro Liter reißt das ein riesiges Loch in den Geldbeutel. So ein Trekker verbraucht auch bis zu 300 Liter Diesel am Tag.”
Und dann ist da ja auch noch die Bürokratie. Als Schikane empfinden es die Landwirte, wenn sie mit ihren schweren Maschinen nicht auf die Kraftfahrtstraßen dürfen, die mit dem blauen Schild gekennzeichnet sind. Dirk Peters: “Da müssen wir dann stattdessen mitten durch Nauen hindurchfahren und dürfen nicht außen herum über die B5, das kann es doch nicht sein!”
Noch schlimmer: Seit dem 1. Januar 2022 gibt es einen Erlass in Brandenburg, der ein Begleitfahrzeug zur Sicherung vorsieht, sobald eine Landwirtschaftsmaschine mit mehr als drei Metern Breite im öffentlichen Straßenverkehr unterwegs ist. Dirk Peters: “Wir haben in Brandenburg einhundert mögliche Begleitfahrzeuge, aber 3.000 Arbeitsmaschinen. So ein Begleitfahrzeug muss außerdem eine Woche vorher angemeldet werden. Diese Verordnung sorgt dafür, dass die Landwirte ihre Ernte nun halblegal einfahren. Diesen Erlass gibt es auch nur in Brandenburg und in keinem anderen Bundesland. Mit Bauernverband, Lohnunternehmerverband und Landmaschinenherstellerverband wollen wir das Thema in die Bundespolitik bringen.”
Und es geht noch weiter. Ab 2023 beginnt im großen Plan „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) der EU die neue Förderperiode. Noch stehen die Bedingungen für 2023 gar nicht fest. Stattdessen steht die Maßnahme im Raum, dass die Landwirte vier Prozent ihrer Anbaufläche im Jahr komplett ruhen lassen müssen – für den Naturschutz.
Johannes Funke: “Vier Prozent der Ackerfläche stillzulegen, das ist schon krass. Viele fragen sich, ob das wohl richtig ist.”
Dirk Peters: “Wir können nicht bis zum 1. Januar 2023 warten. Wir Landwirte planen jetzt unsere Fruchtfolge für das kommende Jahr und bestellen das dazu passende Saatgut. Wir befinden uns also in einem echten Blindflug. Wir machen zunächst so weiter, als ob nichts wäre. Ob das richtig ist, werden wir sehen.”
Stefan Wensche: “Es wird immer komplizierter mit der Landwirtschaft. Ich habe zwei Söhne. Ich weiß nicht, ob ich denen das später einmal zumuten kann.”
Dirk Peters: “Die Stimmung unter den Landwirten ist so schlecht wie noch nie, sie ist beschissen. Von blanker Wut bis hin zu reiner Resignation reicht das Spektrum der Gefühle.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 196 (7/2022).
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