Scheibes Glosse: Türkischer Hilfiger
Den Sommerurlaub haben wir in der Türkei verbracht. Leckeres Essen, Sonne pur, warmes Wasser: Was will man mehr? Natürlich sind wir auch über die Märkte flaniert – und haben dort eine Vorlesung in Sachen organisierter Produktpiraterie erhalten. Die türkischen Märkte und Geschäftsstraßen in Belek und in Side verkaufen Wasserpfeifen, Schmuck, Teepulver mit Granatapfelaroma und frische Gewürze. Doch die meisten Touristen achten nur auf die Boutiquen.
Hier gibt es aufwändige Jeans von Dolce & Gabbana und Hermes, Polohemden von Tommy Hilfiger oder Lacoste und Trainingsanzüge von Nike oder Adidas. Die große Überraschung: Ein Polohemd von Hilfiger kostet hier nur 15 Euro (vor dem Handeln 29 Euro), während man im deutschen Geschäft schon seine 60 Euro auf den Tisch legen muss.
Keine Frage: Wir sind hier nicht in einem offiziellen Factory Outlet Store wie in den USA, wo die Klamotten ganz legal besonders billig verkauft werden. Wir sind im Kernzentrum der Produktpiraten. Die Markenartikel sind nicht echt, nur nachgemacht. Illegal. Ein Verkäufer, nennen wir ihn Orhan, zieht mich in seinen Laden. Er bietet nur Polohemden an, die aber gleich für sechs bekannte Marken. Und ehe ich es mich versehe, erhalte ich einen Vortrag in angewandter Markenfälschung.
Blitzschnell legt mir Orhan sechs verschiedene Polohemden von Tommy Hilfiger vor. Er sagt im besten Hamburger-Slang-Deutsch: „Siehst du, das sind alles Kopien vom Original. Kannst du überall in der Türkei kaufen. ABER: Du musst auf die Qualität achten. Man kann billig fälschen oder man kann gut fälschen.“
In der kommenden halben Stunde lerne ich, dass Hilfiger-Polos einen Schlitz an der Seite haben und das Rückenteil etwas länger ist als das vordere Teil. Dass der Stoff ein bestimmtes Gewicht haben muss und zu leichte Stoffe nicht gut sind. Dass Nähte doppelt genäht sein müssen, damit sie halten. Und: „Hilfiger hat immer zwei Knopflöcher bei den Polos, eins quer und eins hochkant.“
Ich erfahre auch, welche Farbe die Knöpfe haben, dass das Garn zum Festnähen der Knöpfe zur Farbe des Polohemdes passen muss und dass manche Marken den Namen noch einmal auf dem Knopf wiederholen, andere nicht. Dabei bekomme ich eine Cola serviert und wähne mich in einer Universitäts-Vorlesung. Orhan ist ein echter Meister und kennt sich aus. In seiner kleinen Manufaktur im Nachbarort fälscht er Marken-Polos wie kein zweiter. Ich frage, warum er bei der Qualität keine eigene Marke entwickelt. Er sagt: „Das kauft keiner. Die Deutschen wollen nur bekannte Marken kaufen.“
Ich wandere weiter über den Markt. Jetzt kann ich schlechte und gute Kopien auf Anhieb erkennen – und zeige den Verkäufern, dass sie mich nicht mehr veräppeln können.
Orhan ist übrigens so ein Profi, dass er gleich beim Betreten des Ladens sagt: „Dein Hilfiger-Shirt, das du anhast, ist übrigens echt.“ Stimmt. Ich frage, was passiert, wenn die Türkei in die EU aufgenommen wird. Orhan schlägt die Hände vors Gesicht: „Dann können wir alle einpacken.“ (Carsten Scheibe)
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