Grünefeld: Die Nation of Gondwana 2019

Überall in Deutschland laden im Sommer die Festivals zum tagelangen Tanzen auf der freien Wiese ein. Die überzeugten Festival-Gänger mutieren angesichts der vielen Veranstaltungen mit ihren zahllosen bunten Bändchen am Arm schnell zu einer modernen Wolfgang-Petry-Version. Im Havelland ist das größte Open-Air-Festival die „Nation of Gondwana“.
Auch in diesem Jahr pilgerten an die 10.000 Techno-Freunde aus vielen Nationen ins beschauliche Grünefeld, das zu Schönwalde-Glien gehört. Direkt an einem idyllischen Kiesteich gelegen, entstand vom 19. bis zum 21. Juli eine riesige Zeltstadt auf einer Wiese, die ansonsten nur Grashüpfer beherbergt.
Veranstalter Markus Osservorth rief zur Jubiläumssause. Seine „Nation of Gondwana“ (www.pyonen.de) feierte in diesem Jahr bereits ihr 25. Jubiläum: „Willkommen zum fünfundzwanzigsten semifiktiven Parallelwelttourismus. Die Agrarterminbörse in der Sublokalität Grünefeld ruft!“
Vor Ort fanden sich wieder zahlreiche bekannte Techno-DJs und Klangexperten ein, um die ganze Nacht hindurch mit lauten Beats und wabernden Lichtern für Trance und Exstase unter den Besuchern zu sorgen.
Drumherum gab es eine eigene Infrastruktur mit einer eigenen Food Corner, vielen Freizeitangeboten und sogar einer mobilen Kirche.
Wie immer klappte alles wie am Schnürchen. Vor allem der Rückhalt des Festivals im sehr nahen Grünefeld ist außergewöhnlich groß: Ein großer Teil der 400 Einwohner des „Dorfes“ half hinter den Kulissen bei der Durchführung der Veranstaltung mit. Und die Grünefelder Feuerwehr war sowieso unentbehrlich: Sie musste am Samstag sogar dabei helfen, das Festgelände für zwei Stunden zu evakuieren, da ein Starkgewitter für einen Gefahrenmoment sorgte.
So kann man nur die Daumen drücken, dass das Festival auch im kommenden Jahr wieder am Kiesteich bei Grünefeld stattfinden kann.(Text/Foto: CS)
Das erste Mal auf einem Techno-Festival – ein Bericht!
Ich höre Neil Young, Nick Cave und Madness. Ich besuche gern Konzerte. Auf die Vorband kann ich verzichten. Und ansonsten finde ich es prima, wenn die Auftritte nach zwei Stunden wieder vorbei sind. Ich bin 52 Jahre alt. Und nun will ich auf die „Nation of Gondwana“. Auf ein dreitägiges Techno-Festival, das zufälligerweise gleich in der Nachbarschaft stattfindet – in Schönwalde-Glien Ortsteil Grünefeld. Mein 22-jähriger Sohn wird bleich: „Papa, hast du auch nur die leiseste Ahnung, wie solche Festivals ablaufen? Du wirst einen Schock bekommen!“
Ach Quatsch, als „Daddy Cool“ werde ich das Festival schon rocken. Ich fahre mit dem Motorroller hin. Weil ich mir schon denken kann, dass es mit Parkplätzen eng wird. Vor Ort staune ich: Alles ist professionell organisiert. Zack-zack habe ich ein Bändchen am Arm und einen Parkplatz für den Roller. Auf dem Gelände am alten Kiesteich sind auf einmal Park- und Schlafareale abgegrenzt und es stehen temporäre Straßenschilder an den improvisierten Wegen, wo sonst eine Wiese ist. Die Wege haben sogar Straßenschilder, die ihnen Namen geben. Sicherlich zur Orientierung.
Das ist wichtig, weil das Festivalgelände deutlich größer ist, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich laufe lange Zeit an endlosen Reihen mit bunten Zelten vorbei. Da gibt es die kleinen Ein- oder Zwei-Mann-Zelte ebenso wie ganz große Zelte für mehrere Personen. Es ist mitten am Tag – und überall liegen Menschen in der Sonne und schlafen tief und fest. Aus der offenen Kofferraumklappe eines Kombis ragen nacke Füße: Anscheinend haben diese Leute die erste Festivalnacht durchgetanzt und holen nun tagsüber ordentlich Schlaf nach.
