Bundesminister Jens Spahn diskutiert mit den Falkenseer Bürgern: Vertrauen zurückgewinnen!
Erst im Januar war Kevin Kühnert von der SPD in Falkensee. Der redegewandte Juso-Vorsitzende trat in der Stadthalle auf und stellte sich den Fragen aus dem Publikum. Von Enteignung und einer geplanten Umverteilung des Eigentums war da noch nichts zu hören. Nun zog die CDU nach. Am 12. Juni lud Barbara Richstein als Mitglied des Landtags und als Vorsitzende der MIT-Havelland Bundesminister Jens Spahn in die Gartenstadt ein.
Das Thema des Abends war etwas vage formuliert: Zum ausgegebenen Slogan „Deutschland 2030 – was uns zusammenhält“ hätte jede Diskussion passen können.
Gegen 19 Uhr warteten etwa 90 Gäste im Bürgerbegegnungs-Zentrum (ehemaliges Musiksaalgebäude) am Gutspark auf den populären Gast. Der verspätete sich bei der Anreise aus Neuruppin: Bei Blitz, Regen und Gewitter flog ihm auf der Autobahn eine Dixie-Toilette entgegen, so wurde es den Gästen der Veranstaltung berichtet.
Hans-Peter Pohl gab sich vor der Veranstaltung begeistert: „Es sind Leute aus der Priegnitz, aus Gransee, aus Hennigsdorf und aus Ketzin angereist. Das Publikum ist auch politisch total gemischt.“ Tatsächlich waren neben den lokalen CDU-Größen auch der Seniorenbeirat, der Jugendbeirat und der Beirat für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung gut vertreten.
Der Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler ließ sich wegen Krankheit entschuldigen. Barbara Richstein: „Die Hoffnung, seinen Gesundheitsminister zu sehen, hat ihn leider auch nicht wieder gesund werden lassen.“
Um die Zeit bis zum Eintreffen des Ministers zu überbrücken, eröffnete Barbara Richstein vorab die Diskussion. Es ging dabei vor allem um die Pflege und den Pflegenotstand. Richstein: „Ich habe nicht das Gefühl, dass das Berufsbild Pfleger so der Burner bei den jungen Leuten ist.“
Marcus Welzel, CDU-Kandidat für den Landtag aus Ketzin, der als Pflegedirektor für die Pflege in 12 Krankenhäusern verantwortlich zeichnet: „In der DDR-Zeit gab es noch den ‚Sanitäter in der Schule‘. Das hat die Kinder bereits auf den Weg gebracht und mit dem Berufsbild bekannt gemacht. Leider ist das alles eingeschlafen.“
Richstein: „Das kannte ich vorher gar nicht. Ich war in meiner Schulzeit im Ausland. Da mussten wir 70 Stunden Sozialdienst im Krankenhaus oder im Altersheim leisten. Vielleicht gehen wir ja in Deutschland auch einmal diesen Weg?“
Marcus Welzel: „Der Pflegenotstand ist so groß, dass ich sage: Die Pflegekräfte werden einmal entscheiden, welche Krankenhäuser in Deutschland geschlossen werden und welche nicht.“
Bundesminister Jens Spahn trotzte dem Chaos auf den Autobahnen doch noch, wurde im Saal freundlich empfangen und kam auf der Bühne schnell auf den Punkt: „Fakt ist, dass es uns in Deutschland so gut geht wie noch nie zuvor. Noch immer ist es ein echter Lottogewinn, irgendwo in Deutschland geboren zu sein. Trotzdem herrscht eine große Unsicherheit bei den Menschen, was ihre Zukunft anbelangt. Und die ihrer Kinder. Zugleich gibt es einen massiven Vertrauensverlust den handelnden Politikern gegenüber. Die Frage ist nun: Wie kann man dieses Vertrauen wieder zurückgewinnen?“
Tatsächlich haben die Bürger das Gefühl, dass die große Koalition aus CDU und SPD in den letzten Monaten nicht wirklich besonders viele wichtige Entscheidungen getroffen hat. Statt für den Bürger wichtige Themen wie Klima, Sicherheit, Zuwanderung, Digitalisierung, Fachkräftemangel und Breitband-Internet effizient anzugehen, steht auf der Habenseite der Regierung vor allem die komplizierte Datenschutz-Grundverordnung, die niemand versteht und die nicht nur im wirtschaftlichen Umfeld für große Unsicherheit sorgt.
