Scheibes Kolumne: Weihnachten kann kommen!
Weihnachten steht vor der Tür. Ich habe es ja nicht so mit dem Fest der Freude und den ganzen lästigen Feiertagen, an denen es mir meine Frau rigoros verbietet, den Rechner einzuschalten. Meine Vorstellung von Dekoration ist ein durchsichtiges Klebebild vom Weihnachtsmann, das ich an meine Büroterassentür klebe – und dann das ganze Jahr über da pappen lasse.
Vier Wochen im Jahr passt die Deko dann. Ein guter Schnitt.
In der Weihnachtszeit hasse ich den Gang in den Supermarkt. Ich liebe Stollen. Ich liebe die hellen Printen. Ich liebe Marzipankartoffeln. Ich liebe Spekulatius. Ich liebe die vielen Backmischungen zum Kekse-Selber-Backen. Aber ich lasse trotzdem die Finger davon, weil all der Süßkram so etwas ist wie der teiggewordene Antichrist der Ernährungsratgeber. Irgendwie schaffen es diese Xmas-Stoffe, die Gesetze der Physik zu brechen: Sie vereinen mehr Kalorien auf einem Quadratzentimeter, als dies überhaupt möglich ist. Ich nenne das umgedrehte Homöopathie.
Stressig ist auch der Weihnachtsbaumkauf. Mir würde es ja ausreichen, das Foto eines Baums an die Wand im Wohnzimmer zu kleben. Aber nein, es muss ein echter Baum sein. Ein großer. Und ein perfekter. Die Damen des Hauses finden beim Aussuchen des Baumes jeden Fehler, den die Natur beim Wachsen gemacht hat.
Und was da für Fachbegriffe fallen: unvollkommener Etagenbau, uneleganter Mut zur Lücke, eine unansehnliche Spitze wie ein Nacktmull mit Gänsehaut. Für mich sehen die Bäume alle gleich aus. Der Hund freut sich immerhin über den Besuch, weil er sich grunzend im Sägemehl suhlen kann. Am Ende muss die Verkäuferin jedes Jahr aufs Neue als Streitschlichterin herhalten. Ist der Baum dann endlich gekauft, gibt es Probleme beim Einladen ins Auto: Es ist nicht genug Platz für mich UND den Baum vorhanden. Also laufe ich nach Hause. Und wieder freut sich der Hund – er darf mich begleiten.
Unsere Zimmerdecken sind 2,70 Meter hoch. Jedes Jahr vermessen wir unseren Baum beim Einkaufen, denken aber nicht an den Christbaumständer. Also ist unser Baum auf einmal viel zu hoch und die Spitze stößt an die Decke, um sich dort im rechten Winkel zu verbiegen. Jeder Baum der letzten Jahre hat auf diese Weise einen dunklen Strich an die Decke gemalt. Die eingeladene Familie begutachtet das Dilemma zu Weihnachten ausgiebig und sehr kritisch: Wahrscheinlich hält sie uns für zu dämlich, einen passenden Baum zu kaufen.
Aber es gibt eben Traditionen, die gepflegt werden müssen. Der Hund findet Weihnachten alles andere als toll: Der Baum steht genau da, wo der Vierbeiner ansonsten das Jahr über sein Lager aufschlägt.
Beim Schmücken setze ich mich durch. Mir ist egal, was an sonstigem Krimskrams an den Baum kommt – die „Porno“-Kugel muss mit dazu. Das ist meine Orion-Weihnachtsbaumkugel, die ich vor bestimmt 20 Jahren vom bekannten Erotikdienst geschenkt bekommen habe, weil ich für sie einmal als Autor tätig war. Die Frauen verdrehen die Augen und drohen mit einem spontanen Kugelunfall. Aber was soll ich tun: Tradition ist eben Tradition.
Inzwischen sind die Kinder älter und Weihnachten hat etwas von seiner Magie verloren. Nie vergessen werde ich allerdings den Heiligen Abend, als die Kinder noch ganz klein waren. „Ihr wartet auf den Weihnachtsmann? Guckt doch mal aus dem Fenster, ob er kommt.“ Die Kinder guckten – und kamen heulend angerannt: Der Weihnachtsmann haut ab! Anscheinend war der Weihnachtsmann gerade bei den Nachbarn fertig. Als die Kinder aus dem Fenster schauten, warf der Weihnachtsmann gerade seinen Jutesack in einen alten VW Derby, stieg mit Kippe im Mundwinkel ein und brauste davon. So kann Weihnachten traumatisch enden. (Text: Carsten Scheibe)
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