Auf der Walz
Mehrmals im Jahr klopfen Gesellen auf der Walz im örtlichen Rathaus an. Sie bitten um das Stadtsiegel und erhalten oft auch ein kleines Taschengeld und eine Wegzehrung vom Bürgermeister. Da kommt schnell die Frage auf: Was ist das eigentlich, auf der Walz sein?
Gesellen verschiedener Handwerke – wie etwa Zimmermänner oder Maurer – mussten früher nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit auf Wanderschaft gehen, um neue Arbeitspraktiken kennen zu lernen, andere Orte zu sehen und Lebensweisheit zu sammeln. In der Regel dauert die Gesellenwanderung (auch Walz oder abfällig Tippelei genannt) genau drei Jahre und einen Tag. Erst danach war man früher dazu berechtigt, Meister zu werden.
Heute ist es wieder in Mode gekommen, auf die Walz zu gehen. Dabei gelten strenge Regeln der so genannten „Schächte“, die die Gesellen auf Reisen senden. Auf die Walz darf nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hat und ledig, kinderlos und schuldenfrei ist. Während der Reisezeit dürfen die Gesellen sich ihrem Heimatort nicht auf weniger als 50 Kilometer nähern. Die Gesellen auf der Walz dürfen kein eigenes Auto haben. Sie wandern zu Fuß oder werden von Fremden im Auto mitgenommen. Öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen gilt als verpönt. Auf der Walz nehmen die Handwerker Arbeit vor Ort an. Außerdem sprechen sie bei den Städten vor, in denen sie tätig sind, und lassen sich ihren Aufenthalt in einem Wanderbuch quittieren.
Die Zimmerleute auf der Walz tragen eine typische schwarze Kluft mit weiten Schlaghosen, Weste und Jackett. Dazu kommt ein schwarzer Hut mit breiter Krempe – oft auch ein Zylinder.
Typisch für die Gesellen auf der Walz sind große Ohrringe. Sie dienten damals als schnell zu versilbernder Notgroschen. Und wer sich unehrenhaft verhalten hatte, dem wurde der Ohrring mit einem schnellen Ruck gezogen. So verwandelte man sich damals in ein „Schlitzohr“. Makaber: Früher galt der Ohrring im plötzlichen Todesfall auch als Bezahlung für den Totengräber, der den wandernden Gesellen dann in der Fremde unter die Erde brachte.
Nach drei Jahren und einem Tag kehren die „Tippelfreunde“ wieder in ihre Heimat zurück – wenn sie weiterhin schuldenfrei sind. Dann dürfen sie sich „einheimisch melden“ – und ordentlich feiern. (Carsten Scheibe)
Foto: Stadt Falkensee
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