Die Festival-Besucher sind zum allergrößten Teil jung, schlank und perfekt gestylt. Es gibt viel nackte Haut, Reizwäsche, großflächige Tattoos, selbstgebaute Hüte, Fantasiekostüme und – angesichts der Sonne – kleine, dekorative Sonnenschirme in allen Formen und Farben zu sehen. Ein junger Mann läuft mir splitterfasernackt entgegen. Niemand guckt, das scheint normal zu sein.
Ich flaniere an zahlreichen mobilen Toiletten entlang, die über das ganze Festivalgelände verteilt sind. Und lande im „Food Corner“. Damit hätte ich nicht gerechnet: Dutzende Hütten sind aus dem Nichts entstanden. Hier gibt es die coolsten Sachen zu essen und zu trinken. Vom veganen Burger über Apfelkrapfen bis hin zu Bio-Spätzle („Take some Spätzle for your Schätzle“) gibt es vor Ort alles, was das Herz begehrt. Bargeld braucht niemand mitzunehmen: Ein Chip am Armbändchen lässt sich einfach mit Geld aufladen, sodass man überall einfach mit seinem Handgelenk bezahlen kann. Das ist sehr gut gelöst.
Das Gelände ist riesig. Und alles ist voller Leute. Eine ganze Generation scheint hier versammelt zu sein. Ich spaziere neugierig weiter zum Kiessee. Der wird angesichts der heißen Temperaturen eifrig genutzt: Im Wasser kühlen sich die Festival-Besucher ab und planschen. Ich hoffe sehr, dass keine Hechte im Wasser sind: Viele Badegäste haben ihre Badesachen vergessen, springen nackt in die kühlen Fluten – und wässern ihren Wurm.
Es liegt viel Liebe in der Luft. Jungs knutschen mit Mädchen. Männer laufen Hand in Hand über das Gelände und auch die Mädchen haben sich sehr gern. Auch das stört vor Ort niemanden. Grüne Zettel an so manchem Mast machen klar: „JEDER ist hier willkommen – unabhängig vom Geschlecht, von der Hautfarbe, von den sexuellen Präferenzen, vom kulturellen Background oder vom physischen Aussehen.“ Es gibt ein „Safer Space“ Zelt neben der Ersten Hilfe. Hier finden alle Festival-Besucher Zuflucht, die sich diskriminiert, verfolgt oder sonst irgendwie angegangen fühlen. Mitarbeiter in grünen T-Shirts flanieren über das Gelände und sind direkte Ansprechpartner im Problemfall.
Das ganze Festival erscheint mir wie eine gut geölte Gemeinschaft – für drei Tage. Es gibt sogar eine Pfarrerin vor Ort, die Ansprechpartnerin an einem entsprechenden Stand ist. Ein paar Festival-Besucher spielen Badminton. Ich komme an einem Escape-Room vorbei – untergebracht in einem kleinen VW-Bus.
Vergessen werden darf natürlich nicht: Es geht vor allem um die Musik. Unter zwei Zelten wummern deswegen die Bässe und eskalieren die Beats. Die Namen der Leute, die hier Techno-Musik spielen, kenne ich nicht. Sie nennen sich Andy Snatch, Art Department, Dadadisco, Der Dritte Raum, Kollektiv Klanggut oder Mehr ist Mehr. Von einem sehr guten Selbsthumor zeugt die Idee, auch den Grünefelder Frauenchor auftreten zu lassen. Das ist auch gleich eine Verbeugung vor dem Ort, an dem das Festival immer wieder stattfinden darf.
Vor den Boxen fliegen einem die Ohren weg. Das Herz hört auf zu schlagen, weil es gegen diese Beats keine Chance mehr hat. Aber die Musik geht ins Blut. Die Besucher tanzen sich mit minimalistischen Bewegungen in Trance. Und schon wippt man mit und fühlt, wie der elektronische Klangteppich langsam das Zeitempfinden ausradiert. Kein Wunder, dass die Nacht hier bei der „Nation of Gondwana“ immer erst vorbei ist, wenn der Morgen dämmert.
So lange kann und mag ich nicht bleiben. Ich habe mich einmal umgesehen, bin beeindruckt von der durchdachten Organisation und wünsche den vielen tausend Besuchern aus zahlreichen Ländern noch eine aufregende Zeit. (Text: Carsten Scheibe / Fotos: CS + Linus Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 161 (8/2019).
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