Scheibes Glosse: Kleines Schläfchen
Das konnte ich als Teenager nie verstehen: Wie mein Vater von der Arbeit nach Hause kommen und dann auf dem Sofa einschlafen kann. Wir sind doch damals noch als Teenager abends in die City losgezogen, waren im Linientreu tanzen bis zum Morgen, haben bei McDonalds gefrühstückt und sind dann mit Klingeln in den Ohren und fast taub direkt in die Schule gefahren.
Heute kenn ich das auch. Abends etwas essen und dann kommt die Keule. Spätestens gegen acht hat es mich gerissen und ich liege im Futterkoma auf dem Sofa und strecke alle Viere von mir. Böse Zungen behaupten, es würde dann jemand die Kettensäge unter dem Sofa anwerfen. Aber das ist nur eine böse Nachrede. Und auch wenn das so wäre: Schon in den Urzeiten hat der Mann in der Nacht mit gefährlich klingenden Nasengeräuschen dafür gesorgt, dass der sich anschleichende Säbelzahntiger Angst bekommen und das Weite nicht nur sucht, sondern auch findet.
Ich arbeite gern nachts und schlafe viel zu wenig. Drum hol ich mir das Versäumte gern an anderer Stelle. Das Powernapping im Büro mit den Füßen auf dem Schreibtisch dauert nur fünf Minuten. Trotzdem kommen immer genau dann die Kinder von der Schule und „erwischen“ mich. Sie erzählen ihren Freunden: „Was mein Papa arbeitet? Der schläft den ganzen Tag!“
Alles üble Nachrede. Was stimmt und was vor allem viele Frauen mit Schlafproblemen neidisch macht: Ich kann immer schlafen – und überall. Und das binnen weniger Sekunden. Ich hab schon in der New Yorker U-Bahn auf ihrem Weg durch Harlem geschlafen, kann jeden langweiligen Flug verschnarchen und hab schon mal eine Wette am Pool gewonnen, dass ich binnen fünf Minuten aufrecht sitzend auf einem Stuhl einschlafen kann.
Inzwischen halte ich es wie die Soldaten: Kommt die Gelegenheit zu einem Schläfchen, dann sollte man sie auch sofort nutzen. Etwa im Auto. Ich bin ein miserabler Beifahrer, weil ich nach ein paar Minuten immer schon sanft entschlummert bin. Diese Angewohnheit wird zunehmend problematisch, wenn ich mit Freunden unterwegs bin. Die freuen sich auf anregende Gespräche und sind enttäuscht, wenn ich an der nächsten Ecke zusammenfalle und mit der Stirn auf das Armaturenbrett knalle.
Früher, als ich noch freiwillig mit der U-Bahn gefahren bin, habe ich gern einmal Fremde darum gebeten, mich an einer bestimmten Station zu wecken. Auch wenn die Versuchung sicherlich groß war, mich bis zur Endstation durchfahren zu lassen, so hat das immer gut geklappt. Heute gibt es sogar iPhone-Apps, die lassen den Wecker klingeln, sobald man an einem bestimmten Ort ankommt. Aber ich fahre ja nicht mehr mit der Bahn. Es sei denn, man zwingt mich.
Inzwischen habe ich einen echten Gesinnungsbruder – meinen Hund. Der lebt wie ich. Steht gerade kein Spaziergang an und ist die Freßschale leer, so fällt er einfach um, wo er steht, und macht ein Nickerchen. Dabei kann der Hund so tief einschlummern, dass er völlig katatonisch auf dem Parkett liegt und keinerlei Regung mehr von sich gibt.
Nur eins hat mir der Hund voraus – er träumt. Dann bebt das Fell, dringt ein Jaulen aus der Tiefe und die Pfoten zucken. Sicherlich jagt er dann gerade die schwarze Mobbing-Katze von gegenüber, die ihm immer am Zaun die lange Nase zeigt: Komm doch!
Ich kann mich kaum erinnern, wann ich zuletzt mal richtig geträumt habe. Das wäre ja noch viel besser: Ein Schläfchen nach dem anderen und dann läuft auch noch ein toller Film. (Carsten Scheibe)
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