Nauen im Dunkeln: Mit dem Nauener Nachtwächter auf Mondscheintour!
Direkt vor der Nauener Altstadt hält der Nauener Nachtwächter kurz inne – und verkündet: “Hier befand sich früher einmal der Stadtgraben von Nauen. Er musste überquert werden, um in die Stadt zu gelangen. Da haben sich die Leute aber ganz schön beeilt. Denn im Stadtgraben, da landete nicht nur der ganze Unrat der Stadt, hier warf man auch die Pesttoten hinein.”
Keine Frage, das 1186 erstmals urkundlich erwähnte und 1292 mit dem Stadtrecht ausgestattete Nauen ist eine Stadt mit Geschichte. Einer bewahrt diese Historie sehr gern, und das ist der Nauener Nachtwächter Wolfgang Wiech (69). Seit anderthalb Jahrzehnten nimmt er historisch interessierte Menschen mit auf seine Touren, auf denen er Nauens Vergangenheit wieder lebendig werden lässt. Am 1. August war es nach langer Corona-Pause wieder einmal so weit: Mit Taschenlampen und Laternen ausgestattet ging es nach 20 Uhr auf zu einer zweistündigen Mondscheintour durch die Nauener Altstadt.
Wolfgang Wiech: “Dass man heute weder die originale Stadtmauer noch ein Stadttor sehen kann, liegt am großen Brand von 1695. Damals ist die gesamte Altstadt abgebrannt – angeblich, weil sich die Magd und der Stallknecht zu heiß im Heu geliebt haben. Der Kurfürst selbst gab den Befehl, Nauen wieder aufzubauen. Zu wichtig war Nauen, um den Weg in den Norden durch die sumpfigen Luchlandschaften abzusichern.”
Keine Frage, der Nachtwächter kennt sich aus. Dass ihm so viele Menschen zuhören, das wäre Anno dazumal freilich nicht passiert. Wolfgang Wiech: “Du Nachtwächter! Das war früher eine Beschimpfung. Nachtwächter, das war ein unehrenhafter Beruf, da stand man auf der untersten sozialen Stufe. Einmal Nachtwächter, immer Nachtwächter: Oft mussten auch die Kinder und die Kindeskinder diesen Beruf ergreifen, weil es kein Entkommen aus dieser sozialen Schicht gab. Die Nachtwächter haben oft auch nie eine Schule von innen gesehen. Viele arbeiteten tagsüber als Totengräber und nachts als Nachtwächter, um über die Runden zu kommen.”
Der Nachtwächter gab laut rufend die Zeit an, warnte vor Dieben und Verbrechern und machte auf ein mitunter aufflackerndes Feuer aufmerksam: “Damals gab es noch keine Feuerwehr. In den damaligen Zeiten hatte jeder stets zwei mit Wasser gefüllte Eimer im Hof zu stehen. Und brach ein Feuer aus, schnappte man sich die Eimer und rannte zum Brandherd. Mit dem Erfolg, dass vor Ort angekommen nur noch die Hälfte vom Wasser im Eimer war. Der Nachtwächter hatte übrigens extra für den Zweck, vor einem Feuer zu warnen, ein Rufrohr dabei, das ein lautes Signal geben konnte. Viele denken immer, ich habe ein Trinkhorn um den Hals zu hängen.”
Etwa dreißig Personen aus Brandenburg, Nauen, Falkensee, Dallgow-Döberitz und Brieselang nutzten Anfang August die Chance, sich auf die Fährte des Nachtwächters zu setzen. Der blieb auf seiner Tour immer wieder stehen, um etwas zu erzählen. So erfuhren die Zuhörer, dass der König von Mallorca Jürgen Drews in Nauen geboren wurde. Dass der Hauptmann von Köpenick seinen Streich seinerzeit fast in Nauen ausgeführt hatte, sich aber von den unheimlichen Radiostrahlen der lokalen Radiostation verscheuchen ließ. Dass der Eiserne Gustav auf seiner Pferdedroschken-Abschiedstournee auf dem Rückweg von Paris Station auch in Nauen gemacht hatte. Dass Harald Juhnke Teile seines Films “Der Trinker” in Nauen gedreht hat.
Unterwegs bat der Nachtwächter sein Gefolge auch immer wieder in die Höfe der Ackerbürgerstadt, die sehr aufwändig saniert und restauriert wurden und ganz neue Wohnsituationen geschaffen haben: “Die alten Tore in die Höfe sind übrigens stets so breit, dass früher stets ein kompletter Pferdewagen mit Heu hindurch passte.”
Der Weg, der im Kreis um die Nauener Altstadt führt, ist kaum 1.200 Meter lang. Kaum vorstellbar, dass Nauen mit seinen vorgelagerten Ortsteilen von der Fläche her trotzdem eine der größten Städte Deutschlands ist, vergleichbar etwa mit Stuttgart. Bei den Bewohnern kann Nauen aber nicht mithalten. Wolfgang Wiech: “Wir gehen auf die 19.000 Bewohner zu. Der Speckgürtel ist in Nauen angekommen, überall wird gebaut. Ich persönlich bin sehr froh, dass unsere Altstadt in den letzten Jahren so liebevoll saniert und neu aufgebaut wurde. Jetzt kann man sie wieder zeigen.”
Vieles gab es unterwegs zu sehen. Die alten Häuser vom Apotheker, vom Schuster, vom Pferdewirt. Vieles erinnert an die alte Zeit. So findet sich tatsächlich an einem Haus noch eine Nachtwächterkontrolluhr. Das ist nichts anderes als ein Schlüsselloch in einer Metallplatte mitten in einer Hausfassade. Hier musste der Nachtwächter, der bis morgens um vier Uhr seine Runden drehte, einen Schlüssel einstecken, um so nachzuweisen, dass er vor Ort auch tatsächlich vorbeigekommen ist.
Der Nauener Nachtwächter erzählte auf seiner Tour auch vom Kronprinz Friedrich, der 1732 für kurze Zeit in Nauen stationiert war, hier erfolgreich der schönen Pfarrerstochter nachstellte – und verpetzt wurde. Auf seinem letzten Weg durch die ultraschmale “Kronprinzengasse” – bevor er nach Rheinsberg versetzt wurde – zerschlug er dem Pfarrer und anderen Nachbarn noch aus Rache mit Steinen die Fenster! Was für ein Rüpel!
Am Ende seiner Tour zeigte der Nachtwächter noch auf einen Gullideckel mit dem eingeprägten Nauener Stadtwappen. Hier schwimmt ein Karpfen im Wappen. Wolfgang Wiech: “Manche sagen, der Karpfen weist auf die besonders fischreichen Teiche und Gräben in der Nachbarschaft hin. Ich denke, es war eher ein Geheimzeichen. Damals war das Christentum noch nicht so verbreitet. Der Fisch ist ja ein Zeichen des Christentums. Ich glaube, das Wappen war ein Zeichen für die Christen: Hier bei uns seid ihr sicher.”
Wer ebenfalls mit dem Nachtwächter auf Tour gehen möchte, findet neue Termine immer auf der Homepage www.nauener-nachtwaechter.beepworld.de vor. (Text / Fotos: CS)
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