Mit Wolfgang Wiech unterwegs: Nauener Nachtwächter
Etwa 20 interessierte Nauener, Falkenseer und sogar Berliner fanden sich am ersten Dienstag im August vor der Stadtinfo am Rathausplatz 2 ein. Sie warteten auf den Nauener Nachtwächter. Der erschien auch pünktlich um 18 Uhr – im grob gewobenen Gewand, mit langer Helebarde, brennender Nachtlaterne und einem Hut mit breiter Krempe – damit im historischen Sinne der Unrat von seinem Kopf abpralle, sobald die Nauener Bürger nachts wieder ihren Nachttopf zum Fenster heraus ausleeren.
Was hoffentlich eine Angewohnheit ist, die die Jahrhunderte einmal nicht überdauert hat.
Eine Spende kostet es, wenn man sich (immer am ersten Dienstag im Monat) auf die Fährte von Wolfgang Wiech heften möchte. Zwei Stunden lang führte er sein neugieriges Gefolge auch dieses Mal wieder durch die Nauener Altstadt – und hat an jeder Ecke etwas zu berichten. Überall wird kurz einmal angehalten, der Nachtwächter erhebt die Stimme und schon lüftet sich der Schleier der Jahrhunderte und bringt die brandenburgische Historie wieder ans Tageslicht. Amüsant etwa die Erzählung vom Kronprinz, der seinerzeit in Nauen wohnte, mit der Pfarrerstochter anbändelte, verpfiffen wurde und Nauen verlassen musste – nicht, ohne zuvor dem doofen Pfarrer und vielen Bürgern die Fenster mit Steinen eingeschmissen zu haben.
Interessant sind auch noch weitere Geschichten passend zum Kirchengebäude der heutigen evangelischen Kirchengemeinde St. Jacobi. Denn wenn man nur ein wenig um die Ecke geht, entdeckt man in einer Nische der Kirche viele kleine Mulden in der Außenmauer. Was ist denn hier wohl passiert? Der Nachtwächter erklärt: „Früher“ haben die Nauener hier mit Löffeln und Messern das Steinmehl von den geheiligten Mauern abgekratzt. Das wurde den Kranken ins Essen gemischt – als göttliche Medizin, um schnell wieder gesund zu werden. Rings um die Kirche stehen übrigens viele kleine Häuser. Hier war aber früher der Friedhof. Ob die neuen Bewohner wohl wissen, dass ihre Häuser direkt auf den Knochen der alten Nauener Bevölkerung stehen? Da kann man ja glatt einen Horrorfilm drehen.
1695 brannte Nauen fast komplett ab. Die Frage, die sich stellt, ist natürlich: Warum wurde Nauen damals überhaupt neu aufgebaut? Nun, damals war das gesamte Nauener Umland ein einziges feuchtes Luch. Nauen war ein strategisch wichtiger Ort, der direkt an der einzigen Passage durch das Luch gelegen war. Aus diesem Grund wurde der Neuaufbau energisch vorangetrieben. Diese Transit-Eigenschaft blieb Nauen auch in der DDR-Zeit erhalten. Bevor die Autobahn ausgebaut wurde, führte der Transit von West-Berlin nach Hamburg durch die Hamburger Straße, also mitten durch Nauen hindurch.
Auch wenn die Nauener Altstadt so schön die alten Häuser präsentiert, die nach dem Brand neu errichtet wurden, eins fehlt leider: Man kann in Nauen weder die alten Stadttore noch die frühere Stadtmauer sehen. Wer aber der Mauerstraße folgt, kann kreisförmig immerhin ihre alte Lage erlaufen. Die Stadtmauer war damals drei Meter hoch und knapp einen Meter dick.
Wer erst einmal den richtigen Blick für die Zeitzeugen der Vergangenheit entwickelt hat, entdeckt unter der Anleitung des Nachtwächters auch die „Nauener Doppeltüren“. In vielen alten Häusern in der Altstadt sind zwei Eingangstüren direkt nebeneinander zu sehen. Wolfgang Wiech: „Damals lebten oft gleich mehrere Familien in einem Haus. Die Häuser wurden so geplant, dass sie sich schnell errichten und unkompliziert begehen ließen. Eine Tür führte so meist direkt durch das Haus hindurch in den dahintergelegenen Hof. Die andere führte zu einer steilen Treppe, die dann die Bewohner in den ersten Stock geleiten sollte.“
Viele Nauener Straßen in der historischen Altstadt haben übrigens „sprechende“ Namen. In der Baderstraße etwa waren in der Vergangenheit die Badehäuser zu finden. Hier konnten die Nauener baden und sich vom Betreiber auch noch Zähne ziehen und kleinere Wehwehchen versorgen lassen. Auch ist davon auszugehen, dass es sich bei den Badehäusern zugleich um Bordelle gehandelt hat.
Aber nicht alle Namen sind eindeutig: In der Rosengasse wuchsen damals ganz bestimmt keine Rosen. Denn die Rosengasse, das war eine schmale Gasse kurz vor dem öffentlichen Brunnen. Hier verrichteten die Leutchen, die am Brunnen ihre Wäsche wuschen, zwischendurch ihre Notdurft. Keine Frage: Das roch dann in der Gasse eben nicht nach Rosen. Und aus dieser Redensart rührt dann auch der Name her.
Kontakt: Der Nauener Nachtwächter, Wolfgang Wiech, Tel.: 0151-50909646
Fotos: Carsten Scheibe
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