Um das geschwundene Vertrauen zurückzugewinnen, hat Jens Spahn einen 3-Punkte-Plan aufgestellt: „Als erstes brauchen wir – bessere Debatten. Man kann alles sagen in diesem Land. Man muss nur die Antwort aushalten können. Und man muss auch einmal zulassen, dass der andere Recht haben könnte. Eine dieser Debatten, die ich führe, betrifft die Organspende. Da geht es um Leben und Tod. 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. 84 Prozent der Deutschen finden Organspenden gut. Trotzdem hatten wir 2017 einen Tiefstand bei der Bereitstellung der Organe. Mein Vorschlag: Man ist automatisch Organspender – außer, man sagt aktiv Nein dazu. Natürlich ist das eine Art Freiheitseingriff. Aber sind die 10.000 Menschen da draußen diesen Freiheitseingriff nicht wert? Auch die Impfdebatte führe ich seit 15 bis 20 Jahren. Leider ist das Bewusstsein, dass etwa eine Masernimpfung wichtig ist, in all diesen Jahren nicht besser geworden. In der Kita geht es aber auch um die Kinder der anderen. Masern sind auch noch zwei Stunden nach einem Nieser über Tröpfcheninfektion hochansteckend. Wir wollen deswegen die Impfung gegen Masern vor dem Kita- oder Schulbesuch erzwingen.“
Nur Diskutieren reicht aber nicht. Jens Spahn: „Punkt 2: Aus einer Debatte muss auch etwas folgen. Nämlich Entscheidungen, die einen Unterschied machen. In der Pflege haben wir seit dem 1. Januar 13.000 neue Stellen geschaffen. Die sind finanziert. Jetzt ist die Frage, wie besetzen wir die? Aber wir müssen ja irgendwo anfangen. Schon jetzt sind 5,5 Millionen Menschen im Gesundheitsbereich eingestellt, das ist jeder achte Bürger. In der Autoindustrie sind es nur 1,1 Millionen. Wo bekommen wir aber neue Pflegekräfte her? Eine Idee ist es, Menschen direkt im Ausland auszubilden und zwar in jungen Ländern mit einem hohen Anteil junger Bürger. Begleitend zur Ausbildung gäbe es dann einen Deutschkurs und mit dem Abschluss ein Visum und einen Arbeitsvertrag in Deutschland.“
Der Erfolg der Grünen, der Aufstand der Jugend etwa bei „Friday for Future“ und die ganze Klimadiskussion führt Jens Spahn zu Punkt 3 seiner Vertrauen-zurückgewinnen-Agenda: „Wir müssen außerdem zeigen, dass wir nicht nur an die Gegenwart denken, sondern auch an die nächsten Generationen. Denen soll es im besten Fall besser gehen als uns. Schon jetzt steigt die Lebenserwartung in Deutschland jeden Tag um sechs Stunden. In diesem Zusammenhang wird es auch einen großen Wandel geben. Das autonome Fahren werden wir alle noch erleben. Und die Künstliche Intelligenz wird den Medizinbereich verändern. Ein Computer, der mit zahllosen medizinischen Studien, Fotografien und Fakten gefüttert wird, wird einmal bessere Diagnosen stellen können als jeder Arzt. Einfach, weil er auf einen größeren Erfahrungsschatz zugreifen kann.“
In der offenen Diskussion mit den Besuchern im Falkenseer Bürgerbegegnungs-Zentrum kommt es zu spannenden Fragen. Da geht es auch um die eigenen Werte. Minister Jens Spahn: „Wir haben jetzt durchgeboxt, dass nur noch derjenige eingebürgert wird, der sich zu unseren Werten bekennt. Wir wollen nicht, dass ein Bruder die minderjährige Schwester zwangsverheiratet oder dass jemand fünf Frauen hat.“
Ein großes Problem sieht der Minister auch bei der ärztlichen Versorgung auf dem Land: „Das Medizinstudium ist das teuerste Studium, das wir uns zurzeit leisten. Es wäre gut, das Studium so zu ändern, dass die Studenten mehr Praxis direkt bei einem Hausarzt sammeln könnten – und dabei sehen, dass das Leben als Hausarzt nicht so schlecht ist, wie es mitunter dargestellt wird. Vielleicht vergeben wir auch eine Quote von zehn Prozent der Studienplätze gezielt nur an Studenten, die anschließend bereit dazu sind, aufs Land zu gehen. Inzwischen kann man als Landarzt richtig gut Geld verdienen. Zurzeit gibt es 2.500 Krankenhäuser in Deutschland. Das sind aber 1.000 zu viel. Das gilt nicht für den ländlichen Bereich, aber für Ballungsorte wie Berlin oder das Ruhrgebiet. Die Ressourcen müssen besser verteilt werden. Wir brauchen nicht drei Krankenhäuser in der Nachbarschaft, die alle einen Herzkatheder bereithalten.“
Auch multiresistente Keime treiben den Gesundheitsminister um: „Da helfen dann gar keine Antibiotika mehr. Verbreitet sich das falsche multiresistente Bakterium, kann das fatale und auch tödliche Folgen haben. Deswegen ist das auch ein Thema für die G7-Staaten. Wir brauchen mehr und koordinierte Forschung, um Arzneien zu entwickeln, die gleich im Tresor landen und die nur im Notfall ausgegeben werden dürfen, sodass hier keine neuen Resistenzen entstehen können.“
Michael Ziesecke, Vorstand der Kreishandwerkerschaft Havelland, stellte die Frage nach der einen Sache, die Minister Spahn in seiner Amtszeit unbedingt noch durchsetzen möchte. Spahn: „Mir persönlich ist die elektronische Patientenakte sehr wichtig. Sie muss 2020/21 auf dem Smartphone sein – bei allen, die sie denn haben möchten. Diese elektronische Patientenakte macht im Alltag echt einen Unterschied.“
Am Ende ging es auch um die oft kirchlich unterfütterte Konversionstherapie, die Schwule und Lesben „heilen“ soll. Spahn, der selbst mit einem Mann verheiratet ist: „Das wollen wir gesellschaftlich nicht und dafür zahlen erst recht nicht.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 160 (7/2019).
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