Wahlgespräch: Die Europa-Union lud in Falkensee zur Podiumsdiskussion mit den Direktkandidaten zur Bundestagswahl!
Am 26. September wird gewählt in Deutschland. Dann entscheidet sich, wer Bundeskanzlerin Merkel beerben wird. Bei der Bundestagswahl werden aber nicht nur Parteien gewählt, sondern auch Direktkandidaten. Im Wahlkreis 58, der auch das Havelland mit einschließt, treten elf Bewerber an. Die Europa-Union lud fünf von ihnen zur Podiumsdiskussion in die Falkenseer Stadthalle ein.
Etwa einhundert Bürger folgten am 17. August der Einladung von Hans-Peter Pohl, dem Vorsitzenden vom Kreisverband Havelland der Europa-Union Deutschland, an einer Podiumsdiskussion in der Falkenseer Stadthalle teilzunehmen.
Von den elf Kandidaten für den Wahlkreis 58 stellten sich die Vertreter der CDU, SPD, FDP, der LINKEN und vom Bündnis 90/Die Grünen den Fragen der Moderatorin und des Publikums. Eine erste Überraschung: Jeder Kandidat bekam nur 20 Minuten Gesamtzeit zum Reden. Dank dieses Kniffs wurde den Kandidaten das Schwadronieren sogleich ausgetrieben. Zugleich war der offizielle Teil des Abends bereits nach zwei Stunden vorbei.
Die Kandidaten durften sich kurz vorstellen, was dringend Not tat. Der Wahlkreis 58 deckt nämlich auch den Landkreis Oberhavel ab. Er ist tatsächlich so groß, dass abgesehen von Uwe Feiler eigentlich kein Podiumskandidat im östlichen Havelland von Falkensee bis Nauen dem Bürger hinlänglich bekannt ist. Die Wähler aus dieser Region haben somit das Problem, dass sie einer Person das Vertrauen für den Bundestag schenken sollen, die im lokalen Wirkungskreis ein unbeschriebenes Blatt ist.
Anschließend sollten sich die Kandidaten zu den Themen äußern, die sich die Besucher beim Betreten der Stadthalle per Aufkleber-Voting besonders häufig gewünscht hatten. Den Falkenseer Gästen war der gesellschaftliche Zusammenhalt am wichtigsten, erst danach folgten die Themenblöcke Wirtschaft, Finanzen & Steuer sowie Klimaschutz. Das Thema Sicherheit blieb trotz der Taliban-Offensive in Afghanistan und einer möglichen neuen Flüchtlingswelle unter “ferner liefen”.
In der Folge wurde auf dem Podium munter diskutiert. Insbesondere Anke Domscheit-Berg (MdB, DIE LINKE) und Friedhelm Boginski (FDP, in Vertretung für den verhinderten, eigentlichen FDP-Kandidaten Ralf Tiedemann) zeigten sich als äußerst starke und tiefen Eindruck hinterlassende Redner. Uwe Feiler (MdB, CDU) wurde als Vertreter der aktuell regierenden Partei vielfach hart angegangen, verteidigte aber deutlich den aktuellen Kurs und forderte: “Keine Experimente”.
Schlagabtausch auf dem Podium
Starke Argumente, viele Wahlkampf-Floskeln und auch jede Menge Schuldzuweisungen an die aktuell noch bestehende Regierung waren in der Folge zu hören.
Ariane Fäscher (SPD): “Wir müssen aus der EU die Vereinigten Staaten von Europa machen.”
Friedhelm Boginski (FDP): “Ich vermisse, dass die Bundespolitik die Menschen mitnimmt. Sie muss ihnen erklären, warum manches sein muss und manches nicht geht. Und es ist viel vernachlässigt worden. Die Digitalisierung, die Bahn, die Bildung: Es ist mir ein Rätsel, wie man so viel verschlafen kann. Da hat man ganze Landstriche abgehängt. Ich bin auch der Meinung: Wir brauchen ein einheitliches Bildungssystem und nicht 16 verschiedene.”
Anne Schumacher (Bündnis 90/Die Grünen): “Bei der Flüchtlingsfrage darf sich kein Land in der EU aus der Verantwortung nehmen. Das muss einheitlich geklärt werden.”
Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): “Der Digitalpakt funktioniert nicht, er ist viel zu langsam. Selbst der allerletzte Mensch in Deutschland hat gemerkt, wie schlecht wir in Sachen Digitalisierung aufgestellt sind. Das Versagen gilt auch für andere Bereiche. Wir sind eine extrem wasserreiche Gegend. Aber überall sind die Schleusen verrottet.”
Anne Schumacher (Bündnis 90/Die Grünen): “Wir müssen die Rentenversorgung jetzt umgestalten. Das ist kein Thema der Senioren, sondern ein Thema der Jugend. Die möchte jetzt wissen, wie es einmal um ihre Altersversorgung bestellt sein wird. Wir brauchen ein Renten- und Krankenversicherungssystem für alle. Wir sind für eine Bürgerversicherung – auch für Selbstständige und für Beamte.”
Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): “Wie kann man das Kerosin der Flugzeuge subventionieren, wenn jeder Flug zur Klimakatastrophe beiträgt? Das versteht doch kein Mensch mehr.”
Uwe Feiler, (CDU): “Die Corona-Auswirkungen werden wir erst noch zu spüren bekommen. Wir hatten vorher ein sehr gutes wirtschaftliches Wachstum und hohe Steuereinnahmen. Wir brauchen keine neuen Steuern und auch kein Klimaministerium. Wir brauchen Wirtschaftswachstum.”
Anne Schumacher (Bündnis 90/Die Grünen): “Ein Klimaschutzministerium muss her. Die Regierung hat versäumt, klimaneutrale Gesetze zu schaffen.”
Ariane Fäscher, (SPD): “Der Austausch der Menschen in Europa ist wichtig. Alle nationalistischen Tendenzen sind giftig.”
Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): “Von einem kostenfreien ÖPNV hat jeder etwas.”
Anne Schumacher (Bündnis 90/Die Grünen): “Wir brauchen in Europa die Anerkennung von Abschlüssen über Ländergrenzen hinweg, damit ein Erzieher aus den Niederlanden auch problemlos in Deutschland arbeiten kann.”
Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): “Wir sind für einen Klimacheck aller öffentlichen Gebäude und für eine Solarpflicht auf allen Neubauten – da, wo es machbar ist.”
Friedhelm Boginski (FDP) sprach sich gegen eine verbindliche Frauenquote aus: “Ich halte nichts von einer Frauenquote. Wir wünschen uns aber viel mehr Frauen in der Politik. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit das gelingt.”
Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) wünschte sich eine bessere Integration der Flüchtlingen: “Es ist viel einfacher, Menschen nicht zu hassen, wenn man ihnen immer wieder auf normalen Wegen begegnet. Und digitaler Hass im Netz muss bekämpft werden, denn er wird schnell zu analoger Gewalt.”
Fragen aus dem Publikum
Immer wieder durfte das Publikum Fragen stellen. Etwa dazu, wie die Kandidaten zu einer Koalition mit der AfD stehen, ob sie einer Verschlankung des Parlaments zustimmen würden und wie sie die deutschen Landwirte vor Billigfleischimporten aus dem Ausland schützen können.
Teilweise wurde es sogar dramatisch im Zuschauerbereich. Martina Freisinger von den Grünen, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Falkensee, formulierte die Sorgen der jungen Generation: “Ich kenne etliche Menschen in meinem Alter, die einen ausgeprägten Kinderwunsch haben, nun aber ernsthaft darüber nachdenken, sich sterilisieren zu lassen, wenn sich jetzt nichts bei der Umsetzung des Klimaschutzes ändert.”
Schade war, dass die Podiumsdiskussion nicht alle Kandidaten des Wahlkreises auf die Bühne brachte. Ulrich Storm (AfD), immerhin Falkenseer, fehlte ebenso wie Rick Grothe (Die Partei) aus Oranienburg, Dr. Stefanie Gebauer (Freie Wähler) aus Kremmen, Nathanael Uhlig (ÖDP) aus Hennigsdorf, André Sven Lingreen (dieBasis) aus Berlin und Thomas Ney (Piraten) aus Oranienburg.
Angesichts der wirklich überzeugenden Redebeiträge von Friedhelm Boginski (FDP), immerhin Bürgermeister von Eberswalde, war es betrüblich, dass ausgerechnet dieser Mann im Wahlkreis 58 gar nicht antritt. Dass die Direktwahl des Kandidaten nicht nur am Wahlprogramm hängt, sondern auch am Menschen selbst, zeigte sich nach der Podiumsdiskussion auch in den sich anschließenden Gesprächen. Eigentlich möchte ja Ralf Tiedemann aus Schildow die Stimmen der FDP-Wähler ergattern. Aber was ist, wenn dieser Kandidat so ganz anders auftritt als Friedhelm Boginski? Oder eben gar nicht: Bereits bei der Podiumsdiskussion des Jugendforums Falkensee am 16. August ließ sich Ralf Tiedemann vertreten – an dem Tag übrigens von Johanna Mandelkow.
Im Publikum saßen an die einhundert Zuschauer. Hier konnte man leider nur wenige “normale” Bürger ausmachen. Dafür sah man sehr viele politische Vertreter und bekannte Akteure aus dem gesellschaftlichen Leben – also eher Steigbügelhalter für ihre Partei und keine Menschen, die noch davon überzeugt werden müssen, wo sie denn ihr Kreuzchen machen könnten. Dies könnte ein erstes Anzeichen für eine schleppende Wahlbeteiligung am 26. September sein: Viele Bürger sind politikverdrossen und trauen es keiner Partei zu, den richtigen Weg zu gehen. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 186 (9/2021).
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